Maybelline. Taylor Brown

Maybelline - Taylor Brown


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ist es weit.«

      Rory humpelte zu dem Wagen hin. Er legte eine Hand auf das Dach und beugte sich mit der brennenden Zigarette zwischen den Fingern nach vorn.

      »Sachte«, sagte er mit leiser Stimme. »Es heißt, er hat Ohren in den Bäumen.«

      Rory nickte zu dem Geisterbaum hin. Wie er erwartet hatte, wanderte Cooleys Blick an den Zweigen hinauf, und Rory schnippte dem Jungen seine Zigarette in den Schoß. Cooley schrie auf und schlug nach dem Funkenregen, während sich ein Haufen glühender Fliegen auf seinen Schritt stürzte. Das Mädchen auf dem Beifahrersitz hielt sich die Hand vor den Mund und versuchte, nicht zu lachen. Cooley wischte die glühende Asche zu Boden und trat sie aus. Als er aufblickte, war sein Gesicht wutverzerrt.

      »Zum Teufel mit dir, Docherty. Das wird dir noch leidtun.«

      »Es gibt vieles, was mir leidtut«, sagte Rory. »Das hier bestimmt nicht.«

      Er drehte sich um und ging zum Haus. Der Hudson wendete und wirbelte Erde auf, als er schlingernd die Auffahrt hinunterfuhr.

      Granny sah ihrem Jungen dabei zu, wie er mühsam die Treppe erklomm.

      »Du sollst keinen Rauch in eine Schlangenhöhle blasen, Junge.«

      »Das war nicht seine Höhle, sondern unsere.« Er machte Anstalten hineinzugehen.

      »Rory.« Er blieb stehen. »Hast du nicht was vergessen?«

      Er beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange.

      »Auf dem Ofen stehen Catheads«, sagte sie. »Soße dazu ist im Topf.«

      »Danke.«

      Sie hörte ihn hineingehen, wobei die Hütte unter seinen Schritten bebte. Sie hörte, wie die Sprungfedern protestierten, als er sich auf sein Bett fallen ließ und sein Frühstück kalt wurde.

       3

      Es gab eine dreistufige Pagode, errichtet auf einem kleinen Hügel oberhalb des Flusses, der wie geriffeltes Glas schimmerte. Die Einheit hatte den Fluss zu einem Pool aufgestaut. Sie kauerten darin in ihrem Unterzeug und schrubbten sich mit Seife den Augustdreck aus den Falten und Ritzen ihrer Körper. Haubitzen waren um sie herum auf den Hügeln aufgestellt wie Schutzmonster. Trotzdem wuschen sich die Marines in aller Eile, weil sie sich ohne ihre Stahlhelme, ihr Tarnzeug und ihre gelben Leinenbeinlinge, die seitlich geschnürt waren, ungeschützt fühlten. Erkennungsmarken baumelten um ihre Hälse und blitzten in der koreanischen Sonne.

      Rory stand aus dem Pool auf und spürte, wie das kalte Wasser wie ein Umhang an seinem Körper hinabglitt. Seine bloßen Füße mit den weißen Zehen standen auf den runden, glatt gewaschenen Steinen wie die auf dem Berg bei ihm zu Hause. Er ging den Hügel hinauf in Richtung des Tempels mit dem Ziehharmonikadach, wo sie einquartiert waren, vorbei an olivfarbenen Hemden und Hosen, die auf Felsen und Büschen trockneten und wie Tierhäute ausgebreitet waren. Die Luft fühlte sich an, als wäre sie voller Zähne. Früher am Tag, als sie ein verlassenes Dorf durchsucht hatten, waren sie unter Beschuss von Heckenschützen geraten. Ihr erstes Mal. Sie waren zwar Marines, aber trotzdem naiv. Das Knallen der Schüsse hatte ihnen die äußere Schicht Mut vom Rücken gepellt; ihre Knochen waren jetzt dichter unter der Oberfläche.

      Ein Paar steinerne Löwen bewachte den Eingang der Pagode, von Flechten überzogene Tiere mit eckigen Köpfen und großen Pfoten. Die Marines nannten sie »Foo dogs«. Es gab einen Nisei in ihrer Einheit, Sato, dessen älterer Bruder im 442. Infanterieregiment im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Alles japanischstämmige Amerikaner.

