Eine Blau-Weisse Autobiografie "5:04" – Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben. Rolf Rojek

Eine Blau-Weisse Autobiografie


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habe mein Konto. Und wer weiß, vielleicht habe ich ja irgendwann einmal so viel Geld, dass ich es dann genau hier einzahlen kann. Glücklich und zufrieden fuhr ich also wieder in Richtung unserer Ferienwohnung nach Kempten.

      Nach 41 Jahren kam Gudrun mit dem Sparbuch in der Hand die Treppe runter. »Schau mal«, sagte sie, »was ich oben gefunden habe. Ob das Guthaben noch existiert?« Ich versprach ihr, in den nächsten Tagen in Österreich anzurufen. Und ja, ich habe angerufen. Und es ist genauso, wie es mir der Bankkaufmann vor 41 Jahren erzählte: Keiner bekommt die Daten von der Bank. Ich konnte ihn fragen, was ich wollte, er verwies mich immer wieder darauf, dass er mir nichts sagen dürfte. Ich müsste persönlich vorbeikommen. Tja, und nun stellt sich bei mir die Frage, fahr ich für 100 DM noch einmal nach Österreich oder soll unser Enkelkind das Geld später bekommen? Wer weiß, was er dann für Zinsen und Zinseszins auf dem Sparbuch erhält …

      »Als ich jung war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben, jetzt wo ich alt bin, weiß ich, dass es das Wichtigste ist.«

      (Oscar Wilde)

      Ich denke schon, dass ich ein richtiger „Ruhrpottler“ bin, einer der seine Heimatstadt Gelsenkirchen liebt und der stolz auf das Ruhrgebiet ist. Aber die Entscheidung, unsere Kinder im Münsterland groß werden zu lassen, halte ich auch heute noch für richtig. Es war eine schöne Zeit in Saerbeck, dem kleinen Dorf in der Nähe des Flughafens Münster-Osnabrück.

      In Saerbeck arbeitete und lebte ich, hier wurden unsere Kinder groß, hier habe ich den Schalker Fan-Club Verband aufgebaut und großgemacht. Täglich hatte ich neue Ideen, um die Fanbetreuung zu verbessern und einmal schrieb sogar eine Zeitung „Das Herz der Schalker Fan-Zentrale schlägt im Münsterland.“ Wir hatten dort ein schönes Haus mit rund 160 qm Wohnfläche und einem fast 100 qm großen Keller. Das war schon sehr groß, aber für Gudrun, mich und unsere drei Kinder noch nicht groß genug. Immerhin brauchte ich schon fast 100 qm für die Fanbetreuung und mein Sportgeschäft.

      Unser Keller wurde zum Ausstellungsraum für Sportartikel und zum Schalke-Büro umgebaut. Im kleinen Schalke-Büro standen Schreibtisch und Aktenschränke und es hing eine ganz große Deutschlandkarte an der Wand. Auf dieser Landkarte wurde jeder Fan-Club mit einem Steckfähnchen mit seiner Mitgliedsnummer markiert. Jedes Mal, wenn ein neuer Fan-Club dem Verband beigetreten ist, hatten meine beiden Töchter Melanie und Susanne Streit. Denn beide wollten das neue Steckfähnchen auf der Landkarte platzieren. Ja, das ist Kinderarbeit zum Wohle der Schalker Fan-Club Kultur.

      Damals hatte ich noch ein Sporthaus in Osnabrück, „Sport Clausmeier“ hieß der Laden. Ich hatte die Lizenzen für die Ware von adidas, Puma, Nike und anderen großen Sportartikelherstellern. Schon zu dieser Zeit war es mein Ziel, viele Vereinsmannschaften als Kunden zu gewinnen. Während es heute zig Anbieter für Vereinsausrüstungen gibt, war das früher nicht selbstverständlich. Daher hatte auch schnellen Erfolg mit meinem Vorhaben. Ich sponserte unter anderem die Osnabrücker Dart-Liga, darunter den Dart-Club von Mike, einem gebürtigen Engländer, der in Osnabrück stationiert war. Rund 40% des Umsatzes machte ich allein mit dem Verkauf von Pokalen und Dart-Zubehör. Dart spielen hat zwar Spaß gemacht, aber ich bin Fußballfan, oder besser gesagt, Schalker. Also gehörten auch Fan-Artikel in mein Sortiment.

      Ich weiß noch genau, ich galt damals als Exot, als ich auf der ISPO, der größten Sportfachmesse in München, verschiedene Fan-Artikel kaufen wollte. Während andere Fachhändler für mehrere tausend DM Sportbekleidung kauften, holte ich nur Aufnäher und Aufkleber für etwa 200 DM. Aber ich war stolz darauf.

      Mein Hauptberuf war aber in der Versicherungsbranche. Und ein guter Versicherungskaufmann zu sein, dazu ein erfolgreicher Sportartikelverkäufer, der nebenbei noch den größten Fan-Club Verband aufbauen und zusätzlich ein liebevoller Ehemann und Familienvater bleiben wollte, das war auch für mich unmöglich. Also verkauften wir schweren Herzens unser Sportgeschäft in Osnabrück und verlegten den Verkauf von Sportartikeln nach Saerbeck, in unseren Keller. Wir nutzen die etwa 80 qm für Regale und Verkaufsvitrinen, auf denen sich Pokale, Sportbekleidung und Fan-Artikel türmten. Es gab keine offiziellen Öffnungszeiten, es wurden telefonisch Termine vereinbart, egal ob früh morgens oder spät abends. Entweder war Gudrun als Ansprechpartner vor Ort oder ich.

