Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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aus mir geworden wäre.« Zur Bestätigung wird dann erstmal ein großer Schluck aus der Pulle Bier genommen.

      Die Frauen sind also schuld, dass aus den meisten Männern keine Fußballprofis geworden sind. Aber das lasse ich jetzt einfach einmal so stehen, denn ehrlich, als ich damals noch jung und selbst aktiv in der Mannschaft gespielt habe, da war ich gar nicht so schlecht …

      Mit meinen 72 Kilo Kampfgewicht bei einer Körpergröße von 182 cm hatte ich eine durchtrainierte Figur ohne Fettpölsterchen oder Bierbauch wie es heute der Fall ist. Kein Wunder, früher gab es keine Spielkonsolen und Smartphones, die Kinder haben auf der Straße gepöhlt, die Älteren waren meist selbst in einer Fußballmannschaft aktiv. Für mich gab es nur Schalke und ich habe selbst gekickt. Mit meinen Jungs war ich vier Tage in der Woche auf dem Bolzplatz, die restlichen drei Tage gehörten Schalke – alles eine Frage der Organisation.

      Trotz meiner Begeisterung für den Sport war ich beim Geräte- und Bodenturnen eine Wurst. Ehrlich, ich schaffte es nie, mich an einem Seil oder einer Stange nach oben zu hangeln. Dafür war ich in fast allen Ballsportarten, vor allem im Fußball, nicht schlecht. Ganze drei Jahre habe ich in der Fußballauswahlmannschaft unserer Schule gespielt, während meiner Ausbildung kickte ich für die Auswahlmannschaft der Ruhrkohle und auch bei meinem Heimatclub, dem SUS Beckhausen 05, war ich aktiv. Ich bin sogar vorzeitig von der Jugend- in die Herrenmannschaft gerutscht. Neben meiner robusten Spielweise und meiner Durchsetzungskraft war Schnelligkeit meine Stärke. Bei den Leichtathletik Stadtmeisterschaften in Gelsenkirchen lief ich die 100 Meter in 12,1 Sekunden und erreichte damals den stolzen dritten Platz.

      Meinen Stammplatz als Fußballspieler hatte ich aber nur in der zweiten Mannschaft von Beckhausen 05 und gurkte mit dem Team in der dritten Kreisklasse herum. Dass ich in der unteren Liga kicken musste, lag aber nicht daran, dass alle anderen Spieler besser waren als ich. Es lag vielmehr daran, dass mein Trainer sich auf mich verlassen konnte. Denn an jedem Wochenende, an dem Schalke spielte, konnte er sicher sein, dass ich mit Schalke unterwegs bin. Egal ob Heim- oder Auswärtsspiele – wenn Schalke spielte, konnte ich nicht selbst spielen. Nach den Auswärtstouren kam ich selten nüchtern und meist spät nach Hause, nach den Heimspielen ging es meist noch in die Kneipen am Schalker Markt. Unser Stammlokal „Der Kreisel“ haben meine Kumpels und ich häufig erst am frühen Morgen notgedrungen verlassen. Selbst Fußball spielen an den Wochenenden war also (fast) unmöglich. Also kickte ich, ohne zu murren, weiter in der zweiten Mannschaft und in der dritten Kreisklasse. Und da es in meiner Fußballklasse nicht tiefer ging, habe ich auch nie die Erfahrung gemacht, wie sich ein Abstiegskampf anfühlt. Das gefiel meinem damaligen Trainer Günther Thon überhaupt nicht. Er war nicht nur mein Trainer und Nachbar, sondern auch der Vater von Olaf Thon …

      Günther kannte mich gut. Er wusste, dass ich das Zeug hätte, zwei Klassen höher in der ersten Mannschaft zu spielen. Daher versuchte er mich ab und an zu locken und setzte mich manchmal bei der ersten Mannschaft auf die Bank. Er hoffe, dass dadurch mein Ehrgeiz geweckt würde und ich Spaß am Fußballspielen hätte. Ich hatte Spaß am Fußball, aber eher am Fußball gucken. Der Schalke-Virus war größer als mein Ehrgeiz und so gurkte ich weiter in der letzten Liga rum. Aber trotzdem war es eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich hatte super Kumpels, mit denen ich gerne zusammen in der zweiten Mannschaft gespielt habe.

      In den unteren Fußballklassen wurde auch nicht so viel Wert auf „schönen“ Fußball mit feinen Techniken gelegt. Es wurde vielmehr gerannt und hart gekämpft und auch nicht immer fair gespielt. Ein Vorteil, dass Schnelligkeit und Kampfgeist zu meinen Stärken gehörten, denn „schönen“ Fußball fürs Auge konnte ich nicht abliefern, geschweige denn feine Techniken.

      Es war Sonntag, 28. Mai 1972 und unsere zweite Mannschaft von Beckhausen hatte ein Heimspiel. An diesem Tag strahlte nicht nur schon am frühen Morgen die Sonne vom königsblauen Himmel, unser Platzwart hatte auch verdammt gute Laune. Er erlaubte uns großzügig, dass wir endlich einmal wieder auf dem heiligen Rasen spielen dürfen. Und das kam wahrlich nicht oft vor, unsere Fußballheimat war der knochenharte Ascheplatz nebenan.

