Maybelline. Taylor Brown
bereits von einer Tanzveranstaltung im Sommer, und sie hielt Ausschau nach ihm.
Er tanzte so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wie sie es sich erhofft hatte. Er war in ihrem Alter, schmal gebaut, aber groß, mit langen Beinen in eng geschnittenen Hosen und glänzenden Stiefeln. Er trug ein Hemd aus Chambray, das bis zum Hals zugeknöpft war, und seine hellen Haare in einem saloppen Wuschel. Er hatte ein breites Lächeln aufgesetzt, das er die ganze Zeit beibehielt. Die Tanzenden drehten sich in einem einzigen großen Kreis und hielten sich dabei an den Händen, teilten sich dann in vier Gruppen zu jeweils vier auf, wobei sie sich immer weiter drehten, und Anson gab in den Armen seiner Partnerinnen Eulenschreie von sich, während er seine langen Beine beugte und spreizte, mit den Hackeneisen auf den Dielenboden stampfte und sein Lächeln so breit wie ein quer liegender Halbmond war.
Nachdem das Lied vorbei war, ging sie geradewegs zu ihm hin. Sie kannte keine Angst, außerdem war sie die Hübscheste von allen. Er blickte lächelnd zu ihr hinunter.
»Kenne ich dich?«, fragte er.
»Nein.« Sie legte den Kopf schräg und zeigte ihre gebogene Halslinie. »Aber das solltest du.«
Sein Lächeln wurde noch breiter, falls das überhaupt möglich war.
Himmel, konnte sie tanzen. Die ganze Nacht, wenn sie wollte, und das taten sie auch. Die Musik setzte ihre Füße in Bewegung und brachte ihre Augen zum Strahlen. Seine ebenfalls, und seine Hände waren groß und trocken und warm, sein Körper stark und straff, als er sie berührte. Danach traten sie hinaus unter den Klingenmond, um im Schutz der Scheune zu schmusen. Ihr Blut wallte heiß. Sie wollte ihn erklettern wie einen Baum und sich in seinen Ästen wiegen.
Als andere Paare herauskamen, um das Gleiche zu tun, zogen sie sich in den Wald zurück. Der Boden war kalt, aber das kümmerte sie nicht. Es war ihr erstes Mal. Er war wie ein Pfannengriff. Er biss sie ins Ohr, als er in sie hineinstieß, und er fühlte sich an wie etwas, das man rot glühend aus den Kohlen geholt hatte. Es tat weh und gleichzeitig nicht. Ein Jahr später waren sie verheiratet, und Bonni war unterwegs, und dann wurde er gemeinsam mit den anderen Jungs nach Frankreich geschickt und in einer Kiste aus Fichtenholz wieder zurückgebracht. Es gab nicht viele Möglichkeiten, sich als Alleinstehende in den Bergen den Lebensunterhalt zu verdienen, und sie hatte für ihre Tochter getan, was sie tun musste. War in eins der Bordelle in Boone und dann ins Vorland nach Gumtree gezogen, als Firmen aus dem Norden damit anfingen, ihre Textil- und Möbelfabriken zu bauen und billige Arbeitskräfte aus den Bergen anlockten. Es gab eine Menge einsamer Männer mit ein bisschen Bargeld in der Tasche.
Sie seufzte. Diese Zeit hatte ihr nicht so sehr missfallen, wie sie es hätte sollen. Einen dicken Packen Bargeld in der Tasche und ein scharfes Rasiermesser zwischen den Brüsten. Und eine Schlange mit Männern, die beim Anblick ihres weichen Körpers hart wurden. Dann war das mit Bonni passiert, weshalb sie der Welt außerhalb der Berge ein für alle Mal abgeschworen hatte. Manchmal fragte sie sich, wie sie ein so wunderschönes und gütiges Geschöpf hatte zur Welt bringen können. So voller Licht. Warum es ihr nicht gelungen war, dieses Geschöpf vor den Übeln der Welt dort unten zu beschützen. Sie hatte die Männer nie gefunden, die es getan hatten, hatte sie nicht mit ihren Kehlen oder Herzen dafür bezahlen lassen. Seit damals war ihre Welt aus dem Lot und glich einem eiernden Kreisel. Trotz weiblicher Waffen und Zauberkräfte war es ihr nicht gelungen, die Balance wiederherzustellen. Und jetzt war ihr Enkel mit dem Krieg im Blut nach Hause gekommen, und sie fragte sich, wohin ihn das womöglich trieb. Auf welche Straßen, die längst in der Flut versunken waren. Sie fragte sich, welche Schmerzen und welche Schuld womöglich kommen würden und sich heimlich in seinem Herzen einnisteten. Sie kannte sie nur zu gut.