      Nicht selten klingelte es am Sonntagmorgen schon um 8:00 Uhr bei uns an der Tür und irgendwelche Fans aus Bad Oeynhausen oder Warendorf besuchten uns unangemeldet, um sich Fan-Artikel für den Fan-Club anzuschauen oder zu bestellen. Das Geschäftliche war meist schon nach ein paar Minuten erledigt und dann folgte fast immer die gleiche Frage »Was gibt es Neues auf Schalke?« Um diese Frage zu beantworten, brauchte es häufig mehr Zeit und endete in einem Frühschoppen, der nicht selten bis in die Mittagsstunden ging. Und bevor es dann endlich Mittagessen gab, klingelte es wieder an der Haustür und der nächste Fan-Club stand auf der Matte. So ging es bei uns manchmal das ganze Wochenende zu. Ich hatte häufig das Gefühl, dass viele Fans einfach nur so vorbeikamen, um mit mir über Fußball, Schalke und die Fanbetreuung zu reden. Und dazu gab es ja auch immer eine kostenlose Flasche Bier. Danach wurde oft nur ein Schal oder ein Aufnäher gekauft, aber Hauptsache, es war ein schöner Vormittag. Diese unangemeldeten Besuche störten Gudrun und mich nicht, denn auch das gehörte für uns zur Fanbetreuung.

      Aber die „Kundenbesuche“ im Privathaus Rojek wurden noch viel schlimmer, als ich mit dem Einverständnis von Rudi Assauer eine offizielle Kartenvorverkaufsstelle für die Heim- und Auswärtsspiele des FC Schalke 04 eröffnete. Von diesem Tag an änderte sich bei uns einiges, denn von nun an gab es keinen Feierabend mehr. Unsere „inoffiziellen“ Öffnungszeiten gingen von 8:00 bis 22:00 Uhr, ein Computer-Verkaufssystem gab es damals natürlich noch nicht. Ich holte die Karten von der Schalker Geschäftsstelle in Gelsenkirchen ab und Gudrun sortierte die Tickets anschließend nach Blöcken und Reihen, bevor die Karten per Hand verschickt an die Fan-Clubs gingen. Da Gudrun es aber jedem Fan-Club recht machen wollte, kam sie auf die Wahnsinnsidee, die Karten in der ganzen Wohnung auf dem Boden zu verteilen, um diese so besser zuzuordnen. Das Wohnzimmer war die Haupttribüne, der Flur die Gegengerade und so weiter. Überall lagen Karten nach Blöcken und Reihen sortiert herum. Wenn ich meckerte, meinte sie immer nur, dass ich im Stadion ja schließlich auch neben meinen Freunden sitzen möchte.

      So zufrieden wie damals, waren Fan-Clubs und Mitglieder wohl nicht wieder. Es gab einen persönlichen und freundlichen Kontakt, keine festen Öffnungszeiten, alle Sonderwünsche wurden erfüllt und ein kostenloses Bier bei Gesprächen rund um Schalke gab es ja auch noch. Wen wunderte es da noch, dass der Schalker Fan-Club Verband einen so großen Zulauf hatte …

      »Egal wie sehr du dich auch bemühst, du wirst es nicht schaffen, dass alle Menschen dich lieben.«

      Irgendwie macht der Fußball uns alle ein bisschen „Gaga“. Warum machen erwachsene Menschen sonst immer so einen Unsinn, wenn es zum Fußball geht? Oder liegt es vielleicht am Alkohol? Schließlich gehören Bier und Fußball zusammen. Hm, ich glaube daran könnte es liegen …

      Es war Anfang der Neunziger und ich organisierte wieder einmal einen Bus von Saerbeck zu einem Schalke-Heimspiel nach Gelsenkirchen. Wie immer war der Bus schnell ausverkauft. Ich kann heute gar nicht mehr sagen, gegen wen Schalke damals spielte, aber ich weiß, dass alle Fans aus dem Bus ganz schön einen im Tee hatten, als wir wieder in Saerbeck ankamen, ich inklusive.

      Wie immer hielt der Bus an unserem Vereinslokal „Dorfkrug“, schließlich wollten sich einige nach so einer anstrengenden Fahrt noch einen Absacker gönnen. Und wie das so in einem Fan-Club ist, die einen gingen sofort nach Hause, die anderen etwas später. Ich gehörte zu denen, die gerne etwas später nach Hause gingen. Mein Kollege war da anderer Meinung. Er wollte mich am liebsten sofort nach Hause bringen, weil er noch zu einer Feier in den Nachbarort Greven wollte. Ich konnte ihn überredete, noch auf eine Cola mit in die Kneipe zu kommen, denn länger würde auch ich auf keinen Fall bleiben.

      Na ja, aber wer schafft es schon, einem leicht angetrunkenen Mann, der in bester Laune gemeinsam mit seinen Freunden im Vereinslokal sitzt, ein frischgezapftes


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