      Wir haben das Spiel zwar 4:2 gewonnen und trotz meiner beiden Tore und den herausgeholten Elfmeter war ich unglücklich. Warum? Weil es wieder einmal mein linkes Knie erwischt hat. Als ich meinem Gegenspieler davonlief, zog er mir einfach und kompromisslos die Beine im vollen Lauf weg. Den fälligen Elfer verwandelte unser Mannschaftskapitän Ulli sicher zum 4:2, aber ich konnte nach dem Foul nur noch humpeln. Das linke Knie schmerzte fürchterlich und wurde dicker als mein Oberschenkel, und der hatte damals schon Gerd Müller Niveau.

      Als ich am nächsten Tag zu meinem Hausarzt ging, warf er nur einen kurzen Blick auf mein Knie und schrieb mir sofort eine Überweisung ins Krankenhaus Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer.

      Am darauffolgenden Dienstag war ich überpünktlich um 8 Uhr morgens mit meinem Freund Horst in der Klink. Ich wollte möglichst früh drankommen, damit ich mich anschließend mit meinen Kumpels treffen konnte. Aber erst nach mehr als zwei Stunden Wartezeit wurde ich aufgerufen und durfte zum Doc. Der sah sich mein Knie kurz an und schickte mich direkt zum Röntgen – das ganze dauerte weniger als zwei Minuten und dafür musste ich über zwei Stunden warten. Vor dem Röntgenraum musste ich nicht so lange warten, nur etwas mehr als eine Stunde … Anschließend ging es wieder zum Doc und natürlich musste ich auch da wieder warten.

      Als ich auf die große Uhr im Wartezimmer schaute, zeigte diese schon 12:30 Uhr an. Mein Kollege Horst und ich waren richtig genervt von der ganzen Warterei, außerdem schmerzte mein Knie vom langen Sitzen. Ich war kurz davor, einfach abzuhauen, zumal wir uns eigentlich gleich mit unseren Kumpels Ralle, Harry, Wowo und all den anderen in unserem Vereinslokal in Beckhausen auf der Braukämperstraße treffen wollten. Nicht einfach so, sondern heute hatte Schalke das erste Pokalhalbfinale in Köln. Da wollten wir natürlich dabei sein …

      Seit 1935 gibt es den Wettbewerb im DFB-Pokal und in diesem Jahr wurde erstmalig ein Hin- und Rückspiel ausgetragen. Wir mussten nur noch die Kölner wegputzen und wären im Finale. Und nur wegen meiner blöden Knieverletzung sollte ich das wichtige Spiel in Köln verpassen? Nein, das wollte ich mir nicht entgehen lassen und beschloss abzuhauen. In den Moment, in dem ich meinen Freund Horst sagen wollte, dass wir gehen, rief mich der Doc in sein Behandlungszimmer. Mist!

      Die Diagnose vom Doc war für mich zuerst erfreulich. Er meinte, ich hätte Glück gehabt und bräuchte nicht operiert werden. Stattdessen müsste ich punktiert werden. Natürlich wusste ich nicht, was punktieren bedeutet. Aber wenn keine OP nötig ist, kann es nicht so schlimm sein. Daher sah ich mich in Gedanken schon auf dem Wellenbrecher in Köln stehen und meine Mannschaft anfeuern …

      Zur damaligen Zeit war die Medizin noch nicht so weit wie heute. Eine Kniepunktion war ein richtig schwerwiegender und schmerzhafter Eingriff, aber das wusste ich bisher (noch) nicht. Ich machte mir also keine großen Gedanken, als es zum OP-Raum ging. Nach einer örtlichen Betäubung fing der Doc an: Er schob mir einen Eisenstab, etwa so dick wie ein Strohhalm, unter die Kniescheibe. Scheiße, tut das weh! Anschließend saugte er noch Blut und Wasser aus meinem dick angeschwollenen Knie.

      Mit höllischen Schmerzen und Tränen in den Augen wurde ich nach dem Eingriff in den Gipsraum verfrachtet. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis zwei Pfleger den Raum betraten. Sie sagten mir, dass ich jetzt einen Gipstutor verpasst bekäme. Also eine Gipshülse, die vom Fußknöchel bis kurz unter die Leiste geht. Um 14:30 Uhr war ich fertig, sowohl mit der Untersuchung und dem Gips als auch mit den Nerven. Die beiden Pfleger holten meinen wartenden Freund Horst vom Flur in das Behandlungszimmer und riefen uns ein Taxi für die Heimfahrt. Uns wurde deutlich erklärt, dass ich mit dem Gips auf keinen Fall auftreten oder herumlaufen durfte.

      »Was?« Wir schauten uns erschrocken an. »Wir wollten doch gleich zum Pokalspiel nach Köln!«, sagten wir. Die Pfleger sahen sich an, lachten uns aus und meinten, dass wir das ganz schnell vergessen können. Ich bekam ein absolutes Gehverbot, und Krücken! Bevor wir das Krankenhaus verließen, bekam ich zwei Schmerztabletten und den Hinweis, dass ich diese nur bei starken Schmerzen nehmen sollte.

      Ich saß still und schwer enttäuscht mit meinem Gipsbein auf der Rückbank im Taxi, neben mir die Gehhilfen, als ich den Taxifahrer plötzlich anschrie: »Halt! Stopp!« Der Taxifahrer trat sofort


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