Maybelline. Taylor Brown

Maybelline - Taylor Brown


Скачать книгу
auf dem Hof stand.

      »Das ist Cooley Muldoon«, sagte sie. »Er ist mit einem Mädchen drüben in Linville verlobt. Wir, wir hatt’n heute Nacht ’nen Unfall.«

      Granny blickte mit zusammengekniffenen Augen auf den tuckernden Wagen. Die erwachte Sonne schimmerte auf dem Glas und zitterte auf der Motorhaube. Nicht ein Kratzer im Lack.

      Das Mädchen hob die Hände.

      »Auf dem … Rücksitz«, sagte sie.

      »Aha«, bemerkte Granny.

      »Die Leute sagen, Sie machen Mondtee.«

      »Setz dich einen Moment, mein Kind. Ich lass gerade welchen ziehen. Als hätte ich’s gewusst, dass du kommst.«

      Das Mädchen setzte sich in den anderen Schaukelstuhl, und Granny schlurfte leise hinein, als wollte sie das leere Haus nicht wecken. Die Kanne stand auf dem Holzofen, und Dampf stieg kräuselnd auf. Darin befand sich eine Mischung aus Poleiminze, Gänsefingerkraut und anderen Kräutern, ein Gebräu, dessen Rezept von Waldhexen stammte. Wenn die Mischung nicht stimmte, konnte sie tödlich sein. Sie nahm einen der Becher, die auf dem Regal standen. Sie hatte sich das Mädchen genau angesehen, um die richtige Menge einzuschenken.

      Granny paffte ihre Pfeife, während das Mädchen den Tee trank. Der Junge saß noch immer hinter dem Steuer und setzte zwischendurch einen Flachmann an die Lippen.

      »Hatte er keinen Gummi?«

      Das Mädchen hielt den Becher mit beiden Händen, und der Dampf stieg ihr in das gesenkte Gesicht.

      »Er will keinen benutzen«, sagte sie. »Er meint, das ist, als würde man ein Beefsteak mit ’ner Socke über der Zunge essen.«

      »Stimmt das?«

      »Ja. Er meint, er will lieber überall auf den Hügeln uneheliche Kinder haben, als sich unter einer Lümmeltüte zu verstecken.«

      Granny konnte spüren, wie der alte Zorn aufwallte. Sie dachte an ihre eigene Tochter, damals, in längst vergangener Zeit. Dachte an den vaterlosen Enkel, den sie unter ihrem Dach beherbergte, der unruhig unter seinem Gewirr aus Decken schlief, als würde ihn das im Krieg verlorene Bein im Schlaf treten und stoßen. Sie steckte den Pfeifenstiel zwischen ihre Zähne und zog fest daran.

      »Vielleicht solltest du dann nicht mit ihm mitfahren.«

      Das Mädchen blickte auf.

      »Das ist Cooley Muldoon, von den Linville-Muldoons. Sie lassen mehr Whiskey von den Hügeln runterfließen als Gott Bäche. Wenn er was von einem will, sagt man nicht Nein.«

      »Mehr Whiskey als Eustace Uptrees Truppe?«

      Das Mädchen hielt mit der Tasse auf halbem Weg zum Mund inne. Sie sah sich um und schien zu bemerken, wo sie sich befand. Auf wessen Berg. Ihre Augen wurden groß.

      »Nein, Ma’am. So viel wohl nicht.«

      Der Junge schob den Ellbogen aus dem Wagen, gefolgt von seinem Kopf.

      »He«, sagte er. »Wie lange dauert das noch? Ich hab nicht den lieben langen Tag Zeit, euch beim Quasseln zuzuschauen.«

      Granny nahm die Pfeife aus dem Mund.

      »Es wird den Rest deines Lebens dauern, wenn du einer alten Frau nicht’n bisschen Respekt entgegenbringst.«

      Cooley stieg aus dem Wagen und schlug die Tür zu. Er war dünn und drahtig, die Ärmel seines Flanellhemds hatte er über weißen langen Ärmeln aufgerollt, und seine Hosenträgerschlaufen hingen herab wie ein Paar schlaffe Flügel. Ein langes Messer mit einem Hirschhorngriff steckte in einer Lederscheide an seinem Gürtel.

      »Hör’n Sie mal«, sagte er, »ich hab nicht zwanzig Dollar springen lassen, um mir das Gemecker von ’ner alten Hure anzuhören.«

      Er zeigte vom Hof aus auf sie, nur einen Steinwurf entfernt, aber sie konnte beinahe spüren, wie sich sein Finger prüfend in ihr Herz bohrte. Sie blickte über ihn hinweg zu den Flaschen im Baum. Der Wind bewegte sie sanft an ihren Zweigen, hundert winzige Münder, die ihren Unmut flüsterten.

