Tiloumio. Maari Skog
zu haben, und ich verstehe nicht, warum nie jemand unsere stummen Hilfeschreie erkannt hat. Waren wir so geschickt darin, das eigentlich Offensichtliche zu verbergen? Jetzt ist es zu spät, um eine Antwort darauf zu bekommen. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich immer auf der Hut sein muss. Selbst wenn mir jemand begegnen sollte, der mir wohl gesonnen ist, darf ich nichts Falsches sagen.
Immer auf der Hut sein. Sei auf der Hut! Die Worte wiederholen sich in mir, schwellen an zu einem einlullenden Singsang und verfrachten mich in einen merkwürdigen Zustand zwischen wachen und schlafen. Ich überlege, ob es so etwas wie eine Zwischenebene gibt, auf der sich Wirklichkeit mit Fiktion miteinander vereinen.
Dann wird es plötzlich dunkel um mich herum, und ich fühle nichts mehr.
Aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr. Reflexartig will ich aufstehen, doch ein fürchterlicher Schmerz durchfährt mein linkes Bein und bringt mich an die Grenze einer weiteren Ohnmacht.
Mir kommt es vor, als ob ich von weit her eine panische Stimme höre, doch ich tue sie als Hirngespinst ab, bis neben mir die Blätter zu rascheln anfangen, und ich ein schnüffelndes Geräusch vernehme.
Ich hebe den Kopf und blicke in die bernsteinfarbenen Augen eines Hundes. Seine feuchte Schnauze stupst mich an.
Ich erstarre.
Nicht, dass ich Angst vor Hunden habe. Vielmehr beunruhigte mich der Gedanke, dass dort, wo man Hunde findet, für gewöhnlich auch Menschen nicht weit sind.
Ich strecke die Hand aus, in der Hoffnung, das Tier verscheuchen zu können. Dabei entdecke ich, dass direkt hinter dem Hund ein Mann steht. Ein Schatten, der riesig vor mir aufragt.
Er scheint genauso erschrocken zu sein, wie ich und hebt beschwichtigend die Arme, um mir zu signalisieren, dass er keine bösen Absichten verfolgt.
»Don´t be afraid. I´m a friend, okay?«
»Lass mich in Ruhe«, zische ich auf Deutsch.
Das scheint den Fremden zu irritieren.
»Du bist Deutscher?«, fragt er erstaunt.
Ich antworte nicht und drehe mich weg. Ein röchelnder Husten unterbricht meinen Atemfluss, begleitet von einem stechenden Schmerz in der Brust.
»Kannst du aufstehen?«
Ich überhöre die Frage, weil sie überflüssig ist.
»Verschwinde einfach«, gebe ich zur Antwort.
Für einen kurzen Moment muss ich weggetreten sein, denn das Nächste, was ich spüre, ist, wie mich jemand an der Schulter berührt und auf den Rücken dreht.
»So ein Blödsinn. Ich werde dich nicht dem Schicksal überlassen, klar?«
Von dem Mann scheint keine Gefahr auszugehen. Er mag ein paar Jahre älter sein als ich. Seine dunklen Augen mustern mich besorgt, während er den Hund mit einer sanften Handbewegung beiseiteschiebt.
»Versuche den Arm um meine Schultern zu legen, dann werde ich dich von hier wegbringen.«
Ich bin zu kraftlos, um mich zu wehren. Widerstandslos lasse ich mir auf die Beine helfen und humpele neben dem Fremden her. Ich werfe ihm einen skeptischen Seitenblick zu und versuche herauszufinden, ob ich Vertrauen zu ihm fassen kann. Dabei wird mir klar, dass ich keine andere Wahl habe und mich bis zu einem gewissen Grad auf ihn einlassen muss. Bevor meine Gedanken unweigerlich zu meiner Schwester abdriften können, erreichen wir einen See, an dessen Ufer ein Ruderboot liegt.
Mir wird erneut schwarz vor Augen, und als ich wieder zur Besinnung komme, finde ich mich in dem Boot wieder. Wasser plätschert an den Planken. Das Geräusch weckt eine ferne Erinnerung in mir. Ich blicke in den Himmel, der einen zartgrauen Schleier angenommen hat. Kalte Gischt spritzt ins Boot.
»Ich heiße Pascal und arbeite auf einem Campingplatz. Ist nicht mehr weit von hier. Du kannst dich in meiner Hütte auskurieren«, klärt mich der Fremde auf.
