Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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Trikot, Schal und Mütze – schnell war alles eingepackt. Natürlich durfte auch meine neue und moderne Fotokamera, eine Pocket-Kamera, nicht fehlen. Und wie das früher halt so war, fotografierte und fotografierte ich, im Bus, während der Fahrt und in der Stadt. Als wir im Stadion ankamen, hatte ich nur noch zwei Bilder auf meiner Kamera.

      Als ich kurz vor Anpfiff meine Gudrun im Block stehen sah, mit einem ganz kleinen Babybäuchlein, musste ich einfach ein Foto machen. Unser Baby, noch nicht auf der Welt, aber schon im Münchner Olympiastadion. Da geht Papas Herz auf …

      Überraschend führten wir zur Halbzeit mit 2:0 durch Tore von Klaus Fischer und Erwin Kremers. Ich sah nachdenklich auf die große Anzeigetafel und überlegte, ob ich mein letztes Foto für dieses Ergebnis opfern sollte, oder ob ich doch lieber bis zum Abpfiff warte. Ich traute unseren Schalker wohl nicht so viel zu und machte das Foto mit dem 0:2 auf der Anzeigetafel. Wer konnte denn auch ahnen, dass die Schalker nach der Pause noch fünfmal trafen und mit einem 7:0 Schalker Vereinsgeschichte schrieben …

      Ob das wohl der Grund war, warum Susanne ein Schalker Mädchen geworden ist? Ich kann es nicht sagen, aber ich fuhr danach nicht mehr so oft zu den Schalke-Spielen. Dafür musste Susanne im Bauch aber immer mit Gudrun und mir WDR 2 hören, wenn es am Samstag wieder hieß Tore, Punkte, Meisterschaft.

      Ich war am 28. Juni 1977 nicht bei der Geburt unserer Tochter Susanne dabei. Warum weiß ich gar nicht mehr so genau, aber ich glaube, es war damals noch nicht üblich, dass Väter live bei der Geburt dabei sind. Aber natürlich bekam Susanne von der Verwandtschaft zahlreiche Hemdchen und Kleidchen in „Rosa“ geschenkt. So war das halt, Mädchen in rosa Kleidung, Jungs in blauen Klamotten. Aber Gudrun und ich haben von Anfang an dafür gesorgt, dass Susanne viel blau-weiße Kleidung im Schrank hat. Doch blau-weiße Kleidung allein macht noch lange keinen Schalker.

      Susanne war gesund und entwickelte sich prächtig. Natürlich bin ich in den ersten Monaten nach ihrer Geburt fast gar nicht mehr auf Schalke gegangen. Meine Familie war mir wichtiger. Dennoch haben wir die Schalke-Spiele jeden Samstag in der Sportschau verfolgt. Wir hatten damals in unserer ersten gemeinsamen Wohnung eine riesige, runde und moderne Sitzgarnitur. Dazu gab es einen großen Clubsessel und einen Hocker für die Füße. Immer, wenn die Sportschau im Fernsehen begann, saß ich auf dem großen Clubsessel, die Füße auf dem Hocker, und neben mir meine Tochter Susanne. Und jedes Mal, wenn die Schalke-Spiele gezeigt wurden, nahm ich ihr rechtes kleines Ärmchen in meine Hand, hob es hoch wie im Stadion und rief immer wieder das langgezogene »Schaaaalke, Schaaaalke, Schaaaalke.« Ich fand das lustig und Susanne hatte scheinbar auch Spaß daran, sie lachte zumindest immer. Ob sie mich nun ausgelacht hat oder vor Freude grinste, kann ich nicht sagen. Aber da Susanne eine richtige Schalkerin geworden ist, glaube ich eher, es war vor Freude.

      Unsere Tochter wurde langsam größer und irgendwann war es dann so weit. Wir saßen in unserem bequemen Sessel und hatten die Sportschau an. Susanne zappelte schon die ganze Zeit nervös neben mir, lachte und quietschte vor Vergnügen. Die Sportschau fing mit irgendeinem Fußballspiel an als Susanne plötzlich ihre kleinen Ärmchen bewegte und so etwas rief wie »lale.« Oh ja, ich war stolz wie Oskar, denn ich war mir sicher, Susanne wollte »Schaaaalke« rufen. Von diesem Tag an wiederholte sich ihr Verhalten jedes Mal, wenn im Fernsehen eine Zuschauerkulisse zu hören war. Und ihr war es sowas von egal, ob Fußball lief, Schalke spielte oder ob es sich um ein Handballspiel handelte. Hauptsache es war eine Zuschauerkulisse zu hören.

      Ihr seht, auf die richtige Erziehung kommt es an. Aber nicht, dass ihr meint, das hat nur bei unserer Susanne funktioniert. Nein, auch bei unserer anderen Tochter Melanie hat der Schalke-Virus zugeschlagen. Und dass, obwohl Melanie ein ganz anderer Typ als unsere Susanne war. Melanie war von Anfang an viel unruhiger und wilder. Sie war auch bestimmter und egoistischer als ihre Schwester, sie wusste genau, was sie wollte und wie sie es bekam. Melanie war ein kleiner, blonder Wonneproppen und Susanne ein dunkles, zartes Püppchen. Nur ihre Liebe zu den Farben Blau und Weiß war bei beiden gleich.

