Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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sondern auch richtig wütend. Kein Umsatz mehr in unseren Geschäften, offene Rechnungen und ein Bau, der nur halbfertig war.

      Und dann kam es Schlag auf Schlag. Es gab Gespräche bei der Bank, das Konto war leer. Der Bauunternehmer hat täglich Geld abgeholt, um damit angeblich Rechnungen zu bezahlen. Von der gesamten Darlehenssumme waren nur noch ein paar Hunderter auf dem Konto. Die vielen Kontaktaufnahmen zum Bauunternehmer blieben erfolglos, selbst der mittlerweile eingeschaltete Anwalt erreichte nichts. Wir mussten das Gewerbe in dieser Bauruine abmelden. Alle Kreditkarten wurden gesperrt, die Auto-Leasing Bank forderte nach der dritten Mahnung den Wagen zurück. Eine Katastrophe! Ich war pleite.

      Und so etwas spricht sich nicht nur in einem Dorf schnell herum. Jeder Handwerker mit einer offenen Rechnung schaltete alle rechtlichen Möglichkeiten gegen uns ein, um an sein Geld zu kommen.

      Ich mache es kurz: Mit beiden Hypotheken, allen Handwerkerrechnungen inklusive aller fremden Rechtsanwaltskosten und Gebühren hatte ich über 700.000 DM Schulden am Arsch. Dazu kam die Leasing-Bank, die Schadensersatzansprüche von Quelle und noch der Kontoüberzug. Denn kurz bevor alles zusammenbrach, hatte ich für meine Frau und meine drei Kindern die letzten 10 Euroschecks vordatiert und eingelöst.

      Damals herrschte die Hochzinsphase, und Zinsen über 10% waren völlig normal. Somit erhöhte sich mein Schuldenstand jährlich um über 100.000 DM. Wahrlich keine schöne Situation für eine junge Familie, bei denen vor einigen Monaten die Welt noch in Ordnung war. Unser Rechtsanwalt klagte in unserem Namen gegen den Bauunternehmer, der in der Zwischenzeit mit seiner GmbH Insolvenz war. Insolvenz ist Insolvenz, da gibt es nichts mehr zu holen.

      Wir klagten wegen Betrug vor dem Landgericht in Hamm, haben den Prozess gewonnen und einen Titel bekommen. Nur hatte der Bauunternehmer trotzdem kein Geld, um uns etwas zurückgeben. Von einem Titel der 30 Jahre zählt, konnte ich meine Familie nicht am Kacken halten. Von heute auf morgen war alles zusammengebrochen. Aber aufgeben und den Kopf in den Sand stecken, das war noch nie eine Option für mich.

      Natürlich genossen wir bisher einen sehr hohen Lebensstandard, dieser musste runtergefahren werden, aber ohne, dass unsere Kinder eine große Veränderung spüren sollten. Also ging ich zu meinem Chef Hans-Jürgen und führte eines der besten Gespräche. Ich erzählte offen und ehrlich, dass alle Konten, Schecks und Kreditkarten gesperrt seien. Ich hatte nur noch die letzten 4.000 DM von den 10 Euroschecks, das war alles. Noch hatte mich keiner der Gläubiger zum Offenbarungseid gezwungen, aber das war nur noch eine Frage der Zeit. Den Gerichtsvollzieher duzte ich mittlerweile, schaffte es aber bisher immer noch, ihn ohne Beute wieder wegschicken. Ich erklärte meinem Chef und Freund, dass meine Familie mir das Wichtigste ist und ich alles Menschenmögliche dafür geben würde, um aus dieser fatalen Lage wieder herauszukommen. Wir einigten uns darauf, dass er den Versicherungsvorstand in München anrufen würde, um einen Zinsstillstand zu erreichen. Gleichzeitig wollte er den Vorstand bitten, das Gleiche bei meiner Hausbank zu erfragen, die beiden waren immerhin die größten Gläubiger auf meiner Liste. In der Zwischenzeit wollte ich mich mit allen anderen Gläubigern in Verbindung setzen und ihnen vorschlagen, jeweils am Monatsende, nach Abzug all unserer Kosten, den Restbetrag unter allen aufzuteilen. Die einzige Voraussetzung war: Kein Gläubiger zwingt mich dazu, den Offenbarungseid zu leisten. Sollte das geschehen, würde ich sofort die Arbeit einstellen und keinen mehr bedienen.

      Schon nach wenigen Tagen hatte ich von allen Gläubigern die schriftliche Zusage. Auch mein Chef bekam von beiden Banken die Zusage, dass nichts weiter gegen mich unternommen würde. Während mein Arbeitgeber auch einem Zinsstillstand zustimmte, hat die Hausbank weiter ordentlich Zinsen berechnet. Das war mir aber erst einmal egal, jetzt hatte ich die Ruhe, die ich brauchte, um richtig zu arbeiten.

