Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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Denn ich schreibe jeden Morgen einen kleinen Beitrag auf meiner Seite. Manchmal über aktuelle Themen aus Sport, Politik oder dem Weltgeschehen, aber oft handeln die Beiträge auch über mich und meine lustigen Pleiten, Pech und Pannen, die mir im Alltag passieren. Meinen Freunden und Followern auf Facebook gefällt das und sie halten mir seit Jahren die Treue.

      Aber ein Buch schreiben ist eine ganz andere Hausnummer als tägliche Beiträge auf Facebook. Und außerdem: Über was soll ich schreiben? Über spannende Schalke-Spiele, geile Tore und Statistiken? In den vielen Fußballbüchern, die es auf dem Markt gibt, werden diese Themen doch tausendmal genauer und besser beschrieben. Warum soll ich das alles denn noch einmal auflisten?

      Deshalb war ich mir eigentlich sicher: Ein Buch von mir will bestimmt kein Schalker lesen, oder besser, ein Buch von mir, das braucht nun wirklich kein Schalker. Und damit wollte ich das Projekt „Buch schreiben“ auch schon wieder zu den Akten legen, bis mir die Worte von Volker Fürderer noch einmal durch den Kopf gingen. »Was du so alles erlebt hast.« Ich überlegte.

      Viel erlebt habe ich mit meinen fast 66 Jahren auf Schalke ja wirklich. In Sekundenschnelle flog ich durch die Vergangenheit und sah Familie, Freunde und Mitarbeiter, Fan-Clubs, Stadien und Städte, in denen die Schalker gespielt hatten, die Arena und die Fans in der Nordkurve. Und da war mir klar, diese schönen Erlebnisse muss ich aufschreiben!

      Aber ich schreibe all das Erlebte nicht wegen Ruhm und Ehre und auch nicht, weil ich damit Geld verdienen will. Ich schreibe es in erster Linie für mich. Denn es ist unbezahlbar, sein Leben mit den vielen schönen und vielleicht auch nicht so schönen Erinnerungen beim Schreiben noch einmal zu erleben.

      Ich bin mir sicher, es wird danach auch böse Kritik auf mich einprasseln. Einige werden aufgrund der Geschichten meckern, andere wegen meines Schreibstils, meiner Ausdrucksweise und der Grammatik – aber das ist mir egal. Wahrscheinlich sind auch nicht alle Ergebnisse und Zeitangaben richtig, aber auch das stört mich nicht. Mir geht es vielmehr um die Geschichten, die ich mit Familie, Freunden und zahlreichen Weggefährten erlebt habe.

      Nein, ich bin weder Journalist noch Autor und ich will auch nichts davon werden. Ich bin Rolf Rojek und schreibe mein Leben genauso wieder, wie ich es erlebt habe.

      Wenn ich es mit meinen Geschichten schaffe, auch nur einen Leser hin und wieder zum Lachen zu bringen, sodass die Alltagssorgen für einen Moment in den Hintergrund rücken, oder jemand aus dem Erlebten liest, dass es im Leben immer irgendwie weitergeht, wenn man sich nicht aufgibt, dann hat sich mein Schreiben schon gelohnt.

      Und jetzt hoffe ich, dass euch meine Geschichten gefallen. Wenn ja, dann freue ich mich, wenn nicht, tut es mir leid. Aber das ist mein Leben – mal lustig, mal traurig, aber immer spannend und aufregend.

      Und nun viel Spaß beim Lesen,

      euer Rolf Rojek

      Als ich am 25. Juni 1954 in Gelsenkirchen-Schalke geboren wurde, fing Edi Frühwirth gerade seinen neuen Job als Trainer beim FC Schalke 04 an und löste damit Fritz Szepan ab. Die Mannschaft lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem 1. FC Köln und Rot-Weiß Essen um den West-Titel. Im letzten Spiel trafen wir auf RWE und unterlagen in den Schlussminuten mit 2:4. Somit mussten wir Schalker uns mit Platz drei begnügen und Köln kam weiter. Trotzdem wurde in diesem Jahr auf Schalke groß gefeiert.

      Nein, nicht weil ich geboren wurde, sondern weil Schalke 50-jähriges Jubiläum hatte. Neben vielen feierlichen Veranstaltungen gab es auch zahlreiche Fußballspiele. Darunter das Spiel gegen den amtierenden deutschen Meister Hannover 96, der mit einem 5:1 regelrecht vorgeführt wurde.

      Rechtzeitig zu diesem Jubiläum wurden die Geschäftsstelle des Vereins sowie die modernen Umkleidekabinen und Sanitäranlagen für die Mannschaft eingeweiht. Im gleichen Jahr holte der Schalker Berni Klodt mit der deutschen Nationalmannschaft beim legendären Wunder von Bern den Weltmeistertitel.

      So gesehen war das Jahr 1954 ein gutes Jahr, um als Schalker in Gelsenkirchen geboren zu werden.

