Tiloumio. Maari Skog
Pascal vor, erhebt sich und grinst spitzbübisch.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich kann mich nicht gegen das Gefühl wehren, dass Pascal unter seinem Lachen die Neugier und die Fragen versteckt, die er mir liebend gerne stellen möchte.
Die Tatsache mahnt mich zur Vorsicht, und ich nehme mir vor, mich besonders mürrisch zu geben, sodass er auch hoffentlich dieses Mal nicht den Mut aufbringt, mich in ein vertrauliches Gespräch zu verwickeln.
Der alte Holzboden knarrt, als wir die Rezeption betreten. Auf dem Tresen stehen kleine Ständer, an denen Schlüsselanhänger und anderer Nippes angeboten wird. Daneben befinden sich Postkarten und Stofftiere. Überwiegend Elche in allen Variationen.
An den Wänden sind Regale angebracht, die mit allen Arten von Wander- und Straßenkarten gefüllt sind. Beim näheren Hinsehen bemerke ich, dass sie pedantisch nach Ländern und Sprachen geordnet sind, und dass sich auch Abenteuer- und Reiseberichte darunter befinden.
Neben einer zerschlissenen Couch steht ein Kleiderständer mit Jacken, Hosen und Pullovern.
»Was für eine Souvenirnippesscheißhölle«, behaupte ich trocken und stelle mir vor, wie idiotische Touristen all die Dinge mit euphorischer Freude an sich reißen. Und das alles nur, um dem Rest der Welt beweisen zu können, wie naturverbunden sie doch sind.
Pascal scheint nicht gehört zu haben, was ich gesagt habe. Er steht hinter dem Tresen und schaut auf einen Schreibblock.
»Wofür ist das denn?«, frage ich und werfe einen Blick auf die Papiere.
Pascal blickt kurz auf.
»Das ist ein Anmeldeblock. Dient der Statistik und der Sicherheit für die Touristen. So was musst du auf jedem Campingplatz ausfüllen, wusstest du das nicht?«
»Nein«, antworte ich abfällig, »es liegt mir nicht, mich auf überfüllten Campingplätzen rumzutreiben. Kann sowieso nicht verstehen, was daran so toll sein soll, sich mehrere Wochen im Jahr in einem zu engen Haus aus Blech und Plastik aufzuhalten. Tür an Tür mit anderen Spinnern, die noch einen Gartenzaun um ihr dämliches Domizil ziehen.«
Pascal seufzt amüsiert und sieht mich dann schweigend, aber mit einem etwas unsicheren Blick an. Ich wende mich ab und gehe zum Bücherregal, wo ich wahllos einen Reiseführer herausnehme. Ziellos blättere ich darin herum, sehe mir Bilder von Stockholm und Göteborg an, ohne sie wirklich zu sehen.
»Mein Vater war Franzose. Er hat Yachten gebaut und ist viel in der Welt rumgekommen«, bricht Pascal plötzlich das Schweigen.
Ich horche auf und frage mich, warum er mir davon erzählt.
»Und jetzt macht er es nicht mehr?«, frage ich, ohne vom Reiseführer aufzublicken, um zu signalisieren, dass ich auf ein derartig persönliches Gespräch keine Lust habe.
Ich weiß jetzt schon, dass Pascal mich gleich nach meiner Familie fragen wird, und bastele mir schnell eine Halbwahrheit zurecht.
»Er ist vor fünf Jahren gestorben. Herzinfarkt«, antwortet Pascal knapp.
Ich sehe kurz auf.
»Tut mir leid«, sage ich und meine es auch so.
Pascal macht eine abwinkende Handbewegung.
»Was ist mit deinem Alten?«, fragt er.
»Er ist ein Penner«, antworte ich unvermittelt, »und er ist es nicht wert, über ihn zu sprechen.«
»Harte Worte«, meint Pascal leise und klingt betroffen.
»Ich weiß. Aber das spielt keine Rolle mehr«, breche ich das Thema ab und sehe aus der offenen Tür hinaus in den grauen Himmel. »Wollen wir uns noch ein bisschen ans Feuer setzen?«
Pascal ist einverstanden. Wir setzen uns nach draußen, trinken Kaffee und schweigen.