      Jeder Gläubiger wurde am Monatsende mit einem kleinen Betrag vorerst zufrieden gestellt. Wenn ich einen guten Monat hatte, habe ich ein bisschen mehr Geld in die Hand genommen und bin zu einem kleineren Gläubiger gegangen und habe ihm angeboten anstatt einer monatlichen kleinen Rate jetzt sofort ein Drittel der Schuldsumme zu bezahlen und den Restbetrag zu vergessen. Fast alle Handwerker ließen sich auf diesen Deal ein, auch wenn ich manchmal noch etwas nachlegen musste. Aber innerhalb von zwei Jahren habe ich alle Handwerker in Saerbeck bezahlt, bereits zwei Jahre später die Leasing-Bank und Quelle. Nun blieben nur noch die beiden großen Banken über. Nach über fünf Jahren kam ich auch mit unserer Hausbank zu einem Vergleich und da meine Versicherungsbank auf den größten Teil der Hypothek verzichtete, war ich endlich wieder schuldenfrei.

      Oh ja, das war eine ganz, ganz harte Zeit und ich bin froh und dankbar, dass mir unser damaliger Rechtsanwalt als unser Freund und Berater zur Seite stand. Und auch, dass mein Arbeitgeber mir für meinen Einsatz und meine Loyalität zur Firma, unheimlich entgegengekommen ist. Ohne die Unterstützung der beiden wäre die Sache vielleicht ganz anders ausgegangen.

      Ich ärgere mich heute nicht darüber, dass ich damals so viel Geld verloren habe. Nein, ich bin eher stolz, dass ich fast 1 Million DM Schulden abgearbeitet habe und kein Gläubiger auf der Strecke geblieben ist. Das war fast so wie im Fußball, als die Bayern am letzten Spieltag der Saison 2000/01 nach Hamburg mussten: In der 90. Minute machte Sergej Barbarez das 1:0 für die Hamburger und Schalke 04 war eigentlich Deutscher Meister. Eigentlich. Die Bayern Spieler lagen zerstört am Boden und nur Olli Kahn rannte zu seinen Kameraden und furzte sie an. Weiter, weiter, immer weiter! Und in der 94. Minute machten die Bayern das nicht mehr für möglich gehaltene 1:1 und wurden deutscher Fußballmeister.

      Ein bitterer Tag auf Schalke …

      »Weiter, immer weiter!«

      (Oliver Kahn)

      Die Bayern kommen! Am 27. Oktober 1984, es war der 10. Spieltag, waren die Bayern wieder zu Gast im Parkstadion in Gelsenkirchen. Nein, wir haben das Spiel nicht wie so oft gegen die Bayern verloren, aber wir haben auch nicht gewonnen. In der 31. Minute brachte Klaus Augenthaler die Bayern mit 1:0 in Führung, aber in der 79. Minute konnte Bernhard Dietz den Ausgleich zum 1:1 Endstand erzielen.

      Ich hatte wie zu jedem Heimspiel für unsere Mitglieder einen Bus von Saerbeck nach Gelsenkirchen organisiert. Klar, gegen Bayern einen Bus voll zu bekommen war wirklich keine Kunst. Denn so wie heute, waren auch früher die Spiele gegen die Lederhosen immer ausverkauft. Und weil die Nachfrage zu diesem Spiel so groß war, habe ich einen alten Gelenkbus für über 70 Personen organisiert: Keine Toilette, keine Klimaanlage, keinen Luxus, dafür aber viele Plätze für wenig Geld.

      Normalerweise braucht ein Bus für die 104 Kilometer von unserem Vereinslokal „Dorfkrug“ in Saerbeck bis zum Busparkplatz am Parkstadion, wenn es alles gut läuft, etwa anderthalb Stunden. An diesem Tag haben wir mehr als zwei Stunden benötigt, da wir vier Pinkelpausen einlegen mussten. Und jeder, der zum Fußball fährt, weiß was das bedeutet. 70 feiernde Fußballfans nach jeder Pinkelpause wieder in den Bus zu bekommen, das ist ein Akt.

      Wir sind damals immer über die A52 bei Marl nach Gelsenkirchen gefahren, da wir von hier aus besser zur Braukämperstraße 79 kamen. Genau, mein altes Zuhause, hier wohnten meine Eltern. Mutti und Vati haben während wir auf Schalke waren, auf unsere beiden kleinen Töchter Susi (7) und Melanie (4) aufgepasst. Thomas, unser Ältester, war schon immer mit im Stadion. An normalen Spieltagen lief es meist wie folgt ab: Opa Franz stand schon immer wartend auf der Straße. Der Bus rollte langsam an, hielt und öffnete die Tür. Ich stieg aus und hatte Susi und Melanie an der Hand. Ein kurzes »Hallo« zum Vater, anschließend habe ich ihm schnell eine Tasche mit all den wichtigen Dingen, die man als „Babysitter“ benötigt, übergeben, bin wieder eingestiegen und Abfahrt. Wenn die Formel 1 heute einen Reifenwechsel in 2,8 Sekunden schafft, waren wir mit gefühlten 20,8 Sekunden nicht schlecht. Da wir diesmal viele neue Mitfahrer dabeihatten, ließ ich den Bus etwas länger an der Straße stehen und zeigte auf das Haus, in dem meine Eltern lebten. Dann ergänzte ich, dass meine Eltern oben in der vierten Etage wohnten, genau da, wo gerade meine Mutter aus dem Küchenfenster die „Kinderübergabe“ anschaute. Ja, da oben wohnte ich viele Jahre. Aber: »Da unter uns, also ganz unten, da wohnte ein Star, da wohnte Olaf Thon.« Die Fans waren aus dem Häuschen und drückten ihre Nasen an den Fensterscheiben platt, trommelten mit den Fäusten dagegen und sangen


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