Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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die Staatsschulden des Bundes von 1,2 Milliarden Dollar 1916 auf 25,5 Milliarden 1919, und dies nicht nur zur Finanzierung der eigenen Kriegsanstrengung, sondern auch zur Vergabe von Krediten in Höhe von 7,5 Milliarden Dollar an die Alliierten.

      Die Forderungen, die der Staat zum Kriegführen stellte, brachten Finanz-, Industrie- und Agrarsektor durcheinander. Bis 1914 blieben seine Eingriffe im Allgemeinen in engen Grenzen und die Steuersätze niedrig. Das vorherrschende Wirtschaftsmodell war liberal: auf Freihandel, Industrie und Geschäft in Privathand und freiwillige Mitwirkung gegründet. Das alles änderte sich mit Kriegseintritt. Zivilist*innen wurden sehr viel stärker direkt und indirekt besteuert, was das Konsumniveau im selben Maße absenkte; die Anleihen zur Deckung der wachsenden Staatsschulden bewirkten eine beträchtliche Verlagerung von Geldern, die in den Privatsektor hätten investiert werden können, hin zum öffentlichen Sektor und in sein Budget für Armee und Kriegsindustrie. Diese Anleihen wurden von den Regierungen unter massiver Propaganda ausgegeben, die die Bürger*innen dazu anhielt, zur Finanzierung der Kriegsanstrengung beizutragen. Für den amerikanischen Finanzminister William Gibbs McAdoo waren die Liberty-Bonds und die Victory-Bonds ein Mittel, »aus dem Patriotismus Kapital zu schlagen«. Daraus resultierten auf den Finanzmärkten, die so starke staatliche Eingriffe nicht gewöhnt waren, hohe Inflationsraten. 1918 verloren die deutsche Mark und der französische Franc die Hälfte ihres Werts. In Russland genügten die Anleihen und Steuern nicht zur Deckung der Schulden, sodass der Staat neues Geld ausgab, auch wenn der Rubel 1918 fast wertlos geworden war. In Großbritannien, wo der Staat stärker als anderswo auf eine Erhöhung der direkten Steuern zurückgriff, stiegen die öffentlichen Einnahmen fast auf das Fünffache, und dennoch wuchsen die Schulden Jahr für Jahr, sodass sie 1917–1918 bei 47 Prozent des BIP lagen. Der junge Ökonom John Maynard Keynes, zu der Zeit hoher Beamter beim britischen Schatzamt, beklagte die finanziellen Risiken, die die Regierung eingegangen war, bevor amerikanische Unterstützung eintraf: »Wir schleppten uns mit immer nur ein oder zwei Wochen Liquidität voran, bis dann im März 1917 die Vereinigten Staaten eingriffen und das Problem gelöst war.«5

      Die Inflation speiste sich aus dem allgemeinen Scheitern der Staaten, die Preise zu kontrollieren oder die Rationierung der Waren zu organisieren. Ab einem bestimmten Niveau drückte dies auf die Motivation der Arbeiter*innen, deren Löhne im Allgemeinen nicht dem Preisanstieg entsprechend angehoben wurden. In Russland misslang es dem Staat, die Inflation in den Griff zu bekommen und auf einer gerechten Grundlage die Versorgung der städtischen Arbeiter*innen mit dem Lebensnotwendigen sicherzustellen. Im Winter 1916–1917 führten die Entbehrungen zu sozialen Unruhen und schließlich zur Februarrevolution von 1917. In Deutschland wandten sich die Arbeiter*innenproteste gegen einen Staat, der auf die Bedürfnisse der Verbraucher*innen nicht im selben Maße reagieren konnte wie auf die Forderungen der Armee, wobei die von den Alliierten organisierte Seeblockade – ein Beispiel für die neue Art von Krieg gegen die Zivilist*innen – ohnehin einer Steigerung der Nahrungsmittelimporte entgegenwirkte. Wie in Frankreich und in Großbritannien war es schließlich die Einführung einer begrenzten Rationierung, die Arbeiter*innen die Produktion der für den Sieg wesentlichen Güter fortsetzen ließ. Doch während des »Steckrübenwinters« von 1916 / 1917, in dem sich die Ernährung der städtischen Arbeiterschaft auf dieses schlichte Gemüse reduzierte, brach die Zustimmung der Bevölkerung zu den Bedingungen des totalen Krieges ein. Der letztliche Zusammenbruch Deutschlands im November 1918 zeigt die Wichtigkeit einer effizienten (staatlichen) Verwaltung der Kriegsanstrengung im Inneren.

