P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben. Elsbeth Schneider-Schöner

P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben - Elsbeth Schneider-Schöner


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mit harter, ehrlicher Arbeit Geld zu verdienen und euren Familien daheim zukommen zu lassen. Und nicht zuletzt dürft ihr mit der Kraft eurer Hände an der neuen Zukunft mitarbeiten, die unter dem Oberbefehl unseres großen Führers Adolf Hitler für Europa, für die ganze Welt anbrechen wird! Erweist euch dieser Aufgabe als würdig. Denjenigen von euch, die glauben, sie könnten mit Bummelei, Sabotage und polnischer Wirtschaft der deutschen Sache schaden, sei gesagt, dass wir darauf mit härtester Konsequenz reagieren werden! Wer lässig arbeitet, die Arbeit niederlegt, andere Arbeiter aufhetzt, die Arbeitsstätte eigenmächtig verlässt und so weiter, erhält Zwangsarbeit im Konzentrationslager. Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft …«

      Wie immer flossen die Worte wie von selbst aus seinem Mund; er hätte nicht sagen können, wie oft er diese Ansprache schon gehalten hatte. Die Dolmetscherin war heute leider nicht da, so dass er ungeduldig darauf warten musste, bis die halblaute Übersetzung der deutschkundigen Polen zu jedem durchgedrungen war. Er nickte zu den beiden Bauern hinüber. »Wenn Sie selbst schauen wollen?«

      Zögernd gingen der Ortsbauernführer und sein Begleiter auf die Deportierten zu.

      »Könnt ihr Deutsch?«, fragte der Dicke leise. Niemand antwortete, natürlich nicht. Demmler ließ wieder pfeifen.

      »Wer von euch Deutsch kann, vortreten, aber dalli!« Ein knappes Dutzend Leute machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn. Der Lagerleiter zuckte bedauernd mit den Schultern. »Allzu viele sind es nicht. Aber einfache Befehle werden Sie auch den anderen schnell beigebracht haben. Oft kommt es nur auf die Art der Vermittlung an.« Er berührte mit der Hand leicht die Reitgerte, die immer an seiner Seite hing. »Mit ein bisschen Nachdruck versteht selbst der dümmste Polacke, was Sie von ihm wollen.«

      Ortsbauernführer Maifeld nickte, damit war er offensichtlich vertraut. Wenigstens das.

      »Kannst du mähen?«, fragte er jetzt den Ersten. Der Mann nickte. »Melken? Bäume fällen?«

      »Ja«, antwortete der Pole. Mutiger geworden, griff Maifeld nach dessen Oberarm, als wollte er die Muskelkraft dort prüfen.

      »Du gesund? Nichts Schmerzen? Zeig mal Zähne.«

      Gehorsam sperrte der Mann den Mund auf; Demmler schüttelte genervt den Kopf.

      »Die Leute sind alle arbeitsfähig, Ortsbauernführer«, sagte er scharf. »Sie sind desinfiziert, entlaust und ärztlich untersucht worden. Nehmen Sie, was Sie kriegen können, und seien Sie dankbar dafür! Solche Rosinenpickerei ist unsolidarisch gegenüber der Volksgemeinschaft.«

      Verschreckt sprang Maifeld ein paar Schritte zurück. »Entschuldigung, Lagerführer Demmler! Ich – natürlich, Sie haben recht. Ich nehme diese acht Leute hier. Die ersten acht.«

      »Fünf, Ortsbauernführer. Nicht mehr als fünf. Und nicht nur Männer.« Er zeigte nacheinander auf fünf Leute. »Einverstanden?« Der Ortsbauernführer nickte eingeschüchtert. »Also los. Holt euren Krempel und macht euch marschfertig.« Er wandte sich noch einmal an die beiden Bauern. »Seien Sie vorsichtig, wenn Sie mit diesem Pack nach Hause fahren, sonst machen die sich gleich bei der ersten Gelegenheit aus dem Staub! Sie kennen diese Polacken nicht. Die sind hinterfotzig und mit allen Wassern gewaschen, da haben Sie ein Messer im Rücken, bevor Sie bis drei zählen können! Und vergessen Sie nicht, den örtlichen Bauernfamilien die Regeln zum Umgang mit Polen und Ostarbeitern einzubläuen! Der Pole ist unser Feind, das darf niemals vergessen werden.«

      Ortsbauernführer Maifeld, Wachtmeister Rössle und die polnischen Fremdarbeiter legten die Strecke von Bietigheim nach Laifingen mit der Bahn zurück, Holzklasse, über Ludwigsburg, Stuttgart und Herrenberg.

      Im Vergleich zu dem Transport von Warschau nach Bietigheim war dieser Personenzug Luxus, dachte Tomasz. Und im Vergleich zum Leben im Lager würde auch das Leben auf einem Bauernhof Luxus sein, ganz gleich, was man von ihnen erwarten, wie man dort mit ihnen umgehen würde. Die wenigen Tage im Durchgangslager hatten gereicht, um die Furcht und Abscheu davor unauslöschlich in seine Seele, seinen Körper einzubrennen – der allgegenwärtige Schmutz und Gestank, die Enge in den Baracken, in denen sie zusammengepfercht auf primitiven Bettgestellen schliefen, die Wanzen, die Nacht für Nacht über sie herfielen; das widerliche, immer zu knappe Essen, das nicht satt machte, aber wie ein Stein im Magen lag und einen dazu zwang, viel zu häufig die zentrale Latrinengrube aufzusuchen, ein Stück Fegefeuer inmitten der Lagerwelt; die Willkür der Wachen, die jederzeit und ohne Anlass zuschlagen konnten, die Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern der anderen Verschleppten. Verstohlen warf er einen Blick auf den Jungen, der ihm gegenübersaß.

