Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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muss? Ich glaube, dass schafft nur die Ehefrau oder die Mutter. Wie auch immer. Aus einem Bier wurden zwei Bier, dann waren es plötzlich drei Bier und immer mehr. Irgendwann war mein Fahrer weg. Er gab es auf, mich davon zu überzeugen, dass ich nach Hause muss.

      Was solls, dachte ich. Es waren sowieso nur knapp 600 Meter bis nach Hause. Diese wenigen Meter zu laufen, dürfte doch wohl kein Problem werden. Aber als guter Ehemann wollte ich meiner Gudrun wenigstens mitteilen, dass mein Kumpel einfach abgehauen ist und ich jetzt laufen müsse. Das es nun etwas später wird, dafür kann ich ja nun nichts. Natürlich sagte sie, dass ich austrinken und nach Hause kommen soll, ich hätte genug. Hm, woher wusste Gudrun, dass ich noch etwas im Glas hatte? Und woher wollte Gudrun wissen, dass ich genug hatte? Ehefrauen, die wissen meistens immer alles (besser). »Jawohl mein Schatz, ich trinke aus und komme sofort nach Hause«, sagte ich zu ihr, was auch sonst?!

      Ich denke, etwa 90 Minuten später war mein Glas leer. Mag sein, dass in dieser Zeit noch das ein oder andere volle Glas hinzukam. Wer weiß das schon. Jetzt war das Glas zumindest leer, ich war dafür voll und ich wollte mich so langsam auf den Weg nach Hause machen.

      Bei uns im Vereinslokal gab es, wenn wir mit dem Bus auf Schalke waren, meist selbstgemachte und leckere Frikadellen und Schnitzel von unserer Wirtin Angelika. Diese lagen zum Verkauf hinter der Theke. Während Angelika meinen Deckel zusammenrechnete, stieg mir der Duft der leckeren Frikadellen und Schnitzel in die Nase. Mein Magen meldete sich direkt, denn feste Nahrung wäre jetzt nicht schlecht. Auch Gudrun würde sich bestimmt freuen, wenn ich noch etwas zu Essen mit nach Hause bringe. Welche Frau freut sich nicht, wenn ihr der Ehemann nach einem anstrengenden Tag etwas mitbringt? Unsere Wirtin Angelika packte mir drei Frikadellen und ein großes Schnitzel in Alu-Folie. Ich schaute mich noch einmal in der Kneipe um, ob nicht doch irgendwo noch mein oder irgendein Fahrer sitzt, der mich nach Hause fahren könnte. Leider nein. Also musste ich laufen.

      Ich fand es schon ein bisschen traurig, dass mein Fahrer einfach abgehauen ist. Mich allein im Dunkeln laufen lassen, das ist ganz schön unfair von meinem Kollegen, dachte ich, als ich an den vier Fahrrändern vorbeitorkelte, die vor unserem Vereinslokal standen. Beim Vorbeigehen bemerkte ich trotz Alkohol, dass zwei der Räder nicht abgeschlossen waren, ein Damen- und ein Herrenfahrrad. Hm, wenn ich mir nun ein Rad ausleihe und es gleich morgen früh zurückbringe, wird das keiner merken, schwirrte es in meinem volltrunkenen Kopf, und ich bräuchte nicht allein im Dunkeln nach Hause laufen.

      Warum auch immer fiel mir genau jetzt diese blöde Geschichte ein, bei der sich ein langer Schal in die Radspeichen verhedderte und die Radfahrerin zu Fall brachte. Das Mädchen verletzte sich bei diesem Unfall schwer. So dumm wollte ich auf keinen Fall sein und wickelte mir meinen selbstgestrickten meterlangen blau-weißen Schal mehrmals um den Hals. Jetzt kann nichts mehr passieren. Moment, da waren ja noch die Frikadellen und das Schnitzel. Ich konnte mir das Essen ja nicht in die Hosentasche stecken. Na gut, dann fahre ich eben einhändig, dachte ich Schlaumeier. Und schon bei den ersten Versuchen, das Rad zum Laufen zu bringen, scheiterte ich. Um die Anwohner und letzten Gäste im Vereinslokal nicht mit Lärm auf mich aufmerksam zu machen, entfernte ich mich erstmal mit dem Rad von der Kneipe. Ich schob das Fahrrad knappe 150 Meter weg über den Kirchplatz. Danach versuchte ich mehrmals verzweifelt auf das Rad zu steigen. Wahrscheinlich war es an diesem Abend so schwer, da ich schon viele Jahre nicht mehr mit dem Rad gefahren bin. Genau, das musste der Grund sein …

      Ich schaffte es einfach nicht, mein Gleichgewicht zu halten, weil der ganze Weg aus Kopfsteinpflaster bestand. Also ging ich die nächsten 50 Meter zu Fuß weiter. Mit der rechten Hand schob ich das Rad, in der linken Hand hielt ich die Frikadellen und das Schnitzel. Jetzt waren es nur noch etwa 400 Meter bis nach Hause. Ich weiß nicht, der wievielte Versuch es war, bis ich endlich auf dem Rad saß, aber irgendwann klappte es und ich wackelte mit dem Rad gefährlich hin und her. Egal, dafür musste ich nicht mehr laufen.