Granny schüttelte den Kopf, während sie fest an ihrer Pfeife zog und ihre Lungen mit Rauch füllte, um anschließend den blauen Schwall gemeinsam mit den Sorgen auszustoßen. Die Medizin tat ihre Wirkung, und sie ließ sich in den Schaukelstuhl zurücksinken. Die steifen Spindelstäbe im Rücken, die Füße schwer auf den harten Bodendielen. Der Berg, unerschütterlich wie eine Armee hinter ihr. Sie war hier. Jetzt. Sie war Blut und Knochen.
Sie beobachtete eine Wolfsspinne dabei, wie sie durch einen schrägen Lichtstreifen am Rand der Veranda kroch, und sie konnte beinahe das leise Kratzen ihrer Beine auf den Dielen hören. Sie hörte das Flattern von Moorhühnern, von irgendeinem Jäger aufgeschreckt, deren Flügel knatterten, als sie sich im Schwarm von den Bäumen erhoben. Ganz in ihrer Nähe sangen leise die Flaschen an den Zweigen der goldenen Kastanie, eine wandernde Lichtkaskade, während die Brise sie in Schwingungen versetzte. Darunter kauerte das alte Schmugglercoupé, das mit seiner geöffneten Motorhaube, die einem riesigen Maul glich, böse und gemein aussah. Das große Herz des Wagens glänzte in der Sonne, voller Kammern und Ventile.
Die Jungs kletterten zwischendurch auf das Auto, ohne Hemd und bis zu den Ellbogen voller Schmiere und Öl. Lappen hingen ihnen aus den Gesäßtaschen, und Schraubenschlüssel waren in die Schlaufen ihrer Jeans eingehängt. Wenn sie atmeten, zogen sich ihre Bäuche zu einem Muster aus winkligen Flächen zusammen, und ihre Haut glänzte in der sinkenden Sonne.
Gütiger Himmel, wenn sie doch nur zwanzig Jahre jünger wäre.
Eli hatte sich zu Rory über den Ford gebeugt. Er trug einen langen Bart, der buschig war wie der Schwanz eines Eichhörnchens und ein Eigenleben zu führen schien. In der Hand hielt er einen Flachmann mit etwas, das aussah wie Wasser, aber keins war.
»Deine Großmutter hat mich schon wieder angeglotzt«, sagte er. Er blickte über die Schulter und leckte sich die Lippen. »Das ist nicht gesund.«
Rory trat von dem Motor weg und blickte ihn an.
»Vielleicht solltest du ihr geben, was sie will.«
Eli umfasste sanft seinen Bart, als wollte er ein Haustier streicheln. Er warf einen Blick zur Veranda.
»Scheiße«, sagte er. »Diese alte Päderastin?«
Rory streckte die Hand aus.
»Gib mir die Kerzen da.«
Eli rülpste abgelenkt durch die Zähne und reichte ihm eine Pappschachtel, die neben ihm auf dem Stuhl stand. Er war noch keine dreißig, aber seine Hände waren alt, rau und knotig und verdreckt wie die Wurzeln einer Eiche. Sie waren in die Eingeweide beinahe sämtlicher Fahrzeuge eingetaucht, die diese Berge heraufgekeucht waren. Er hielt eine Flotte Whiskeyautos am Laufen, aufgebockte Coupés, die stotterten und bebten wie tickende Bomben, die kraftvoll explodierten, wenn sie gezündet wurden. Der 1940er Ford – Maybelline – war die Königin seiner Flotte. Angetrieben von einem 5,4-Liter-Krankenwagenmotor.
Er sah dabei zu, wie Rory den Schraubenschlüssel um die erste Kerze legte.
»Hab gehört, Cooley Muldoon war Sonntagfrüh hier.«
Rory blickte nicht auf.
»Wo hast du das denn her?«
»Ach, du weißt schon, so was spricht sich rum.«
»Ach ja?«
»Hab gehört, du hast seinen Johannes angezündet.«
Rory schraubte die Zündkerze in den Motor.
»Das hat er sich selbst zuzuschreiben.«
»Du warst ’ne Weile weg. Die Muldoon-Jungs lassen so was nicht durchgehen. Heute jedenfalls nicht mehr.«
Rory blickte auf das v-förmige Gebilde unter seinen Händen. Es hatte acht Kammern, die schwarz waren und deren Melodien durch die rostfreien Orgelpfeifen des Auspuffs strömten. Dieser Motor hatte ihn ein ums andere Mal gerettet, war verlässlicher als jede Kirche.
»Zum Teufel mit den Muldoons«, sagte er.
Eli drückte seinen Bart zusammen und entkorkte erneut den Flachmann.
»Vielleicht bist du nicht mehr so schnell, wie du glaubst«, sagte er. »Und die Regierung soll angeblich einen Steuereintreiber aus Washington schicken, der sich nicht scheut, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.«
Rory zuckte mit den Achseln.
»Besser als ’n Knüppel«, sagte er. »Oder