      Janek hatte die Augen geschlossen und hielt den Kopf gesenkt; seine Lippen bewegten sich unablässig, vermutlich betete er den Rosenkranz, dessen Perlen nur in seinem Kopf existierten. Anfangs hatte Tomasz darüber gewitzelt, aber schnell damit aufgehört, als er erkannte, wie gekränkt der Junge jedes Mal war. Vermutlich war es ein Segen, dass er etwas hatte, das ihn innerlich so bestärkte und ablenkte. Ein Segen. Tomasz war sich sicher, dass er das Wort jahrelang nicht in den Mund genommen, nicht einmal gedacht hatte. Ohne diesen verbissenen katholischen Glauben hätte den Jungen die Lagererfahrung möglicherweise noch mehr mitgenommen. Durch die vielen Ungezieferstiche und -bisse sah er aus wie entstellt; schmal und schmächtig, wie er vorher schon gewesen war, machte ihm auch das schlechte Essen mehr zu schaffen, zumal er sich anfangs geweigert hatte, den halb verfaulten Kohl, das angeschimmelte Russenbrot herunterzuwürgen. Wenn diese uniformierten Bauern vom Lagerführer nicht so eingeschüchtert gewesen wären, hätten sie Jan in seinem Zustand niemals mitgenommen. Die anderen Polen, die sie zugewiesen bekommen hatten, waren aus der Gegend von Radom; die Schwestern Mascha und Helena waren nach dem Gottesdienst vor der Kirche in ihrem Heimatdorf einfach verhaftet worden, Pjotr, ein wortkarger Mittdreißiger, hatte sich freiwillig beim örtlichen Arbeitsamt gemeldet, um zu verhindern, dass die Lebensmittelrationen seiner Familie gekürzt wurden – eine übliche Methode der Okkupationsbehörden, um die Anzahl der »freiwilligen« Meldungen zu erhöhen.

      Tomasz bemühte sich, der Unterhaltung der Deutschen unauffällig zu lauschen, aber obwohl er immer geglaubt hatte, die Sprache gut zu beherrschen, verstand er von ihrem Dialekt nicht allzu viel. Aber das konnte auch Vorteile haben. Intellektuelle, intellektuelle Polen vor allem, waren den Nationalsozialisten zuwider und stellten in ihren Augen eine Gefahr dar; unzählige polnische Ärzte, Anwälte, Lehrer, Geistliche, Journalisten waren gleich nach der Besetzung des Landes im Herbst ’39 ermordet oder verschleppt worden. Tomasz’ Freundeskreis hatte sich in diesen Monaten auf eine Handvoll verschreckter Überlebender reduziert, die gerade noch rechtzeitig hatten untertauchen können und sich immer noch fragten, was für ein fürchterlicher Sturm da eigentlich über sie hinweggezogen war. Es konnte nicht schaden, wenn man ihn selbst für einen einfachen Landmann hielt, der irgendwo ein paar Brocken Deutsch aufgeschnappt hatte und sich gerade eben damit verständigen konnte.

      In dem Gespräch der örtlichen Funktionäre schien es darum zu gehen, wie man die Fremdarbeiter auf die Bauernhöfe verteilen sollte. Offensichtlich gab es viel mehr Nachfragen, als Hilfsarbeitskräfte zur Verfügung standen – kein Wunder, da ja so gut wie jeder Mann, der zwei Beine hatte und noch nicht senil war, inzwischen irgendwo an der Front für den deutschen Größenwahn kämpfte. Egal, dachte Tomasz, egal, wo wir hinkommen. Hauptsache, ich kann ein Auge auf den Jungen haben, sonst landet er gleich innerhalb der ersten Wochen auf dem Friedhof oder im KZ.

      Hinter den Zugfenstern glitt die Landschaft vorbei, Wälder, Felder, einzelne Dörfer, kleine Städtchen. Die einzige Großstadt, die sie passierten, war Stuttgart, wo sie umsteigen mussten – ein Provinznest, verglichen mit der Metropole Warschau. Plötzlich bemerkte Tomasz, wie die Deutschen sich gegenseitig anstupsten und vielsagend in Richtung des Jungen blickten, der mit seinem verquollenen Gesicht und den unablässig vor sich hin murmelnden Lippen wirkte, als wäre er nicht ganz gescheit.

      »He, du!«, sagte der größere der beiden Bauern zu Janek und stieß ihn mit der Stiefelspitze an. Jan zuckte zusammen. »He, du sprechen Deutsch?«

      Der Junge wirkte, als käme er nach einem langen Schlaf nur zögernd wieder zu sich. Er setzte sich gerade hin, rieb sich über das Gesicht. Der Deutsche verdrehte die Augen.

      »Ob


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