      Mit der linken Hand lenkte ich so gut es ging das Fahrrad, mit der rechten Hand schwenkte ich das Essen für Gudrun und sah dabei bestimmt genauso gut aus, wie ein Kellner, der in einem vollen Lokal serviert. Und plötzlich kam eine Kurve aus dem Nichts! Wo kommt die denn auf einmal her? Richtig, es handelte sich um eine neue Straße! Geistesgegenwärtig wollte ich das Lenker links herumreißen, doch irgendjemand muss die Lenkung manipuliert haben, sodass ich weiter geradeaus gefahren bin und mit voller Wucht in einer Gartenhecke landete …

      Dank meiner guten und sportlichen Verfassung rollte ich mich erst über den Lenker, anschließend über die Hecke und landete schließlich im Garten. Leider hatte ich bei der Rolle Vorwärts, wie ein geübter Kugelstoßer mein „Päckchen“ mit den Frikadellen und dem Schnitzel abgestoßen. Die Weite wäre bestimmt rekordverdächtig, wenn mein „Päckchen“ nicht mit einem lauten Plopp an der Terrassentür des Hauses gestoppt hätte.

      Ich hatte keine Zeit zu überlegen, ob es mir gut ging, denn der (Wach-)Hund des Hauses bellte, und zwar laut. Also sprang ich auf, schnappte mir das Fahrrad und trat die Flucht an. Ich wollte weg sein, bevor die Nachbarn aus dem Haus kamen. Nach ein paar Metern, die mir allerdings wie ein Langlauf vorkamen, fühlte ich mich in Sicherheit und machte schwer atmend eine Pause. Ich hatte Schürfwunden an den Händen, die Hose war grün vom Rasen, das Essen für Gudrun war futsch und dann war da ja noch das geliehene Fahrrad. Dabei war ich doch nur auf Schalke und hab mir anschließend ein oder zwei (oder mehr) Bierchen in unserem Vereinslokal gegönnt. Wie erkläre ich das nur meiner Frau? Plötzlich hatte ich dir glorreiche Idee, das Fahrrad einfach im Garageneingang des Nachbarhauses zu verstecken. Ich würde das Rad morgen früh abholen und heimlich wieder am Dorfkrug hinstellen. Was für eine gute Idee! Und so machte ich mich auf den Weg, die letzten paar Meter nach Hause zu wackeln.

      Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich Gudrun an diesem Abend alles erzählt habe, aber ich bekam Hunger. Die leckeren Frikadellen und das Schnitzel hat sich nun bestimmt der Hund reingehauen, der mich mit seinem Bellen verjagte. Während Gudrun für mich im Kühlschrank nach einem kleinen Mitternachtssnack schaute, wurden meine Augenlider immer schwerer und ich schlief im Sessel ein. Irgendwann in der Nacht bin aufgewacht, da ich einen ganz trockenen Hals hatte. Das Licht war abgedunkelt und der Fernseher lief. Aber Gudrun war nicht zu sehen, wahrscheinlich lag sie längst im Bett. Ich schaute auf die Uhr. Es war 4:25 Uhr. Ich zog mich schnell aus und legte mich noch leicht Gaga im Kopf zu meiner Gudrun ins Bett.

      Als ich die Augen später wieder öffnete, hatte ich das Gefühl, das ich nur ein paar Minuten geschlafen habe. Ich schaute auf die Uhr und war erschrocken, es war bereits 9:20 Uhr. Für einen Frühaufsteher wie mich fühlt sich so etwas schon fast wie mittags an. Ich sprang aus dem Bett und bin fast wieder umgefallen. Ein großer Blitz durchzuckte meinen Kopf und es fing an, darin zu hämmern. Aua! Ich musste mich noch einmal hinlegen und die Augen schließen. Was war gestern Abend eigentlich passiert, dachte ich, und ich überlegte. Ach du Kacke, war mein erster Gedanke. Was hast du gestern Nacht nur wieder alles angestellt? Ich überlegte krampfhaft weiter, wie ich die einzelnen Erinnerungsbrocken zu einer Geschichte zusammensetzen konnte.

      Ich bin nach der Busfahrt noch in unser Vereinslokal gegangen, um einen Absacker zu trinken. Eigentlich wollte ich sofort nach Hause, aber mein Fahrer ist einfach abgehauen. Ich musste also zwangsläufig etwas länger in der Kneipe bleiben. Aber hatte ich nicht noch Frikadellen gekauft? Ja. Aber gegessen habe ich keine. Wahrscheinlich habe ich das Essen im Dorfkrug liegen lassen. Moment, da war doch noch ein Fahrrad! Bin ich mit dem Fahrrad nach Hause gefahren? Hm. Meine Kopfschmerzen wurden stärker und in meinem Bauch zog sich alles zusammen. Alkohol? Nie wieder. Ich werde nie wieder im Leben Alkohol trinken, schon gar nicht, wenn ich auf Schalke bin.

      Nun aber ab ins Bad. Nach dem Zähneputzen und der Dusche ging es mir ein bisschen besser. Jetzt musste ich Gudrun nur noch glaubhaft erklären, dass gestern nichts passiert ist und es wie immer ein normaler Tag auf Schalke war. Aber ehrlich gesagt, kennt Gudrun mich, und das sehr gut. Sie wird nicht eher lockerlassen, bevor ich ihr alles erzählt habe. Aber wie soll ich etwas erzählen, wenn ich mich selbst nicht mehr genau erinnern kann. Als ich aus dem Bad kam, ging ich rein zufällig zum Abfalleimer in der Küche und nahm den halbvollen Müllbeutel heraus. »Moin Schatz, ich komme gleich. Ich bringe nur schnell den Müll raus«, sagte ich zur ihr. Die Antwort wartete ich gar nicht erst ab,


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