      Im Ersten Weltkrieg war der Staat noch mit einem anderen Problem konfrontiert: Wie die Bevölkerung zur Mitwirkung an den Kriegsanstrengungen bewegen? Die Mobilisierung der Arbeitskräfte, die finanzielle Inbeschlagnahme, die Anforderungen im Bereich der Industrie und der Nahrungsmittelversorgung konnten der europäischen Bevölkerung, die dieses Maß an staatlicher Intervention nicht gewohnt war, nicht schonungslos aufgezwungen werden. Abgesehen von kleinen Variationen behalf man sich überall mit denselben glühenden Appellen zu patriotischem Engagement. Im Laufe der Zeit schwand jedoch der Enthusiasmus. Die Staaten griffen nun zur Propaganda, die das Bild eines barbarischen und unbarmherzigen Feindes zeichnete und die Bevölkerung dazu anhielt, sich mit dem Kriegsunterfangen zu identifizieren und darüber nachzudenken, was sie selbst dazu beitragen könne. Die Alliierten hatten damit eine leichtere Aufgabe. Ihre Propaganda richtete sich gegen die »Barbarei«, der die deutschen Truppen sich mit ihren Gräueltaten bei der Schändung Belgiens schuldig gemacht hatten, gegen die Zeppelinangriffe auf Paris und die britischen Städte oder auch gegen die Erklärung des exzessiven U-Boot-Krieges. In Deutschland und in Österreich-Ungarn gestaltete sich die Propaganda komplizierter, insbesondere weil die zwei Reiche sich auch an eine nichtdeutsche Bevölkerung wandten, für die der Krieg die Möglichkeit nationaler Emanzipation eröffnete.

      Den Kontrapunkt zur Propaganda setzt der Zwang. Selbst in den Demokratien griff der Staat, wenn nötig, zur politischen Repression, ob gegen die irischen Rebellen beim Osteraufstand 1916 oder durch strenge Disziplinierungsmaßnahmen gegen Wehrdienstverweigerer oder Deserteure. In Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn wurden politische Oppositionelle, gleich ob Nationalist*innen oder Sozialist*innen, ins Gefängnis geworfen oder ins Exil geschickt. Die Polizeikräfte des Staates waren ausreichend präsent, um in Kriegszeiten öffentliche Eintracht durchzusetzen. Dennoch versagte in Russland und Österreich-Ungarn wie auch am Ende in Irland diese Politik des Zwangs infolge der ökonomischen und sozialen Krise, die sich in zunehmender Schärfe bemerkbar machte.

      1918 hatte der Staat als Ensemble von Institutionen und Behörden, die für die Kriegführung und für eine beispiellose Mobilmachung der Bevölkerung verantwortlich zeichneten, im Vergleich zu 1914 eine tiefgreifende Strukturveränderung erfahren. Doch in den meisten Fällen – mit Ausnahme Russlands, das ab Oktober 1917 unter einem neuen, kommunistischen Regime lebte – gab der Staat viele seiner Machtbefugnisse und Vorrechte in der Verwaltung der nationalen Ressourcen wieder ab. Der Krieg mit seiner staatlichen Wirtschaftskontrolle hinterließ dagegen Spuren in der Beziehung zwischen Arbeit und Kapital und in der gewachsenen Zuständigkeit des Staates bei der Wohlfahrt, insbesondere für die Kriegsversehrten und Kriegszitterer. In Frankreich machten die Pensionen der Veteranen noch in den 1930er Jahren einen beträchtlichen Teil des Staatshaushalts aus. Die Kriegsschulden belasteten die öffentlichen Finanzen über Jahre, außer in Russland und Deutschland, wo sie durch Hyperinflation beseitigt wurden. Selbst in den Ländern, in denen die Wirtschaft in den 1920er Jahren besser lief, bemühte man sich, die Rückzahlung der im Ausland aufgenommenen Kriegsdarlehen zu vermeiden.

      Die Priorität des »Nachkriegsstaates« lag daher auf der möglichst weitgehenden Reduzierung der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Eingriffe, die der Staat im Krieg vorgenommen hatte, sowie darauf, Militärausgaben zu senken und diplomatische Bemühungen zur Abrüstung zu fördern. Der Welthandel und die Finanzmärkte erreichten wieder ihr Vorkriegsniveau; der durch die ökonomische Macht der Vereinigten Staaten beflügelte Wirtschaftsliberalismus trat an die Stelle des Etatismus. Dennoch war für viele Beobachter klar, dass ein erneuter Krieg, falls ein solcher ausbrechen sollte, wieder ein »totaler« Krieg werden würde. Dies war ein zentrales Erbe von 1914–1918. Der Staat musste daher diesmal darauf bedacht sein, sich auf einen Krieg vorzubereiten, in dem sich komplette Gesellschaften gegenübertraten. Zwar schien in den 1920er Jahren, als man allgemein noch damit beschäftigt war, die Wunden des Ersten Weltkrieges zu lecken und die internationalen Krisen im Zaum zu halten, ein zweiter Krieg noch undenkbar. Doch nach dem Börsenkrach von 1929 und dem Zusammenbruch der internationalen Kooperation zeichnete sich die Perspektive eines neuerlichen Konflikts ab. Selbst die Vereinigten Staaten, die den Querelen in Europa und Asien doch so fern waren, setzten 1931 in Erwartung eines kommenden Krieges einen Plan zur industriellen Mobilmachung in Kraft. In Deutschland kam in den 1920er Jahren, lange vor Hitlers Wiederbewaffnungsprogrammen, der Begriff der Wehrwirtschaft auf, der eine auf die nationale Verteidigung getrimmte Ökonomie beschrieb.

       »Der Staat lenkt die Wirtschaft«

      Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise und ihre politischen Folgen entstanden in den 1930er Jahren Regime, die man besser als »Kriegsstaaten« denn als »Staaten im Krieg« beschreiben kann. In Japan und Italien, die beide imperiale Expansionsprogramme verfolgten, Ersteres in Asien, Letzteres in Afrika, zwangen die regionalen Konflikte


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