      Natürlich war mein Vater, der 1924 in Katowice (Polen) geboren wurde, auch ein Schalker. Aber er war nicht so jemand, der täglich in Schalke-Klamotten durch die Stadt lief. Nein, mein Vater hatte nie etwas von Schalke an, auch nicht, wenn er in die Glückauf-Kampfbahn ging.

      Wer noch die alten Bilder und Filme von früher im Kopf hat, der weiß, dass damals die meisten Fans nur mit Hut und Krawatte ins Stadion gegangen sind. Fan-Artikel gab es so gut wie gar nicht. Also bin ich ohne Schalke-Schnuller und ohne Schalke-Strampelanzug groß geworden. Ich glaube, in der damaligen Rojek-Wohnung gab es überhaupt kein einziges Teil, was mit dem FC Schalke 04 zu tun hatte. Trotzdem war man einfach Schalker, und zwar durch und durch.

      Vier Jahre später war es dann soweit. Ich war mit meinem Vater das erste Mal auf Schalke. Aber ich muss sagen, ich erinnere mich daran eigentlich überhaupt nicht. Mein Vater hat mir diese Geschichte allerdings so oft erzählt, dass ich meine, mich an jede Einzelheit genauestens zu erinnern.

      Es war der 18. Mai 1958 als der FC Schalke 04 im Niedersachsen Stadion von Hannover vor 81.000 Zuschauern Uwe Seeler und seine Hamburger Jungs mit 3:0 besiegte und damit zum siebten Mal die Deutsche Meisterschaft nach Gelsenkirchen holte. Ganz Fußball-Deutschland freute sich mit den Knappen und am Schalker Markt wurde der Bierhahn bis zum Empfang der Spieler nicht mehr zugedreht. Auch mein Vater gehörte selbstverständlich zu den Feiernden. Siegestrunken und in einer Bierlaune beschloss er, dass der kleine Rolli mit zum Empfang der Schalker Helden kommen darf. Und so kam es zu meiner Premiere auf Schalke …

      Ich meine mich zu erinnern, dass es voll und laut war. Dass sich wildfremde Menschen freudetrunken und singend in den Armen lagen. Wobei die meisten wohl mehr betrunken als freudig waren. Egal, ganz Gelsenkirchen war an diesem Tag ein Tollhaus und mittendrin Papa Rojek und klein Rolli.

      Aber es kam, wie es kommen musste: Ich verlor in diesem Tollhaus meinen Vater, oder besser gesagt, er mich. Und das zeigte mir, auch unter Tausenden von Menschen kannst du allein sein. Ich weinte. Was sollte ich denn nun machen? Da kam ein freundlicher Polizist auf mich zu und nahm mich auf den Arm. Auf seine schlaue Frage »Wo ist denn dein Papa?« konnte ich natürlich nicht antworten. Denn wenn ich das gewusst hätte, würde ich wohl nicht weinen und wäre bei ihm. Auch auf die Frage wo ich wohnte, konnte ich vor lauter Schluchzen nicht antworten. Doch die Rettung nahte, denn mein Vater hatte scheinbar endlich bemerkt, dass ich nicht mehr an seiner Hand war und suchte nach mir.

      Der gute Polizist soll meinem Vater eine richtige Standpauke gehalten haben. Ob mein Vater sich von dem guten Polizisten zu Unrecht beschimpft fühlte, oder ob es an einem zu viel getrunkenen Bier mit Siegesgeschmack lag, bleibt bis heute ungeklärt. Ich weiß nur, dass mein Vater den Polizisten lautstark beschimpfte. Dabei war ich noch immer auf dem Arm des Polizisten und habe aufgrund des Streites noch mehr geheult und ich kackte mir dabei in die Hose. Ja, ich habe früher im wahrsten Sinne des Wortes auf Schalke geschissen …

      »Nicht im Kopf, sondern im Herzen liegt der Anfang.«

      (Maxim Gorki)

      1961 zogen meine Eltern mit meinen Geschwistern und mir nach Gelsenkirchen-Beckhausen in die Braukämperstraße. Hier bin groß geworden, hier habe ich meine Jugend verbracht und hier bekam ich den letzten Schliff, um als Schalker in die blau-weiße Fanszene einzutauchen.

      Die neue Wohnsiedlung der GGW wurde auf den Wiesen und Feldern von Bauer Holz gebaut. In den Wohngebäuden in Beckhausen sollten eigentlich Familien mit Kindern, mit vielen Kindern, ein neues Zuhause finden. Die Wohnsiedlung umfasste sieben vierstöckige Gebäude mit je zwei Eingängen für insgesamt acht Familien und drei sechsstöckige Gebäude mit drei Eingängen für insgesamt 36 Familien. Auf keinen Fall war das eine Ghetto-Siedlung, denn hier war alles sauber und neu.

      Vorher wohnten wir, Papa Franz, Mutter Anita, meine zwölf Jahre ältere Schwester Renate, mein zwei Jahre jüngerer Bruder Klaus und der frischgeborene Bruder Peter, auf kleinstem Raum in zweieinhalb


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