Wegen meiner abweisenden Antwort habe ich ein schlechtes Gewissen und suche krampfhaft nach einem unverfänglichen Thema, um das Schweigen zu brechen, doch mir fallen auf Anhieb keine Worte ein. Ich blicke zu dem Platz hinüber, wo sonst Michis Range Rover steht. Das Haus dahinter sieht verlassen aus und erinnert mich daran, dass auch die Hütte, in der Pascal und ich derzeit wohnen, so verlassen da stehen wird, wenn wir hier weg müssen. Diese Erkenntnis schmerzt. Obwohl mir alles wie ein Albtraum vorkommt, fühle ich mich an diesem Ort halbwegs sicher. Er ist so abgeschieden vom Rest der Welt und gleicht einer Oase inmitten der Gnadenlosigkeit, die mich beherrscht.
»Wann musst du hier eigentlich die Zelte abbrechen?«, frage ich.
Pascal schlingt die Arme um die angewinkelten Beine und starrt ins Feuer.
»Von Müssen kann nicht die Rede sein. Aber ich werde spätestens in vier Wochen nach Deutschland zurückfahren. Vielleicht werde ich noch meine Mutter in Frankreich besuchen. Sie wohnt in der Nähe von Antibes, falls dir das was sagt.« Er holt kurz Luft, bevor er fragt: »Und was wirst du machen?«
Ich zucke die Schultern und merke, wie mich leichte Panik erfüllt. Ich schlucke sie hinunter und sage mit so fester Stimme wie möglich: »Weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich, wie geplant, weiter gen Süden wandern und mich dann in Göteborg oder so ... vielleicht werde ich trampen. Keine Ahnung.«
»Wir können auch zusammen nach Deutschland zurückfahren. Dann hätte ich auf der langen Fahrt ein wenig Gesellschaft«, schlägt Pascal vor.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich will dir nicht noch mehr auf die Nerven gehen und außerdem muss ich mich ...«, ich unterbreche mich erschrocken. Beinahe hätte ich gesagt, dass ich mich um Turia kümmern muss.
Pascal steht auf und sieht mich mit prüfendem Blick an. Er sagt nichts, aber seine Augen sprechen Bände. Innerlich bereite ich mich darauf vor, dass er mir unverfroren ins Gesicht sagt, dass er weiß, was ich getan habe. Dass er alles von mir weiß und mir seine Freundlichkeit nur vorgegaukelt hat. Es wäre ein Schock, der mich dennoch nicht überraschen würde. Ich halte kurz den Atem an, als Pascal ansetzt und etwas sagen möchte, und atme erleichtert aus, als er lediglich meint, er will Holz holen, um das Feuer in Gang zu halten.
Er ist kaum hinter Michis Haus verschwunden, als ein roter Kleinwagen auf den Hof fährt. Mein Blick fällt auf das Kennzeichen, und es durchfährt mich eiskalt. Das junge Paar, das aussteigt kommt aus Norwegen und ich ärgere mich darüber, dass ein simples Auto aus meiner Heimat mir so einen Schrecken einjagt.
Unvermittelt stehe ich auf und begrüße meine beiden Landsleute.
»Hei«, rufen sie mir freundlich zu, »habt ihr vielleicht noch eine Hütte für uns frei? Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass es schon so kalt in den Nächten wird, und haben keine Lust mehr, im Zelt zu schlafen.«
Ich mustere die Beiden unauffällig. Sie sind kaum älter als ich. Braun gebrannt.
In gespannter Erwartung sehen sie mich an. Ihnen ist anzusehen, dass sie frisch verliebt sind. Das Mädchen greift nach der Hand des Jungen und streicht mit dem Daumen über seinen Handrücken. Ein Detail, das mich wünschen lässt, ein ebenso sorgenfreies Leben führen zu dürfen, wie dieses Paar, und mich schmerzlich daran erinnert, dass das nie so sein wird.
Ich räuspere mich umständlich.
»Ich werde mal nachsehen. Kommt mit rein, dann könnt ihr einen Kaffee trinken«, sage ich und gehe, ohne darauf zu achten ob sie mir folgen, in die Rezeption.
Nervös wühle ich in den Papieren, reiße einen Anmeldezettel vom Block und lege ihn auf den Tresen. Ich weiß, dass die winzige Hütte oberhalb vom Wäldchen noch frei ist, und suche nervös nach dem Schlüssel. Jetzt fluche ich innerlich, weil ich Pascal keine Gelegenheit gegeben habe, mir zu zeigen, wo alles liegt.
»Bist du auch aus Norwegen?«, fragt mich das Mädchen mit klarem Oslodialekt.
»Ja«, antworte ich, »ich arbeite die Saison hier. Macht Spaß, wenn man die Einsamkeit liebt.«
»Könnte ich mir auch vorstellen«, meint der Junge, »du kommst von der Westküste, stimmt´s?«
»Ja,