P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben. Elsbeth Schneider-Schöner
Und die zwei Polacken stehen daneben und lachen sich ins Fäustchen. Wir sind im Krieg, nicht im Sandkasten! Los, Maifeld, lies die Anweisungen zum Umgang mit polnischen Fremdarbeitern vor.«
Der Ortsbauernführer räusperte sich. »Deutscher Bauer, deutsche Bäuerin, werde nicht zu Verrätern an der deutschen Volksgemeinschaft! Die Polen gehören nicht zur deutschen Volksgemeinschaft. Wer sie wie Deutsche behandelt oder gar noch besser, der stellt seine eigenen Volksgenossen auf eine Stufe mit den Fremdrassigen. Vergiss es nie: Der Pole ist unser Feind! Er kann nicht dein Haus- oder Tischgenosse, erst recht nicht dein Freund sein! Wenn es nicht zu vermeiden ist, dass sie mit Euch unter einem Dach wohnen, dann bringt sie so unter, dass jede engere Berührung mit Eurer Familie ausgeschlossen ist. Alle im Reichsgebiet zum zivilen Arbeitseinsatz eingesetzten Polinnen und Polen haben auf der rechten Brustseite jedes Kleidungsstückes ein mit ihrer jeweiligen Kleidung fest verbundenes Kennzeichen – lila ›P‹ auf gelbem Grund – stets sichtbar zu tragen. Seid zu stolz, Euch mit Polen einzulassen! Seid gegenüber den Polen selbstbewusst, seid stolz auf Eure Überlegenheit in jeder Beziehung! Lasst keinen Zweifel daran, dass Ihr die Herren im eigenen Land seid! Jede Art von Kontakt, die über das hinausgeht, was zur Arbeit absolut erforderlich ist, ist verboten. Kontakte zwischen deutschen Frauen und polnischen Männern sind strengstens verboten und werden mit Schutzhaft für die Frau und der Todesstrafe für den Polen geahndet. Haltet das deutsche Blut rein! Gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch sind verboten, ebenso Wirtshaus-, Theater- und Kinobesuche. Der Kirchgang ist verboten, genauso der Ausgang bei Dunkelheit. Polen dürfen nicht fotografieren, kein Fahrrad besitzen oder damit fahren. Die Benutzung der Reichsbahn und der örtlichen Bus- und Tramlinien ist verboten, in besonderen Fällen kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Arbeitsverweigerung, Sabotage und Aufsässigkeit sind der Ortspolizeibehörde zu melden und werden strengstens bestraft.«
Charlotte musste sich zwingen zuzuhören. Maifeld war es nicht gewöhnt, einen längeren Text zu lesen; immer wieder stolperte und stockte er, legte Pausen ein, wo keine Pausen hingehörten, und wischte sich schließlich erleichtert mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, als er endlich fertig war. Obwohl er damals alle Hebel in Bewegung gesetzt und sogar bei der Kreisleitung vorgesprochen hatte, war es ihrem Vater nicht gelungen, Maifeld als Ortsbauernführer zu verhindern – als einer der Ersten, die sich der Bewegung angeschlossen hatten, galt Erich Maifeld als absolut zuverlässig und seine bescheidenen intellektuellen Fähigkeiten als Nebensache.
»Hier gibt es noch ein Merkblatt, da könnt ihr alles nachlesen. Und morgen als Erstes gehst du zur Polizei und meldest die beiden an.«
Inzwischen war auch Marie Fahrner zu der Gruppe getreten und sagte etwas, worauf Maifeld hilfesuchend zum Wachtmeister sah.
»Hm, soweit ich weiß – also eine richtige Kleiderkarte ist nicht vorgesehen, jedenfalls nicht sofort, warte mal …« Rössle zog ein Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin herum. »Spinnstoffkarte, hier ist es. Sie kriegen eine Spinnstoffkarte und Holzschuhe. Die Holzschuhe kannst du auf dem Rathaus abholen, die kriegen sie aus Tübingen geliefert.«
»Holzschuhe?!«, fragte Georg Fahrner. »Die sollen in Holzschuhen auf dem Feld schaffen?«
Der Wachtmeister nickte. »Genau. Du weißt ja selbst, wie knapp das Leder ist, und Holzschuhe halten ewig. Und schnell rennen kann man damit auch nicht. Dürfte schwierig sein, damit zu Fuß bis nach Polen zurückzukommen.« Nur Maifeld lachte. »Und was die Kleidung angeht …« Rössle maß die beiden Polen mit einem abschätzigen Blick. »Also, zu Hause laufen die auch nicht anders rum. Und außerdem ist ja Sommer, da wird es wohl reichen.« Er klappte sein Notizbuch wieder zu. »Noch Fragen? Sonst lasse ich euch die beiden jetzt da. Wir sind schon den ganzen Tag wegen dieser Scheißpolacken unterwegs, wir haben auch noch etwas anderes zu tun. Heil Hitler.«
Eine eigenartige Stille breitete sich aus, nachdem die zwei Uniformierten den Hof verlassen hatten. Wie in einem Theaterstück, bei dem die Schauspieler den Text vergessen haben, dachte Charlotte. Aber vielleicht musste der Text ja auch erst gefunden werden. Vielleicht war ja noch gar nicht klar, was für ein Stück gegeben wurde. Jeder schien darauf zu warten, dass der andere etwas sagte, dem Geschehen eine Richtung gab. Schließlich straffte Georg die Schultern.
