Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Bevölkerung und der ökonomischen Ressourcen nur wenig bewirken können.

      Da diese Bedingungen erfüllt waren, konnten die Großmächte zur Zeit der Massenmobilmachung zwei Weltkriege führen und die Supermächte des langen Kalten Krieges dank beträchtlicher und weiterentwickelter militärischer Mittel ihre Kriegsbereitschaft aufrechterhalten. In der Gegenwart haben sich kleinere Länder manchmal durch den Krieg gezwungen gesehen, sich zu »Kriegsstaaten« zu entwickeln. Das gilt beispielsweise für Israel, den Irak und Nordkorea, wo der Zustand ständiger militärischer Bereitschaft eine große Rolle spielt.

       Anfänge des »Militär-Industrie-Komplexes«

      Die Beziehung zwischen Kriegführung und Staatsmacht gab es lange vor dem 20. Jahrhundert. Das Ausmaß der französischen Revolutionskriege und des Ersten Weltkrieges zwangen die Großmächte zu einer umfangreichen Mobilisierung der Arbeitskräfte und industriellen Ressourcen. Wehrpflicht und Beschlagnahme erweiterten die Befugnisse des Staates, auch wenn für den Hauptteil der ökonomischen Erfordernisse des Krieges noch nichtstaatliche Akteure verantwortlich blieben und die lokalen Behörden maßgeblich an der Mobilmachung beteiligt waren. Zu dieser Zeit befand sich der »Militär-Industrie-Komplex«, wie er heute genannt wird, noch in seinen Anfängen. Der Staat organisierte seine Ressourcen nicht auf systematische Weise. Außerdem waren die meisten Kriege des 19. Jahrhunderts kurzlebig und erforderten nur wenige Anstrengungen seitens des Staates, Arbeitskräfte und Versorgung bereitzustellen.

      Der Amerikanische Bürgerkrieg, der manchmal als der erste totale Krieg beschrieben wird, bildet eine Ausnahme. Ohne Aussicht auf einen schnellen Sieg wurde er zum Schauplatz einer breiten Mobilisierung der ökonomischen und sozialen Ressourcen. In den 1850er Jahren war der Zentralstaat noch schwach, die Besteuerung niedrig, und die Interessen der verschiedenen Unionsstaaten blieben gewahrt. Die Entscheidung der Südstaaten, sich abzuspalten, zwang die Bundesregierung in Washington, dem Staatsapparat mehr Gewicht zu verleihen (1865 zählte man 200 000 Angestellte auf Bundesebene, fünfmal so viel wie 1861), neue Steuern zu erheben und Kredite in beispielloser Höhe aufzunehmen. Zwischen 1857 und 1860 belief sich der Bundeshaushalt lediglich auf 274 Millionen Dollar. Im Verlauf der vier Jahre des Bürgerkrieges erreichten die Aufwendungen eine Gesamtsumme von 3,4 Milliarden Dollar, 1,8 Milliarden davon direkt für Militärkampagnen.

      Paradoxerweise war es die weniger urbanisierte, weniger industrialisierte, jeder Zentralstaatlichkeit feindlich gesinnte Konföderation im Süden, in der sich der Staat am stärksten in die Kampfhandlungen verwickelte. »Gegenwärtig ist es geboten, dass sich die ganze Nation in eine Armee verwandelt, in der die Produzenten die Versorgung sichern und die Soldaten kämpfen«1, konstatierte Robert Edward Lee, Oberbefehlshaber der Konföderiertenarmee. 1863 brachte der Süden mit der Wehrpflicht, der Zunahme der staatlichen Kontrolle und der Überwachung der Kriegsproduktion effektiv die gesamte Bevölkerung auf Linie. Die Rhetorik in beiden Lagern definierte den Konflikt als »Volkskrieg«: Alle mussten dazu beitragen und sich zu Opfern für den Endsieg bereit erklären. Dennoch blieb auf beiden Seiten ein Großteil der Kriegsanstrengung auf Freiwilligkeit gegründet. Nach Schätzungen waren lediglich 10 Prozent der Unionssoldaten eingezogen, alle anderen hatten sich freiwillig gemeldet. Die Union war stark von privatem Handel und privater Finanzierung abhängig, da ihr die Mittel und die Erfahrung zur staatlichen Wirtschaftskontrolle fehlten. Nach 1865 verschwanden die neuen Bundesbehörden, und der Bundeshaushalt und der Staatsapparat schrumpften in einem Maße, dass am Ende die Unionsarmee die Besetzung der Südstaaten organisierte und leitete.