Ich taste meine Stirn ab. Eine borkige Kruste hat sich an der Stelle oberhalb der Augenbraue gebildet, wo ich während meines Kampfes mit dem Fremden gegen einen Stein geprallt war. Ein dumpf klopfender Schmerz beeinträchtigt meine Sicht, und ich fühle mich so erbärmlich und ausgelaugt, als ob eine schwere Grippe von mir Beschlag genommen hätte. Die Klamotten kleben unangenehm an mir, und ich kann nicht einordnen, ob das von den ständigen Schweißausbrüchen kommt oder ob die Nässe noch von dem Unwetter herrührt. Überhaupt weiß ich nicht, wie viel Zeit vergangen ist.
Ich befürchte, dass mein Retter etwas von meiner Begegnung mit Steven mitbekommen haben könnte, und beäuge ihn unauffällig. Aber an seinem Verhalten ist nichts Ungewöhnliches zu erkennen.
Das Boot beginnt zu schaukeln, als Pascal aufsteht und auf einen Steg springt, wo er das Boot mit geübten Handgriffen vertäut. Ich wage nicht, mich zu rühren. Der ziehende Schmerz in meinem Bein könnte mir wieder das Bewusstsein rauben, und das will ich um jeden Preis verhindern. Pascal greift mir unter die Arme und zieht mich hoch. Mir wird schwindelig, und ich stöhne auf. Ich habe den Wunsch, alles einfach geschehen zu lassen, aber der letzte Rest meines Verstandes meldet sich zu Wort, hält mich an, Vorsicht walten zu lassen.
»Bitte bring mich nicht zu einem Arzt«, presse ich unter Schmerzen hervor.
Eine weitere Schwindelattacke überkommt mich, sodass ich mich an Pascals Schulter festhalten muss, um nicht umzufallen.
»Ist schon gut. Ich bringe dich zu mir, und dann sehen wir weiter.«
Seine Stimme klingt warm und beruhigend. Sie rührt etwas in mir, was ich fast schon verloren glaubte. Trotzdem bestehe ich weiter darauf, dass er keinen Arzt konsultiert. Verschwommen nehme ich wahr, wie mir Pascal in ein Auto verhilft. Dann ummantelt mich Dunkelheit. Ich komme wieder zu mir, als ich auf eine Couch gelegt werde.
»Dein Bein sieht übel aus. Ich muss die Wunde desinfizieren«, meint Pascal und verlässt den Raum.
Seine Stimme erreicht mich wie durch dichten Nebel. Kurz darauf kommt er mit einem Erste-Hilfe-Kasten zurück, holte eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit aus dem Kühlschrank und legt beides auf den Tisch vor sich.
»Kann sein, dass ich dir weh tun werde.«
Pascal nimmt eine Schere aus dem Kasten und schneidet mein Hosenbein vorsichtig auf. Der Stoff ist mit den Wundrändern verklebt, und ich beiße die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. Ich bin wieder kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Um dem vorzubeugen, bäume ich mich auf, sinke aber gleich darauf wieder kraftlos auf das Kissen zurück.
»Ich werde morgen zusehen, dass ich ein Breitbandantibiotikum auftreibe. Das wird eine eventuelle Blutvergiftung verhindern und deinen Husten in Schach halten«, sagt Pascal, nachdem er die Wunde an meinem Bein gereinigt und einen Verband angelegt hat.
Ich hebe mühselig den Kopf und zähle eins und eins zusammen.
»Dann wirst du jemandem von mir erzählen?«, frage ich panisch und versuche dem prüfenden Blick meines Gegenübers auszuweichen. »Es ist wichtig, dass du mit niemandem über mich sprichst. Ich habe meine Gründe dafür.«
»Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als zumindest meinem Boss zu berichten, dass ich einen Verletzten bei mir aufgenommen habe«, antwortet Pascal zögernd.
Ihm ist anzumerken, dass ihm mein Verhalten mehr als suspekt erscheint. Er streicht sich die halblangen Haare aus dem Gesicht und reibt sich über die Augen.
»Okay«, sagt er nach einem Moment des Schweigens, »ich werde einfach erzählen, dass du heute Nachmittag hier vorbeigekommen bist und mir beim Holzhacken helfen wolltest. Und dabei ist das passiert.«
Pascal deutet auf mein verbundenes Bein.
»Ja, einverstanden«, flüstere ich und blinzele müde.
Das erklärt zwar meine Platzwunde an der Stirn nicht, aber ich bin zu erschöpft,