Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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wie Strom und Heizung sind inklusive, allerdings hat das Zimmer keine Toilette. Daraufhin habe ich mir die Bude einmal etwas genauer angeschaut und bekam doch irgendwie Zweifel. Seit Jahren hat hier keiner mehr gewohnt, das war nicht zu übersehen. Das Zimmer musste entrümpelt, die alten Tapeten entfernt und die Wände neu tapeziert werden. Die Tür und das Fenster brauchten einen Anstrich und der Teppich musste entsorgt werden. Solche Arbeiten habe ich nie machen müssen. Aber trotzdem sagte ich nach kurzem Zögern zu, schließlich musste ich die ersten zwei Monatsmieten nicht bezahlen. Das Geld diente als Renovierungszuschuss. Jetzt musste ich meinen Eltern nur noch beichten, dass ich mir „mal so nebenbei“ eine eigene Bude besorgt habe und ausziehen werde. Ich überlegte, was ich ihnen sagen könnte.

      »Ich bin doch nur knapp 400 Meter von euch weg. Zum Essen und Kacken komme ich wahrscheinlich eh jeden Tag vorbei und die schmutzige Wäsche bringe ich dann auch gleich mit. So gesehen ist das ja eigentlich kein Auszug aus dem Elternhaus.« Genau so wollte ich meinen Eltern den Auszug erklären. Die Frage: »Ach Papa, du weißt ja, dass ich immer so wenig Zeit habe. Kannst du mir die Bude mal schnell renovieren?« wollte ich so ganz nebenbei stellen. Das wird er bestimmt machen, dachte ich. Dachte ich …

      Meine Mutter sagte gar nichts zum Auszug und mein Vater zeigte mir den Vogel. »Mach deinen Mist doch allein, wenn du selbstständig sein willst«, meinte er. Aber mein Vater wäre nicht mein Vater, wenn er mir nicht die Bude renoviert hätte. Während ich mit meinen Freunden und mit meiner großen Fahne beim Schalker Auswärtsspiel alles gegeben habe, durfte mein Vater allein die Bude entrümpeln und renovieren. In der darauffolgenden Woche ist meine Mutter mit mir nach Buer gefahren und wir haben ein richtiges Jugendzimmer gekauft. Ja, meine Mutter war beim Kauf dabei. Immerhin hat sie die Hälfte des Geldes dazugegeben.

      So hatte ich schnell meine erste eigene Bude. Aber es gab ja noch das Problem mit der fehlenden Toilette. Solange das Vereinslokal geöffnet hatte, konnte ich dort das stille Örtchen aufzusuchen. Aber die Kneipe hatte ja leider nicht immer geöffnet. An Ruhetagen habe ich also die Toilette bei meinen Eltern aufgesucht, der Weg dorthin war ja nicht weit. Als lustiger Junggeselle ging die Party bei mir aber häufig weiter, auch wenn die Wirtin Feierabend machte.

      Ich gebe zu, wenn mit 21 Jahren die Sinne von mehreren Bierchen umnebelt sind und in deinem Zimmer ein paar betrunkene junge Leute feiern, machst du Sachen, über die du im Alter nur den Kopf schütteln kannst. Egal ob Jungs oder Mädels, alle haben das Waschbecken auf dem Dachboden als Ersatztoilette genutzt. Natürlich bekamen die Nachbarn schnell mit, was bei mir abging. Zwei bis dreimal in der Woche stieg die Party mit viel Lärm, Musik und Mädels, die Schritte auf dem Dachboden waren überall zu hören. Schon in der ersten Woche meiner eigenen Bude hat sich die Hälfte der Mieter beschwert, in der zweiten Woche die restlichen Mieter. Irgendwie verständlich, denn hätte ich damals von jedem Übernachtungsgast 10 DM genommen, hätte ich ohne Probleme die Miete für ein ganzes Jahr im Voraus bezahlen können. Wenn meine Freunde in der richtigen Bierlaune waren, haben sie teilweise mit vier oder fünf Leuten bei mir geschlafen. Meistens waren es zwar nur ein paar Stunden, aber das lag eher daran, dass wir bis zum Morgengrauen feierten.

      Aber es waren nicht nur gute Freunde, die bei mir in der Bude gefeiert und geschlafen haben. Ich hatte viele Mädels zu Besuch. Warum und wieso kann ich heute eigentlich gar nicht beantworten, das müsste man eher Gudrun fragen, da sie alles besser beobachten konnte. Aber ich fühlte mich in keiner Weise als Aufreißer. Ich hatte keine feste Freundin, ich war Zeitsoldat, ich war Schalker und mein Lebensstil war bedenkenswert. Wann sollte ich da noch Zeit für eine Beziehung finden? Wenn die Jungs in unserem Vereinslokal knobelten, am Flipperautomat spielten oder am Billardtisch die Kugel einlochten, habe ich mich immer um die Mädels gekümmert. Ein Scherz hier, ein Kompliment da und manchmal habe ich mich auch selbst auf die Schippe genommen. So schnell wird man zum Hahn im Korb. Doch ich habe den Mädels auch häufig mit Tränen in den Augen erzählt, wie schwer mein Junggesellenleben war. Der Dienst bei der Bundeswehr ist hart und anstrengend, sodass ich in meiner schönen kleinen Bude nicht mehr zum Aufräumen oder Abwaschen komme.