      »Komainu«, sagte er. »Wächterlöwen. Sie halten die bösen Geister fern.«

      Einer hatte sein Hemd über eins der Tiere geworfen. Rory nahm das Kleidungsstück herunter, damit die Kreatur etwas sehen konnte. Er betrat den Tempel. Die Luft fühlte sich kühl und abgestanden an wie in einer Höhle. Die dunklen Geister abgebrannter Kerzen spukten um die Wandleuchter. Der Ort roch nach Weihrauch und Lucky Strikes und nervösen Marines. Ihre Ausrüstung war an den Wänden aufgereiht. Er war noch nie an einem so alten Ort gewesen. Granny hatte für Kirchen nichts übrig – »Gottesschachteln« nannte sie sie –, und die in den Bergen schienen im Vergleich zu dieser hier nicht sehr stabil zu sein. Hastig zusammengeschusterte Bretter, manche lediglich aus Unterholz. Doch hier halb nackt und allein im Zentrum des Tempels fühlte er sich mit dem Stein von Generationen wie gepanzert. Keine Kugel konnte ihn hier treffen. Kein Gefühl von Angst ihn beschleichen.

      Er wollte an diesem Ort bleiben, der so still und freidlich war inmitten der waffenstarrenden Hügel. Aber ein kalter Wind pfiff durch den Tempel und traf ihn am Rücken, und ihm fiel wieder ein, dass der Herbst früh begonnen hatte, für die Blätter und die Menschen. Leuchtendes Blut auf den sägezahnförmigen Gebirgskämmen und das Schreien, das nicht aufhören wollte.

      Er konnte es nicht vergessen.

      Rory wachte gegen Mittag auf, er hatte die Bettdecke weggestrampelt, und sein Körper war trotz der Oktoberkälte von einem Schweißfilm überzogen. Das Bein, das er verloren hatte, pochte, als befände es sich noch an dem zerbeulten Stumpf unterhalb seines Knies. Er stand auf und zog sich rasch an. Sein Zimmerfenster war beschlagen, und die vier Scheiben schimmerten blassgolden. Bilder ohne Rahmen bedeckten die Wand. Tiere des Feldes, Vögel der Luft – ihre Körper geflammt, wo die Sonne auf sie fiel. Sie erinnerten ihn daran, welcher Tag war: Sonntag.

      Er wusch Achseln und Gesicht, gelte das Haar zurück und betupfte seine Halskuhle mit Grannys hausgemachtem Eau de Cologne, das brannte. Er zog ein weißes Hemd an, das man bis zum Hals zuknöpfen konnte, legte eine schwarze Krawatte um und setzte die Melone seines Großvaters Anson auf. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel – es sah aus, als hätte sich über Nacht ein ganzes Jahrzehnt unter seiner Haut eingenistet. Die Haut unter seinen Augen schimmerte, als hätte ihm jemand einen Fausthieb verpasst.

      Er saß auf der Veranda und kratzte den Schlamm von seinen Stiefeln, als Granny herauskam. Sie balancierte eine Pastetenform in ihrer Armbeuge.

      »Ich nehme das«, sagte er und sprang auf.

      »Ich bin vierundfünfzig Jahre alt. Ich bin nicht invalide.«

      Sie saß steif und mit geradem Rücken in dem PS-starken Fahrzeug, als wäre es eine Pferdekutsche. Man konnte sich problemlos vorstellen, wie sie auf einer Wells-Fargo-Postkutsche fuhr, eine kurzläufige Schrotflinte im Schoß. Als er hinter das Steuer glitt, blickte sie ihn an.

      »Hast du wieder schlecht geträumt?«

      »Nein«, log er.

      »Du solltest die Tinktur nehmen, die ich für dich zubereitet habe.«

      »Das tue ich.«

      »Von wegen, du kippst sie immer in das Astloch in der Bodendiele.«

      Rory ließ den Motor an und fragte sich, woher sie so etwas wissen konnte.

      Innerhalb einer Stunde waren sie unten im Tabakland, Quadrat um Quadrat hügeliger Felder, die links und rechts vorbeizogen, der rote Lehmboden wie Wunden zwischen den Bäumen. Riesige, grob gezimmerte Trocknungsscheunen schwebten oben auf den Hügeln wie verwitterte Archen, die Brightleaf-Tabak enthielten, der die weißen Zigarettenhüllen füllen würde, die mit Trucks im ganzen Land verteilt wurden. Chesterfields und Camels und Lucky Strikes. Pall Malls und Viceroys und Old Golds. Der Highway schlängelte sich durch Winston-Salem, wo das zwanzigstöckige Reynolds-Gebäude wie eine Miniatur vom Empire State Building in den Himmel ragte. Es war nach R. J. Reynolds benannt, der Zeitung lesend auf einem Pferd in den Ort geritten war und das Zigarettenpäckchen erfand, was ihn zum reichsten Mann des Staates gemacht hatte.

      »Es heißt, es sei das höchste Gebäude in beiden Carolinas«, sagte Rory.

      Granny saugte an ihren Zähnen und trug eine verächtliche Miene zur Schau, wie sie es immer tat, wenn sie gezwungen war, den Berg zu verlassen.

      »Das is’n Fliegenschiss verglichen mit der Höhe, in der mein Haus steht, oder?«

      Sie


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