      Wenn man sagen kann, dass der Amerikanische Bürgerkrieg die Konflikte des 20. Jahrhunderts bereits ankündigte, dann gilt das vor allem für die Ausdehnung der Kämpfe und die Einbeziehung der Zivilist*innen. In den Vereinigten Staaten wie in den großen europäischen Ländern entsprachen die Militärausgaben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur einem Bruchteil des Nationalprodukts – 1914 im Allgemeinen zwischen 2 und 4 Prozent –, aber dafür einem viel größeren Teil der Gesamtausgaben: In dieser Zeit erhoben die Staaten noch wenig Steuern und spielten auch keine große Rolle in der Finanzierung der Wohlfahrt sowie des Gesundheits-, Bildungs- und Transportsystems. Die Streitkräfte bildeten, wenn sie Krieg führten oder sich darauf vorbereiteten, tendenziell »einen Staat im Staate« und stützten sich für ihre Belange auf freiwilliges Engagement oder nichtstaatliche Institutionen. Die Militärbehörden übten eine strenge Kontrolle über die Waffenproduktion und -entwicklung aus. Wenn sich der Staat an der Beaufsichtigung der Mobilmachung versuchte, wie Frankreich im Sommer 1870 in Reaktion auf den Einmarsch der deutschen Armeen oder Großbritannien während des Zweiten Burenkrieges 1899–1902, erschwerten die fehlende Voraussicht und Verwaltungspraxis die kurzfristige Aushebung, Ausbildung und Ausrüstung der Truppen.

      Die beiden Weltkriege veränderten die Rolle des Staates in Kriegszeiten. 1914–1918 standen sich ganze Gesellschaften gegenüber, in denen die Staaten die Hauptrolle in der Mobilisierung der ökonomischen, sozialen, moralischen und kulturellen Ressourcen spielten. Nur die staatlichen Behörden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene konnten die Einbeziehung der Zivilist*innen, Wehrpflichtigen oder Arbeiter*innen, Büroangestellten oder Bauern und Bäuerinnen organisieren, die zu der Kriegsanstrengung hinzugezogen wurden. Die Mobilmachung der gesamten Nation brachte auch mit sich, dass die Schwächung oder Zerstörung der Heimatfront des Gegners zu ebenso wichtigen strategischen Zielen wurden wie der Sieg über seine Streitkräfte. Der Begriff des »totalen Krieges« stammt vom deutschen General Erich Ludendorff, der ihn während des Ersten Weltkrieges entwickelte und in einem 1935 erschienenen Buch theoretisch ausarbeitete: »Das Wesen des totalen Krieges beansprucht buchstäblich die gesamte Kraft eines Volkes.«2 Der Staat müsse sich den Erfordernissen des Krieges beugen und für die »Bereitstellung seiner [des Volkes] seelischen, physischen und materiellen Kräfte für die Kriegführung«3 sorgen.

      Auch wenn über die Definition des totalen Krieges viel gestritten wurde, hat sich in erster Linie die Ludendorffs durchgesetzt. Der britische Militärtheoretiker Cyril Falls sah in einem Essay über »die Doktrin des totalen Krieges« (»The Doctrine of Total War«) von 1941 darin »die Ausrichtung jedes Teilbereichs der Nation, jeder Phase ihres Tuns auf den Kriegszweck«4. Die fast universelle Anerkennung dieser Idee galt schließlich als eine selbsterfüllende Prophezeiung. Im Zweiten Weltkrieg teilten die Bevölkerung und ihre Führung das Postulat, dass der moderne Krieg vom Staat verlangt, die Mobilmachung auf ein historisch beispielloses Niveau zu heben oder anders die Niederlage in Kauf zu nehmen.

       Victory-Bonds: Aus dem Patriotismus Kapital schlagen

      Bei Kriegseintritt im Sommer 1914 rechneten die Großmächte nicht damit, dass der Staat eine Schlüsselrolle in einem lang andauernden Konflikt spielen würde. Man erwartete eine Reihe kurzer Feldzüge, durchgeführt von den aus bestehenden Reserven gezogenen verfügbaren Truppen. Es stimmt, dass der Konflikt schon 1914 hätte enden können, wenn Deutschland die Erste Schlacht an der Marne oder Russland die bei Tannenberg gewonnen hätte. Erst mit der Zeit begriffen die Kriegsparteien, dass sie es mit einem Abnutzungskrieg zu tun hatten. Zu Beginn der Kampfhandlungen rechnete die französische Armee damit, täglich 13 600 Artilleriegeschosse zu brauchen; im September 1914 forderte sie 50 000, im Januar 1915 dann 80 000; im folgenden Herbst waren 150 000 nötig. Der unerwartete Bedarf an zusätzlichen Truppen und die zunehmende Zahl an Arbeiter*innen, die zur Munitionsherstellung herangezogen wurden, zwangen die Staaten, ihre Kontrolle über die Arbeitskräfte in der Industrie und in der Landwirtschaft zu erhöhen.

      Selbst in den Ländern, die wie Frankreich oder Russland bereits über einen starken Staat und eine bürokratische Kultur verfügten, nahmen die Veränderungen Proportionen an, die man sich zuvor nicht vorgestellt hatte. Davon zeugt der Anteil des Nationaleinkommens, der für die Staatsausgaben aufgewendet wurde. In Großbritannien, wo der öffentliche Sektor relativ bescheiden ausgebaut war, stiegen sie von 8,1 Prozent im Jahr 1913 auf 37,1 Prozent 1917; in Frankreich von 10 Prozent vor dem Krieg auf 53,5 Prozent 1918; in Deutschland, wo die Macht des Zentralstaates vor dem Krieg reduziert war, von 9,8 Prozent 1913 auf 59 Prozent 1917, was der größte Anteil unter allen kriegführenden Mächten war. In Russland, wo das Nationaleinkommen nach 1915 rasant einbrach, stiegen


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