      »Willst du mal meine schöne Schalke Bude sehen?«, fragte ich dann meist und fast alle Mädels wollten meine Bude sehen. Sie kamen mit nach oben, haben das dreckige Geschirr abgewaschen und das Zimmer geputzt. Danach haben wir es uns gemütlich gemacht und zusammen etwas getrunken. Als wir später wieder ins Vereinslokal kamen, waren die Mädels meist stolz, einem armen Schalker geholfen zu haben. Und ich? Ich habe den Mädels nichts dafür bezahlt, oder besser: ich habe kein Geld geben müssen.

      Meine Gudrun ist noch heute meine Zeugin der wilden Zeit als Junggeselle. Auch wenn sie die vielen Mädels nicht gezählt hat, hat sie alles mitbekommen. Das haben Wirtinnen (aber auch Wirte) wohl so an sich.

      »Es muss nicht immer alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn es Spaß macht.«

      Der Ruf, ein großer Schalke-Fan zu sein, verfolgte mich schon ziemlich früh. Und darauf war ich stolz, mächtig stolz. Das angeblich kein Mädel vor mir sicher war, ist mir ehrlich gesagt gar nicht so aufgefallen. Auch wenn mich viele Mädels in meiner ersten eigenen Bude besucht haben. Und es waren tatsächlich viele, vielleicht sogar sehr viele Mädels, die sich mein Zimmer angeschaut und den ein oder anderen Abwasch gemacht haben. Aber meist haben wir nur etwas getrunken, während ihre Freunde unten im Vereinslokal flipperten oder auf sie warteten.

      Wolfgang, der Mann meiner Wirtin Gudrun, war verdammt eifersüchtig auf mich und hat mir immer eine Szene gemacht, wenn er getrunken hatte. Jedes Mal habe ich ihm geschworen, dass ich nichts mit seiner Frau, meiner Wirtin, hatte. Das sollte aber nicht heißen, dass sie nicht gut aussah. Gudrun war nicht mein Typ und zudem meine Wirtin. Und mit seiner Wirtin fängt man nichts an. Außer einem sehr guten, vertrauten und freundschaftlichen Verhältnis war nichts zwischen uns. Aber erzählt das mal einem eifersüchtigen Ehemann …

      Aber wisst ihr, wenn man einem lange genug etwas einredet, dann glaubt man es später auch. Irgendwann, ich weiß nicht nach wie vielen weiteren Damenbesuchen auf meinem Zimmer, wurde Gudrun für mich immer interessanter. Es folgten zufällige Berührungen beim Bezahlen, ein intensiver Blickkontakt und wir hatten gemeinsame Lieblingslieder aus der Musikbox. Zu unseren Favoriten gehörten „Rocky“ von Frank Farian oder „Mississippi“ von Pussycat.

      Ich konnte es kaum erwarten, jeden Tag nach Dienstschluss bei der Bundeswehr, mit meinem königsblauen FIAT 500 von Münster nach Gelsenkirchen zu rasen. Ja, ich hatte mich in meine Wirtin verliebt. Ich hatte mich in Gudrun verliebt.

      Liebe ist schön? Nicht für mich und nicht in dieser Situation. Ich habe der Mutter von Wolfgang monatelang versichert, dass ich nichts von seiner Frau wolle. Tja, und nun war ich in sie verliebt. Wenn ich sie sah, fühlte ich etwas ganz anderes als bei all den anderen Mädels. Also hieß es für mich, allen Mut zusammennehmen. Denn was raus muss, muss raus.

      Es war Freitag, der 12. März, als ich mit Freunden und Sportkameraden in unserem Vereinslokal in Beckhausen feierte, so wie eigentlich jedes Wochenende. Ich war mit meiner großen Klappe wieder einmal der Alleinunterhalter in der Gruppe, trotzdem suchten meine Augen immer wieder den Blickkontakt zu Gudrun. Bildete ich es mir nur ein, oder erwiderte sie die Blicke? Ich dachte an die Worte meines Vaters. »Wenn der Pimmel steht, ist der Verstand im Arsch«, sagte er einmal. Nein! Gudrun ist verheiratet und hat einen Sohn...

      Ich versuchte die Gedanken mit Schalke Liedern zu verdrängen, schließlich stand am Samstag das Spiel gegen Hertha BSC Berlin an. Ich grölte mit meinen Freunden laut und falsch, aber die Nähe zu Gudrun zog mich magisch an. Ich konnte ihrem Lächeln nicht mehr widerstehen und fragte sie, ob wir zusammen Musik aus der Box auswählen sollen. Eine doofe Frage, immerhin kannten wir die Nummern „unserer Lieder“ auswendig. Trotzdem kam sie mit zur Musikbox.

      »Du gehst doch morgen früh wieder einkaufen, kann ich dich dann mal was fragen?«, flüsterte ich ihr zu. Und das auch nur, weil ich schon etwas getrunken hatte, sonst wäre die Frage nie über meine Lippen gegangen. Gespannt wartete ich auf ihre Antwort und dachte, dass sie mir gleich den Vogel zeigt. »Ja, klar. Sagen wir um 9:30 Uhr auf dem Markt in Beckhausen?« sagte sie. Mein Herz


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