»Ich zeige euch eure Unterkunft«, sagte er laut und in bemühtem Hochdeutsch. »Schlafen, versteht ihr?«
Der Ältere der beiden nickte. »Ich deutsch«, sagte er und zeigte erst auf den Jungen, dann auf sich selbst. »Jan. Tomasz.« Der alte Bauer nickte.
»Ich bin der Georg Fahrner, meine Frau Marie, die Bäuerin … Das sind Eva, Hans und Emil, unsere Kinder. Und Charlotte, die Braut von unserem Sohn Joachim.«
»Joachim ist in Polen«, sagte Marie Fahrner. »In Warschau.« Bei diesen Worten zuckte der Junge zusammen, während der Ältere zum ersten Mal der Bäuerin ins Gesicht sah.
»Warschawa«, sagte er. »Ja. Ich komme Warschawa.« Charlotte verstand, dass die Bäuerin den Fremden etwas hatte sagen wollen, das sie miteinander verband, aber aus dem Mund des Polen hörte es sich so an, als wäre es etwas, das sie trennte. Als wären mit Warschau und Warschawa zwei unterschiedliche Städte gemeint. Sie spürte, wie die Röte ihr vom Hals ins Gesicht stieg, und war erleichtert, als Georg Fahrner mit einem Schulterzucken der eigenartigen Vorstellung ein Ende bereitete.
»Kommt mit. Ihr schlaft in der alten Werkstatt.« Er ging voran zum Kuhstall hinüber, die beiden Polen folgten ihm und verschwanden hinter der Stalltür.
»Bestimmt haben die Hunger.« Marie wandte sich an ihre Tochter. »Eva, du bringst den beiden Kraut und Brot … und ein Handtuch und Seife. Zeig ihnen die Pumpe im Hof, die sollen sich erst mal waschen.«
6
Bis vor zwanzig, dreißig Jahren war Laifingen ein Dorf der Weber gewesen. Auf einem Teil der Feldflur war Flachs angebaut worden, und im Frühsommer hatte die Blüte wie ein blauer Schleier über der Landschaft gelegen. Jeder zweite Kleinbauer hatte sich im Winter mit der Herstellung von Leintuch ein paar Groschen dazuverdient, sauer verdient, denn zwischen der Ernte der Leinstängel und dem Weben des Stoffes lagen zahlreiche kraft- und zeitintensive Arbeitsschritte. In dieser Zeit hatte auch Georg Fahrners Großvater an den großen Viehstall einen Schuppen angebaut und darin seinen Webstuhl aufgestellt. Inzwischen war die Hausweberei längst unrentabel geworden, der Webstuhl eingemottet, und in der ehemaligen Weberwerkstatt hatte jahrelang nur alter Krempel herumgestanden. Dieser Raum, hatten Georg und Marie Fahrner entschieden, war ideal für die Unterbringung der Polen geeignet: Er lag nicht im Wohnhaus selbst, aber gleich nebenan, wurde im Winter gewärmt von den Kühen, die nur durch eine Bretterwand getrennt in ihrem Stall standen, und konnte von draußen mit einem Vorhängeschloss gesichert werden, worauf besonders der Oberwachtmeister Wert gelegt hatte. Einziger Nachteil war, dass es im ganzen Stallgebäude kein elektrisches Licht gab.
»Meinst du nicht, die brennen uns den Hof ab, wenn wir denen eine Petroleumlampe reinstellen?« Der laute Widerspruch der Bäuerin gegen die Zuweisung von polnischen Fremdarbeitern war zwar verstummt, aber ihr Misstrauen, ihr Widerwillen und ihre Angst sprachen aus jeder ihrer Bewegungen, aus der Vehemenz, mit der sie auf ihren Brotteig einschlug, der fahrigen Ungeduld beim Füttern der Hühner und selbst noch aus der Heftigkeit, mit der sie sich das Kopftuch zuknotete. »Der Heuboden ist ja gleich darüber!«
»Kann ich mir nicht vorstellen.« Georg Fahrner schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn’s im Stall anfängt zu brennen, sind die im Weberschuppen doch viel gefährdeter als wir. Die werden sich doch nicht die eigene Bude anstecken. So verrückt sind die nicht.«
Er betrachtete die Frau, die an seiner Seite alt und faltig geworden war. Sie waren inzwischen so lange verheiratet, dass er sich ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen konnte. Ohne lange zu überlegen, glaubte er zu wissen, was sie dachte, wovor sie sich fürchtete, wovon sie träumte, so wie sie das Gleiche von ihm wusste. Bisher war es nie nötig gewesen, darüber zu sprechen. »Hör zu, Marie … Ich weiß ja, wie schwer es für dich ist, die Polen hier aufzunehmen, und wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, dann würde ich sie nutzen, bestimmt. Ist ja nicht so, als hätte ich den Karl vergessen! Ich geh schließlich auch