P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben. Elsbeth Schneider-Schöner

P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben - Elsbeth Schneider-Schöner


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egal, welches von ihnen die Wirtschaft übernimmt. Seit über zweihundert Jahren ist er im Familienbesitz, acht Generationen! Und ich fürchte, ohne die Polen können wir den Betrieb nicht halten. Ich fürchte, wenn ich unsere Quoten nicht abliefern kann, nehmen sie mir alles weg und geben das Land an einen anderen. Es ist Krieg, da ist alles möglich.«

      Und so standen sie jetzt in der früheren Werkstatt, der Bauer und die zwei Polen. Fahrner nahm die Lampe und stellte sie auf die Kiste, die als Tischchen dienen sollte; daneben standen zwei einfache Bettgestelle, die er in den letzten Tagen aus alten Brettern selbst zusammengezimmert hatte, mit Strohmatratzen, Kissen und Wolldecken drauf. Er war zufrieden damit gewesen, was er zustande gebracht hatte – immerhin würde er den Fremdarbeitern nicht zumuten, auf dem Boden zu schlafen, wo sich hier neben dem Kuhstall immer wieder auch Mäuse und anderes Ungeziefer herumtrieben, gelegentlich sogar eine Ratte. Jetzt, im Licht der Petroleumlampe, die beiden Männer an seiner Seite, erschien es ihm roh und armselig. In dem Raum stand die staubige Wärme eines Frühsommertags; es roch nach saurer Milch, Kuhfladen und Mist.

      »Hier schlafen«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen, und zeigte überflüssigerweise auf die Betten. Der Jüngere – hieß er nicht Jan? – antwortete nicht, der Ältere nickte.

      »Schlafen gut«, sagte er und redete dann eine Zeit lang auf Polnisch mit dem Jungen, der immer nur leise, abgehackt darauf antwortete. Ich will wissen, was die sagen, dachte Georg Fahrner unbehaglich. Ich will wissen, was die planen! Reden die über mich? Zwei fremde, kräftige Männer, und ich bin mit den Frauen und den Kindern allein hier auf dem Hof.

      »Morgen früh Arbeit«, unterbrach er schroffer, als er beabsichtigt hatte. »Früh aufstehen, verstanden?«

      »Tack«, sagte dieser Thomas. Von dem Mann ging ein so intensiver Gestank aus, das Fahrner die Kühe fast nicht mehr riechen konnte.

      »Und waschen«, setzte er hinzu und rümpfte unwillkürlich die Nase. »Draußen auf Hof. Da Pumpe, klar?« Er machte eine Geste, als würde er einen Pumpenschwengel auf und nieder bewegen. Sie selbst wuschen sich am Wasserhahn im Haus, seit sie fließendes Wasser hatten legen lassen, aber im Hof gab es immer noch den alten Brunnen, dessen Wasser sie auch für das Vieh verwendeten. Der Pole grinste und zeigte überraschend weiße Zähne.

      »Also. Bald Essen. Meine Tochter Eva bringt Essen, dann Waschen und Schlafen.« Er war sich nicht sicher, ob der Junge irgendein Wort verstanden hatte, aber der Ältere schien zumindest den Großteil dessen zu begreifen, was zu ihm gesagt wurde. Gut, mehr durfte man nicht erwarten, sagte sich Georg. Er würde sehen, wie er mit den beiden zurechtkam. Er nickte ihnen ein letztes Mal zu. »Gute Nacht.«

      Sollte er abschließen?, überlegte er, während er nach draußen ging. Sollte er abschließen, Eva dann wieder aufschließen, das Essen hineintragen, dann wieder abschließen? Was für ein Umstand. Und wenn die beiden sich wuschen? Musste er daneben stehen, um sie danach wieder einzuschließen? Ich bin kein Gefängniswärter, sondern Bauer, dachte er missmutig, entschloss sich aber trotzdem, den Schlüssel herauszuholen und die Tür mit dem Vorhängeschloss abzusperren. Wenigstens heute, am ersten Abend. Wenigstens einmal, um der Pflicht Genüge zu tun. Wer weiß, vielleicht kam der Rössle noch einmal vorbei oder schickte einen von den Pimpfen, um sie zu kontrollieren. Diese Jungen waren so verbohrt und verbiestert, schlimmer als die Erwachsenen. Die würden noch den eigenen Vater ans Messer liefern. Oft hatte er schon den Tag verflucht, an dem er Karl und Joachim erlaubt hatte, der Hitlerjugend beizutreten und sich diese Uniform zu kaufen. Wobei es auf seine Erlaubnis ja gar nicht angekommen wäre, denn das Recht des Reiches auf seine Söhne und Töchter sollte plötzlich größer sein als sein eigenes. Der Ton hatte sich geändert danach, dachte er. Sein Wort, das Wort des eigenen Vaters, war plötzlich nicht mehr unumstößlich gewesen, sondern klein und unwichtig geworden im Vergleich zum Wort des Führers. Nicht, dass er selbst die Autorität des Führers in Frage stellen wollte, das nicht. Der Führer hatte Deutschland wieder groß gemacht und dafür gesorgt, dass man wieder stolz darauf sein konnte, ein Deutscher zu sein, vor allem ein deutscher Bauer. Es war wichtig, dass die jungen Leute lernten, den Boden unter ihren Füßen zu achten, die heilige deutsche Erde, auf der schon ihre Väter und Großväter geschuftet hatten. Das war Nationalsozialismus, so wie Georg Fahrner ihn verstand. Was er nicht verstand, war, dass ein Geländespiel oder eine Kundgebung auf dem Marktplatz in Tübingen wichtiger sein sollte, als den Eltern beim Heueinbringen vor dem Gewitter zu helfen.