      Ich werde nie vergessen, als wir in unserem Sporthaus in Osnabrück waren und anschließend in der Stadt einkaufen wollten. Wir gingen zu C&A, weil Gudrun für den Urlaub noch einige Sachen kaufen wollte. Während sie nach einem Nachthemd suchte, musste ich im Geschäft auf die drei Kinder aufpassen. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass dies nicht ganz einfach ist. Aber wer einen Bus mit 50 betrunkenen Schalke-Fans betreuen kann, der kann auch auf drei kleine Kinder aufpassen. Irgendwann rief mich dann Gudrun und ich verlor unsere Kinder für wenige Sekunden aus den Augen. Das reichte unserer kleinen Melanie schon, um irgendwo in einem Unterwäscheständer zu verschwinden. Sekunden später kam sie freudestrahlend wieder herausgekrochen und hatte einen Wäschebügel in der Hand, an dem ein roter Spitzenbüstenhalter mit passendem Slip hing. Melanie lief stolz durch den Laden, schwenkte dabei die Unterwäsche wie eine Fahne durch die Luft und rief laut: »Papa, Papa, ihhh, das ist Bayern.«

      Was soll ich euch sagen, Schalker wird man nicht, Schalker ist man. Nur manchmal muss der Papa auch ein bisschen nachhelfen. Und was für die eigenen Kinder gut ist, muss auch für die Enkelkinder gut sein. Daher lehrte ich unserem Enkelkind Luca schon mit drei Jahren, dass Gelb die Zeckenfarbe ist. Und wisst ihr was passiert? Jedes Mal, wenn wir an irgendwelchen Blumengeschäften vorbeikommen, ruft Luca lauthals »Opa, Opa, ihhh Zecken-Blumen!«

      Wie sich im Leben doch alles wiederholt …

      „Kinder haben nur eine Kindheit. Darum macht sie unvergesslich.“

      Saerbeck, ein schönes Dörfchen mit 4.900 Einwohnern im nördlichen Münsterland. Hier kennt jeder Jeden, hier ist die Welt noch in Ordnung. Ja, wir haben uns in Saerbeck sauwohl gefühlt. Wir wohnten damals in einer großen Doppelhaushälfte mit schönem Garten. Unsere Kinder gingen gerne in den Kindergarten und wir hatten viele gute Freunde. Dorfidylle pur.

      Als Schalker gründete ich 1980 den Schalke Fan-Club Blau-Weiß Saerbeck, während ich beruflich erfolgreich als Versicherungskaufmann aktiv war und kurz davorstand, das alteingesessene Sportgeschäft Clausmeier in Osnabrück zu kaufen. Man könnte also sagen, unser Leben verlief prima.

      Mit der Zeit kam unser Hausvermieter immer häufiger zu Besuch und wollte uns den Kauf der Doppelhaushälfte schmackhaft machen. Das Haus hatte rund 165 qm Wohnfläche, viele Zimmer, einen Keller und einen schönen Garten. Der Kaufpreis von 320.000 DM war eigentlich auch nicht zu hoch für das Objekt, trotzdem zögerten wir mit dem Kauf. Ich denke, wir waren noch nicht so weit, ein Haus zu kaufen. Mein damaliger Freund und gleichzeitiger Chef sowie meine Steuerberaterin haben mich zwar schon mehrfach dazu drängen wollen, dass ich mir bei meinem Verdient unbedingt eine Immobilie als Altersvorsorge zulegen sollte, aber der Kopf sagte noch immer nein. Dabei gab es keine finanziellen Probleme, im Gegenteil. Ich verdiente bei der Versicherung im Außendienst gutes Geld, ich hatte eine große Versicherungsagentur mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern und betreute zudem 40 Vertreter im Nebenjob. Trotzdem bekam ich das Geld nicht geschenkt und musste dafür hart arbeiten.

      Mein Alltag begann spätestens um 9.00 Uhr im Büro und endetet meist erst nach 20.00 Uhr. An den Wochenenden, an denen Schalke spielfrei hatte, saß ich auch in meinem Büro oder besuchte meine Kunden. Von nichts kommt nun einmal nichts! Trotz Zweifel machten Gudrun und ich uns immer mehr mit dem Gedanken vertraut, uns Eigentum anzuschaffen. Wenn unser damaliger Vermieter mit seinem Preis vielleicht etwas runtergegangen wäre, hätte er uns damit Verhandlungsbereitschaft signalisiert und wir vielleicht schon längst zugesagt.

      Die Fußballbundesliga ging in die Sommerpause und in Spanien fing die WM an. Wie erwähnt, mein damaliger Chef bei der Vereinten Versicherung war auch gleichzeitig mein Freund. Wir beide waren als Zeitsoldaten in Münster stationiert. Er war fast ein Jahr früher als ich beim Bund fertig und startete anschließend eine Karriere bei der Versicherung. Mich holte er ein Jahr später dazu, weil er sicher war, dass ich dahin gehöre. Wir kickten auch jahrelang gemeinsam in der Betriebssportmannschaft und ich schaffte es, ihn nach und nach ein bisschen Schalke-Verrückt zu machen.

      Hans-Jürgen, so hieß mein Chef und Freund, hatte mich und Gudrun zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Chile eingeladen. Wir wollten


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