Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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konnten. Diese Drohne, genannt Larynx, wurde zunächst in beschränkter Stückzahl gebaut und war so konzipiert, dass sie auf einer vorherbestimmten Flugbahn (mit etwas Glück) das Ziel erreichte. In den 1930er Jahren wurden verschiedene Ansätze zur Fernsteuerung des Larynx erprobt und neue Mechanismen zur Erkennung und Eliminierung der Ziele entworfen. Eine dieser Ideen bestand darin, den Larynx mit einem »elektronischen Auge« zu versehen, ein von dem Erfinder S. G. Brown entwickeltes Gerät, das fotoelektrische Zellen so einsetzte, dass sie das Flugzeug auf alles, was es »sah«, hinsteuern konnten. Das elektronische Auge, das als Mittel zur Überwindung der menschlichen Kontrolle erachtet wurde, sollte dem Larynx ermöglichen, seine »Beute« so lange zu verfolgen, bis es zur Kollision kam. So sollte er die Fähigkeit erlangen, seine eigene Position zu verorten und selbstständig auf Ziele wie Scheinwerfer oder andere Infrastrukturen hinzusteuern.

      Auch wenn die Version des Larynx mit elektronischem Auge nie erfolgreich gebaut wurde, kann sie doch in gewisser Hinsicht als Vorläufer der Präzisionslenkraketen oder Raketen mit Wärmesensoren gelten, die die heutigen Anstrengungen zur Entwicklung autonomer Drohnen ankündigten. Tatsächlich zeigt die fortlaufende Entwicklung der Drohnen im 20. Jahrhundert, dass die automatisierte und rechnergestützte Zielidentifikation immer eines der Hauptziele dieser Forschungsprogramme geblieben ist. In den 1960er Jahren entwickelte das amerikanische Unternehmen Ryan Aeronautical eine Aufklärungsdrohne, die Tausende Einsätze während des Vietnamkrieges und in Südostasien flog. Diese gemeinhin als Lightning Bug (Glühwürmchen) bezeichnete Drohne reiht sich in die Handvoll unbemannter Überwachungsflugzeuge ein, die die Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges entwickelt haben.

      Das Lighning Bug-Programm wurde letztlich gestoppt, doch diejenigen, die daran beteiligt gewesen waren, hatten keinen Zweifel am enormen Potenzial dieser Fluggeräte, die aus ihrer Sicht Teil neuer nachrichtendienstlicher Aufklärungstechniken auf elektrischer und elektromagnetischer Basis bildeten. Zum Beispiel war eine Version des Lighting Bug mit Sensoren ausgestattet, die Stützpunkte mit Luftabwehrgeschützen erkennen können sollten. Fast zur selben Zeit entwickelte Lockheed die Tagboard, die eine unbemannte Alternative zum Spionageflugzeug U-2 bot und somit die der bemannten Steuerung inhärenten Grenzen überwand. Drohnen wie die Tagboard konnten länger in der Luft bleiben und eine kontinuierliche und langfristige Überwachung liefern. Diese Überwachungsfähigkeit war einer der Gründe, aus denen im Rahmen der US- und NATO-Luftschläge im Kosovo Ende der 1990er Jahre die Drohnen – nach dem Vorbild einer ersten unbewaffneten Version der Predator – in die Missionen mit dynamischer Zielfestlegung integriert wurden. Vor dem 11. September 2001 war dies der intensivste Drohneneinsatz in der Geschichte amerikanischer Militäreinsätze.

       »Der Blick, der tötet«

      Die Drohnenangriffe unserer Gegenwart sind also nicht aus dem Nichts entstanden. Will man die heutigen Drohnen verstehen, muss man bedenken, dass durch Bestückung der Predator mit Hellfire-Raketen zum ersten Mal zwei zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte der Drohnen entwickelte Aspekte der Drohnentechnologie miteinander kombiniert wurden: die Fähigkeiten zur Überwachung und zum Zielbeschuss. Der Prozess der Aufklärung und Identifizierung der Ziele einerseits und die Mechanismen zu ihrer Eliminierung andererseits, die normalerweise räumlich und zeitlich getrennt waren, unterscheiden sich immer weniger. Grégoire Chamyou hat dies als den »Blick, der tötet«, beschrieben. Je mehr sich diese Prozesse beschleunigen, desto mehr verschwindet das menschliche Bedienpersonal aus der Entscheidung zum Angriff und desto weniger Zeit und Spielraum bleiben uns zur kritischen Prüfung und Reflexion.