      »Vorsicht«, sagte sie. »Ruf dir lieber ins Gedächtnis, wo du bist.«

      »Ich weiß genau, wo ich bin.«

      Er überquerte den Hof, den Arm ausgestreckt, um das Mädchen von der Veranda zu zerren, aber er blieb an der Treppe stehen, als wäre plötzlich die Kette zu Ende. Es war ein Dröhnen, das ihn gestoppt hatte und klang, als käme es vom Berg selbst. Ein Beben. Ein einziger Motor im County machte ein solches Geräusch.

      Maybelline.

      Das Coupé bog in die Auffahrt ein, ein schwarzer 1940er Ford, der wie eine Kanonenkugel aussah. Er bahnte sich einen Weg durch die Spurrillen, wobei der große Krankenwagenmotor die Erde festklopfte. Quietschend blieb der Wagen stehen und stotterte im Leerlauf, so wenig Gas nicht gewohnt. Der Fahrer würgte den Motor ab, und der Wagenschlag wurde knarrend geöffnet. Heraus stieg Granny Mays Enkel in seiner alten Bomberjacke, die Stirn unter einer schwarzen Melone versteckt, die seinem Großvater gehört hatte. Er war klein, aber kräftig, mit breitem Kiefer und dem Unterbiss einer Bulldogge. Jene Sorte Kiefer, die, sobald sie sich in etwas verbissen hatte, nicht mehr losließ.

      »Rory Docherty«, sagte Cooley. »Hab gehört, du bist zurück aus Übersee. Oder wenigstens ein Teil von dir.«

      Rory humpelte zur Vorderseite seines Wagens, wobei er sein Holzbein nachzog. Er sagte nichts. Cooley spuckte ins Gras.

      »Hätte nicht gedacht, dass du noch fährst.«

      Rory zog ein Päckchen Lucky Strike aus seiner Brusttasche und zündete sich eine zwischen seinen hohlen Händen an. Das Zippo-Feuerzeug des 5th Marine Regiment in seiner Hand schnappte zu.

      »Ist kein Problem«, sagte er, »weil es mein Kupplungsfuß ist.«

      Cooley leckte sich die Lippen und blickte auf Rorys linken Stiefel.

      »Dieser Rennfahrer, Red Byron, ist jetzt ein Krüppel. Hat ihn anscheinend nicht davon abgehalten, weiter Rennen zu fahren. Er hat das Bein ja noch.«

      Rory stieß den Rauch durch die Nase aus, einen sich kräuselnden blauen Schnurrbart.

      »Gibt’s hier irgendein Problem?«

      »Wir sind für’n Schluck Tee von deiner Granny hier«, sagte Cooley. »Ella hier hat gestern Abend eine Ladung abgekriegt.«

      »Na so was«, sagte Rory.

      Cooley zog grinsend seine Reithosen vorn hoch.

      »Ja, Sir. Wir brauchten bloß ein Kräutermittel dagegen.«

      Das Mädchen trank hastig den Tee aus und erhob sich.

      »Ich bin so weit«, sagte sie. »Wir sollten fahren. Daddy steht bald auf. Er darf nicht wissen, dass ich nicht zu Hause war.«

      »Nein«, sagte Cooley mit anzüglichem Grinsen Richtung Rory. »Das darf er nicht wissen.«

      Sie kam von der Veranda herunter und ging zum Wagen, während Cooley sich nicht rührte. Schließlich kehrte er mit federndem Gang zum Wagen zurück, das dämliche Grinsen noch immer im Gesicht. Er stieg in den grünen Hudson und steckte den Kopf durch das Fenster.

      »Hab gehört, Docherty, man hat dir ’ne Medaille dafür verliehen, dass du dich hast in die Luft sprengen lassen.«

      Rorys Wangen verdunkelten sich, während er an der Zigarette zog. Die Asche glomm auf.

      »Stimmt«, sagte er.

      »Ganz schön großzügig, wenn du mich fragst.«

      »Stimmt.«

      »Dort drüben irgendwelche Schlitzaugen gekillt?«

      Wieder kam der Rauch aus Rorys Nasenlöchern, als würde in seinen Eingeweiden ein Feuer brennen.

      »Wird Zeit, dass du von meinem Grundstück verschwindest, Kleiner. Und zwar auf der Stelle.«


Скачать книгу