P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben. Elsbeth Schneider-Schöner
– Thomas? Theo? Tillmann? – grinste dämlich und griff erst nach seiner schmutzstarrenden Hose, dann nach den Schuhen, deren Spitzen aufklafften wie hungrige Hundeschnauzen. Dringend brauchten die beiden anständige Arbeitskleidung, dachte Fahrner, wenigstens Schuhe, die nicht gleich am ersten Tag auseinanderfielen. Vielleicht konnte Marie sich ja darum kümmern, dass sie wenigstens diese Holzpantinen bekamen. Inzwischen hatte sich auch die zweite Gestalt erhoben. Der Junge stank doch tatsächlich noch genauso wie gestern! Entschlossen packte der Bauer den Polen am Arm und zerrte ihn über den Hof zur Pumpe.
»Da, mach, dass du den Dreck runterkriegst! Kein Mensch kann neben dir arbeiten bei dem Gestank. Und sieh zu, dass du in zehn Minuten fertig bist, sonst sollst du mich kennenlernen! Wir müssen raus und Grünschnitt machen.« Der Junge sah ihn erschreckt an, zerrte sich die Kleider herunter und griff nach dem Pumpenschwengel. Wenn nicht die Worte, so hatte er vermutlich zumindest den bedrohlichen Ton verstanden, dachte Fahrner. Diese Polen waren doch ein unzivilisiertes Pack! Er war froh, dass Marie und Eva noch im Haus beschäftigt waren. Inzwischen war der Ältere der beiden immerhin so weit, dass er helfen konnte. Zusammen holten sie den Wagen aus dem Schuppen und spannten das Zugtier davor. Georg Fahrner nahm eine Sense von der Wand und hielt sie dem Polen hin.
»Hier, weißt du, was das ist? Kannst du damit umgehen?« Der Mann nickte bestätigend, packte sich die Sense und tat so, als würde er gleich hier auf dem Hof anfangen zu schneiden. Immerhin, dachte Fahrner. Der hat so ein Ding schon einmal in der Hand gehabt und hackt sich nicht gleich damit ins Bein. Inzwischen war auch der Junge zu ihnen herübergelaufen, Haare und Kleidung triefend nass, einen verschreckten Ausdruck im Gesicht. Mein Gott, der Bursche hatte Angst vor ihm! Fast tat es Fahrner leid, dass er den Kleinen so grob angefasst hatte – bis zum Abend war er vermutlich sowieso wieder genauso verdreckt wie gestern. Andererseits war es wichtig, von vornherein klarzustellen, dass es das Wort des Bauern war, das uneingeschränkt hier auf dem Hof galt – sein Wort. Und dass sie zu parieren hatten, wenn er eine Anweisung gab, sofort und ohne Widerspruch.
»Also. Wir laufen in die Wiese und schneiden Futter für das Vieh, verstanden?« Der ältere Pole nickte, lud Sensen und Heugabeln auf den Wagen, der jüngere zögerte erst unsicher und trottete dann hinter ihnen her den holprigen Feldweg zum Maderbach hinunter, wo Fahrners Wiesen lagen.
Ob der Junge wohl fror in seinen nassen Kleidern?, überlegte Tomasz, während er hinter dem Bauern her durch den Morgennebel lief. Die Feuchtigkeit hing noch in dicken Tropfen an den Blättern der Brombeerhecke und lag als Tau auf den Wiesen, drang durch seine löchrigen Schuhe und klebte in lehmigen Brocken unter seinen Sohlen. Allmählich wurde es hell; bald würde die Sonne durchbrechen und das Gras trocknen. Grünfutter musste geschnitten werden, solange es noch feucht war, das wusste Tomasz. Es war immer eine der ersten Arbeiten, die in dieser Jahreszeit auf einem Hof verrichtet wurde, und er erinnerte sich noch gut daran, wie anstrengend es für ungeübte Arme war, die Sense zu führen. Janek, so viel war klar, hatte überhaupt noch nie damit gearbeitet; es würde ein harter Tag für ihn werden, eine harte Anfangszeit überhaupt, und es gab wenig, was Tomasz dabei für ihn tun konnte. Er hoffte, der Junge wäre zumindest so klug, sich eifrig und lernwillig zu zeigen, so dass der Bauer nicht auf die Idee käme, ihn zurück ins Lager zu schicken oder wegen Arbeitsverweigerung und Bummelei anzuzeigen. Lass ihn doch selbst sehen, wie er zurechtkommt, sagte eine vernünftige Stimme in seinem Kopf. Bist du etwa für ihn verantwortlich? Ich weiß es nicht, sagte er sich. Irgendwie schon.
»So musst du’s halten, und dann aus der Hüfte heraus schwingen …« Der Bauer stand hinter Janek und führte seine Hände. »Versuch’s einfach, mit der Zeit wird es immer besser. Und du«, er nickte Tomasz zu, »übernimmst den Teil da drüben, wo’s steiler wird.« Er griff zu seiner eigenen Sense und mähte in kraftvollen Schwüngen, wobei er alle acht, neun Schritte kurz innehielt, um Rücken und Beine zu strecken. Tomasz fand, dass er nach den ersten noch mühsamen Bewegungen allmählich wieder ein Gefühl für die Sense bekam und einigermaßen mit dem Alten mithalten konnte.