      Während sich der Zielapparat der Drohnen zunehmend auf Metadaten, Algorithmen und Automatisierung stützt, ist es außerdem notwendig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie Individuen allmählich in Abstraktionen verwandelt werden, und zwar in dem Maße, wie die »Analyse der Lebensgewohnheiten« immer öfter als Grundlage der Drohnenangriffe dient. Die militärischen und akademischen Argumente für die Entwicklung automatisierter Drohnen betonen deren Fähigkeit zur Berechnung und Bewältigung gigantischer Datenmengen, die ihnen erlauben, besser und schneller zu entscheiden und zu töten, als Menschen dies können. Manche Kritiker*innen erwidern, dass die Entscheidung über das Töten aus grundsätzlichen ethischen Erwägungen das Vorrecht der Menschen bleiben muss. Allerdings trägt diese Debatte nicht recht der Tatsache Rechnung, dass die Verschiebung hin zur Automatisierung nur das Ergebnis einer viel älteren Geschichte von Versuchen ist, unbemannte Flugzeuge in Militäroperationen zu integrieren. Die Berücksichtigung dieser Geschichte zeigt, dass die Frage nicht so sehr als diejenige nach dem Roboter- oder nichtmenschlichen Krieg gestellt werden darf: Die heutigen Drohnenangriffe stellen nur neue Formen dar, in denen die Menschen – wie sie es immer versucht haben – die geografischen und technologischen Grenzen des Krieges verschieben.

      Katharine Hall ist Postdoctoral Fellow am Institut für Geografie in Dartmouth. Sie arbeitet über westliche Gewalt und die gegenwärtigen Konfigurationen der Staatsmacht.

       Literaturhinweise

      Zu Daten über die Drohnenangriffe siehe Jessica Purkiss und Jack Serle, »Obama’s Covert Drone War in Numbers: Ten Times more Strikes than Bush«, The Bureau of Investigative Journalism, 17. Januar 2017, https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2017-01-17/obamas-covert-drone-war-in-numbers-ten-times-more-strikes-than-bush [10. 6. 2019].

      Zu Quellen über die Geschichte der Drohnentechnologie siehe Katharine Kindervater, »The Emergence of Lethal Surveillance. Watching and Killing in the History of Drone Technology«, Security Dialogue 47, Nr. 3 / 2016, S. 223–238.

      Zu spezifischen Informationen über den Vietnamkrieg siehe Ian Shaw, Predator Empire. Drone Warfare and Full Spectrum Dominance (Minneapolis 2016).

      Für Beispiele der Debatte über automatisierte Drohnen siehe Ronald Arkin, »The Case for Ethical Autonomy in Unmanned Systems« (Journal of Military Ethics 9, Nr. 4 / 2010), sowie Peter Asaro, »On Banning Autonomous Weapon Systems. Human Rights, Automation, and the Dehumanization of Lethal Decision-Making« (International Review of the Red Cross 94, Nr. 886 / 2012, S. 687–709). Siehe auch Grégoire Chamayou, Ferngesteuerte Gewalt (Wien 2014).

       Querverweise

      Technologie ist nichts ohne Strategie132

      Der Bombenkrieg, vom Boden aus betrachtet568

      Richard Overy

       Der Aufstieg des Kriegsstaates

      Nur durch extreme Beanspruchung ihrer ökonomischen Ressourcen und ihrer aktiven Bevölkerung konnten die Staaten im 20. Jahrhundert Kriege auf globaler Ebene führen. Sowohl Demokratien als auch Diktaturen haben dabei ihre Vorrechte und ihre Macht ausgebaut.

      Über Jahrhunderte haben die Staaten Kriege geführt, aus denen sie gestärkt oder geschwächt hervorgingen. Die qualitative Veränderung des Krieges im 20. Jahrhundert hingegen hat den Staaten die Mobilisierung ihrer gesamten ökonomischen Ressourcen und aktiven Bevölkerung abverlangt, um in den Krieg ziehen und die Kriegsanstrengung aufrechterhalten zu können. Indem sich der Staat in den »totalen Krieg« stürzte, wie man ihn von nun an nannte, hat er selber Veränderungen durchlaufen. Doch die Wirkung war eine gegenseitige: Der Übergang zum totalen Krieg, wie er sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzog, ist auch eine Folge der ökonomischen und sozialen »Modernisierung« des Staates. Ohne einen Staat mit voll entwickelter Verwaltungsstruktur, hochentwickelten Kommunikationsmitteln, Statistikamt, einer Propaganda, die die Bevölkerung überzeugen


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