      Das Schloss klemmte, es war rostig, ewig lang hatte es auf der Bühne herumgelegen. Trotzdem. Er fummelte am Schlüssel herum. Die Polen sollten von vornherein wissen, wie es hier zuging, was ihr Platz war. Er drehte sich um, und ein wohl vertrauter Schmerz fuhr ihm ins linke Knie. Vor Jahren beim Holzfahren war ihm das Bein von einem Baumstamm gequetscht worden – er hatte es eilig gehabt damals und die Ladung nicht gut genug verzurrt, so dass sie auf dem abschüssigen Weg ins Dorf hinunter ins Rutschen gekommen war. In der letzten Zeit machte sich die alte Verletzung immer öfter bemerkbar – bei ungeschickten Bewegungen, wenn das Wetter sich änderte, manchmal aber auch völlig unerwartet und aus dem Nichts heraus. Du wirst alt, sagte das Knie, pochte bösartig und zwang ihn, kurz stehen zu bleiben und scharf den Atem einzuziehen. Du schaffst es nicht mehr! Fahrner humpelte zum Wohnhaus hinüber. Es war gut, dass die Polen da waren, sagte er sich mit zusammengebissenen Zähnen.

      Tomasz hörte, wie der Bauer mit dem Schlüssel kämpfte, hörte die Schritte sich entfernen.

      »Hörst du?«, sagte er zu dem Jungen und legte den Finger an die Lippen, als er sah, dass Janek antworten wollte. »Psst. Nur hören.« Er schloss die Augen, verharrte für ein paar Herzschläge reglos vor der blakenden Lampe. Eine Kirchenglocke läutete drei Schläge, etwas raschelte, im Stall nebenan klirrte eine Kette; Stimmen, leise, gedämpfte Stimmen verschlangen sich weit draußen ineinander, schwangen hin und her, verebbten. Es tat gut, ganz diesen Geräuschen hinterherzulauschen und der Stille, die sich immer wieder dazwischen öffnete. Eine Stille, die er mit dem ganzen Körper wahrnehmen konnte. Seit sie ihn in Warschau verhaftet hatten, war es das erste Mal, dass er nichts hörte, was ihm Angst machte.

      »Merkst du? Niemand schreit«, sagte er schließlich. »Es hört sich an wie zu Hause. Wie Frieden.« Der Junge sah ihn unsicher an.

      »Findest du?«

      Tomasz lachte leise. »Ich träume. Und, was sagst du zu unserem neuen Zuhause?«

      »Besser als das Lager. Aber immer noch in Deutschland.« Jan klopfte mit der Hand auf die Strohmatratze, auf der er saß; Staub stieg in kleinen Wölkchen auf. »Hast du verstanden, was die gesagt haben? Ich hätte nicht mal erkannt, dass das Deutsch war. Und ich habe Hunger! Meinst du, die bringen uns noch etwas?«

      »Bestimmt. Das zumindest habe ich verstanden.« Tomasz legte Jan die Hand auf die Schulter und sah ihm prüfend ins Gesicht. Eine Woche im Lager, und von dem zornigen, vaterlandstrunkenen Jungen war nichts mehr übrig geblieben außer einem Häufchen Elend und Dreck. »Bestimmt gibt’s hier viel besseres Essen als unterwegs und im Lager. Die Bauern schaffen es doch immer, etwas für sich selbst auf die Seite zu schaffen. Die haben sogar noch Butter und Fleisch, sollst sehen!«

      »Ich will meinen Eltern schreiben«, sagte Jan unvermittelt. »Die wissen immer noch nicht, wo ich bin. Wahrscheinlich sind sie halb verrückt vor Sorge! Kannst du fragen, ob sie dir Papier geben und einen Bleistift?« Tomasz nickte.

      »Sicher. Ich glaube, Schreiben war nicht bei den Dingen dabei, die verboten sind. Aber ich bin sicher, dass irgendjemand kontrolliert, was du geschrieben hast, also sei vorsichtig.«

      »Vorsichtig!« Der Junge legte sich auf die Matratze zurück und schloss die Augen. »Weißt du, was ich gedacht hab, als wir heute Morgen im Lager antreten mussten?«

      Tomasz war schon dabei, ihre Unterkunft genauer in Augenschein zu nehmen: klein auf jeden Fall, aber sauber. Jetzt im Juni war es schon stickig und warm hier drin, im Hochsommer würden sie vermutlich in ihrem eigenen Schweiß ertrinken. Und im Winter würde es zwischen den Brettern kalt hereinziehen, aber vielleicht konnten sie ja ein bisschen Stroh in die Ritzen stopfen.

      »Tomasz?«

      »Also, was hast du gedacht?« Er fuhr mit der Daumenkante über das Bettgestell; das Holz war nur grob


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