»Sieht aus, als hättest du dein Lebtag nichts anderes gemacht«, keuchte Jan, nachdem er zum wiederholten Mal die Klinge in den Erdboden geschlagen hatte.
»Meine Großeltern hatten einen Hof bei Białowieża. In den Sommerferien sind wir immer dorthin gefahren und haben beim Heuen und Ernten geholfen.« Tomasz grinste und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. »Ich hab’s gehasst, diese elende Hitze und den Dreck und die juckenden Halme, aber das war der Preis dafür, dass wir später Pakete vom Schlachtfest in die Stadt geschickt bekommen haben und gedörrtes Obst und selbst gemachte Marmelade. Alles, was so anfiel.« Er nickte dem Jungen aufmunternd zu. »Am Anfang hab ich mich auch nicht besser angestellt als du … Das dauert ein paar Tage, dann hast du’s raus!« Er fasste nach der Sense und fuhr mit dem Daumen an der Klinge entlang. »Stumpf, Kleiner. Das kann so nichts werden.« Er holte sich den Wetzstein, den der Bauer in einer Lederschlaufe am Gürtel trug, und fuhr ein paarmal damit über das Sensenblatt. »So geht es wieder. Stell dir einfach vor, es sind die Lagerwachen, die da vor dir stehen, und du ganz allein mit einer Sense in der Hand … Auf geht’s.«
Nachdem sie eine gute halbe Stunde gemäht hatten, ließ der Bauer sie mit den Heugabeln das Schnittgut aufladen und nach Hause fahren. Inzwischen war es ganz hell geworden; Marie Fahrner und Eva waren gerade fertig damit, die Kühe zu melken, und brachten die vollen Kannen in den Hof, während die Zwillinge mit der Pumpe die Viehtränke füllten. Georg Fahrner kniff die Augen zusammen und betrachtete abschätzend seine neuen Hilfskräfte.
»Du da, Thomas! Du gibst den Kühen Grünzeug in die Krippe, gehst dann mit dem Rest in die Scheuer, häckselst ihn klein und breitest ihn aus, dann kannst du beim Misten helfen. Warte, ich zeig dir die Häckselmaschine, du verstehst ja doch nicht, was ich sage! Und der Kleine bringt die Milch weg. Eva!« Eva kam zu ihnen herüber, ein kariertes Kopftuch um den Kopf geschlungen, alte Schuhe an den Füßen, die Kleidung unter einer riesigen Schürze verborgen. »Du gehst mit und zeigst ihm das Milchhäusle, dass er es heute Abend allein findet.« Er nickte ihr zu und stapfte dann Richtung Scheuer davon.
»Komm.« Eva wandte sich an den Jungen. »Wir stellen die Kannen in die kleine Karre, sie steht hinten im Stall.« Der Pole sah sie verwirrt an, offenbar hatte er nicht verstanden, was sie von ihm wollte. Sie zupfte an seinem Ärmel. »Da drüben, verstehst du? Der Stall! Kuhstall! Komm mit!« Sie zog ihn hinter sich her, deutete auf den Bollerwagen. »Karre, verstehen? Die Karre für die Milchkannen.« Das immerhin schien er mitbekommen zu haben. Er nahm die Kannen und hob sie auf den Wagen. »Jeden Morgen und jeden Abend nach dem Melken bringen wir die Milch zum Milchhäusle, sie wird dann abgeholt und nach Tübingen gebracht …«
Eigentlich war es eine der Aufgaben, die sie gern machte, dachte Eva, als sie gemeinsam den Bollerwagen zogen. Meistens traf man am Milchhäusle andere junge Leute und konnte ein bisschen schwätzen oder sich für später verabreden. Der junge Pole an ihrer Seite dagegen blieb stumm.
»Wie heißt du?«, fragte sie schließlich. »Ich bin die Eva.« Der Junge sah sie an, und Eva merkte, dass er sich nicht traute, ihr geradeaus ins Gesicht zu schauen. Die Polacken sind feige Duckmäuser, schoss es ihr durch den Kopf. Joachim musste es in einem seiner Briefe geschrieben haben.
»Jan«, sagte da der Pole. »Ich Name Jan. Janek.«
»Jan, das gibt es hier auch. Das ist wenigstens nicht so schwierig auszusprechen! Die Bäumers hatten mal einen Polen, der hieß Walslaff oder so ähnlich, den haben alle immer nur Walter genannt …« Was rede ich für einen Unsinn?, dachte Eva. Wahrscheinlich sollte ich überhaupt nicht mit ihm sprechen, schließlich ist er nur ein Pole. Aber es war irgendwie peinlich und beklemmend, so wortlos nebeneinanderher zu laufen. »Wo kommst du her? Aus Polen, klar, das weiß ich, aber gibt es da eine Stadt oder so?«
»Lewoh«, sagte Jan leise. Eva lachte.
»Lebwohl?«
»Nein. Lewoh.«
Konnte es eine Stadt geben, die Lewoh hieß? Sie musste auf der großen Karte im Schulhaus nachschauen. Vielleicht konnte sie mit Charlotte zusammen heute Abend hingehen.
»Und deine Familie? Mein Bruder Joachim ist in Warschau, und die Zwillinge kennst du ja schon. Sie heißen Hans und Emil. Joachim ist mit Charlotte