Öffne dein Herz. Hanna Berghoff
aber was wusste sie schon von ihr? Auf der einen Seite gab sie sich wie ein offenes Buch, auf der Rückseite jedoch mit sieben Siegeln. Gestern Abend im Landgasthof der Brandls hatte Melanie für einen kurzen Augenblick das Gefühl gehabt, Jana wollte ihr etwas sagen. Aber dieser Augenblick war so schnell vorbei gewesen, wie er gekommen war.
Die Frage war zudem, worauf hätte sich das beziehen können, was Jana ihr eventuell hatte sagen wollen? Auf etwas Privates oder auf etwas, das mit Melanies Beruf zu tun hatte, was bedeutete: dem Brand auf dem Bauernhof.
Gestern hatte Melanie sich gewünscht, es wäre etwas Privates gewesen, aber heute hatte sich das ja bereits erledigt. Das gewisse Kribbeln, das Melanie kurz gespürt hatte, diese Spannung, die auf etwas hindeutete, das unausgesprochen zwischen ihnen stand, konnte sich jedenfalls nicht auf Melanie als Person bezogen haben.
Wie hatte sie nur darauf kommen können? Schließlich war das hier nicht Berlin, wo die Blicke einer Frau nicht nur oberflächliches Interesse bedeuten konnten. Das hier war ein Dorf. Und dazu noch in Bayern. Hier konnte wahrscheinlich niemand das Wort Lesbe überhaupt buchstabieren.
»Melanie ist eine alte . . . Schulfreundin«, erklärte Jana in diesem Moment. »Sie besucht mich nur kurz, weil sie beruflich hier zu tun hat.« Hinreißend lächelte sie Melanie an. »Und da wollen wir natürlich so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Sie muss ja bald wieder wegfahren.«
Janas Lächeln warf Melanie fast um. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Sie hätte fast geschluckt, konnte sich jedoch im letzten Moment noch zurückhalten, weil sie merkte, dass Herr Lehner sie immer noch beobachtete. Sein Alleinfanspruch auf Jana war deutlich erkennbar. Daran ließ er keinen Zweifel.
»Ja, ich muss bald wieder nach Berlin zurück«, bekräftigte sie deshalb Janas letzte Aussage, ohne ihre Beförderung zur Schulfreundin in Frage zu stellen. »Leider nicht so schön wie hier«, sie hob eine Hand und wies auf die Umgebung, »aber was will man machen? Ich arbeite dort.« Sie lächelte ihn fast entschuldigend an, weil sie das Gefühl hatte, dass er jede Art von Beruhigung vertragen konnte.
Obwohl sie es auf der anderen Seite merkwürdig fand, dass er eine Frau als Bedrohung empfand. Aber das musste nicht heißen, dass er eine gewisse Chemie zwischen Jana und Melanie vermutete. Manche Männer wollten ja überhaupt nicht, dass ihre Frau Kontakt zur Außenwelt hatte. Sie unterbanden sogar regelmäßige Beziehungen zu Familienmitgliedern.
Viel merkwürdiger fand Melanie allerdings, dass Jana sich das bieten ließ. Sie war eine außergewöhnlich attraktive junge Frau, und die heiratsfähigen Männer hier im Dorf mussten sich doch die Finger nach ihr lecken. Wenn sie nicht die Wahl hatte, wer dann?
»Kommst du?«, fragte Jana jetzt und schob ihren Arm unter den von Melanie. »Sonst sind die besten Gerichte schon aus.«
Neben dem Schlag, der sie bei der Berührung fast traf und zusammenzucken ließ, stellte Melanie fest, dass sie nun auch vom Sie ins Du befördert worden war. Was ja aber auch so sein musste, als Schulfreundin.
»Was könnte denn da aus sein, wo wir hingehen?«, fragte sie etwas verdattert.
»Du magst doch so gern Knödel«, behauptete Jana frank und frei. »Und im Grünen Baum gibt es die immer nur in begrenzter Zahl. Wenn sie weg sind, sind sie weg.«
Auch wenn sie die Leberknödel gestern durchaus gern gegessen hatte, fragte Melanie sich, woher Jana wissen wollte, dass sie Knödel generell mochte. Aber das lag wohl so auf derselben Linie wie Schulfreundin. Es hatte im Grunde genommen nichts mit Melanie zu tun. Jana erfand das einfach aus dem Augenblick heraus.
Melanies Überzeugung, dass Jana eine Frau war, die nicht absichtlich log, geriet ins Wanken. Dafür schoss sie diese Fantasiegebilde doch etwas zu leicht und zu schnell hintereinander ab.
»Dann müssen wir uns wohl tatsächlich beeilen«, unterstützte sie Janas aus der Luft gegriffene Überzeugung. Mit ihr am Arm drehte sie sich um und entfernte sich von dem damit nicht sehr einverstanden wirkenden Herrn Lehner.
»Tut mir leid«, entschuldigte Jana sich leicht betreten, als sie aus seiner Hörweite waren. »Ich weiß, ich habe dich – oh Entschuldigung, Sie – damit jetzt sehr überrumpelt.«
»Falls wir Ihren – ähm deinen – Chef noch einmal treffen sollten, wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir beim Du blieben«, sagte Melanie.
Aus irgendeinem Grund griff sie nach diesem Du wie nach einem Strohhalm. Als ob allein das sie Jana näherbringen konnte, obwohl es nur eine Farce war. In gewisser Weise brachte Jana sie um den Verstand, auf den sie sich normalerweise so gut verlassen konnte. Das verunsicherte sie immer mehr.
»Meinetwegen«, erwiderte Jana. Sie ließ Melanies Arm, den sie bis eben noch untergehakt hatte, los. »Es ist ja sowieso meine Schuld.«
Die Wärme von Janas Körper so nah an ihrem vermisste Melanie sofort, noch mehr als die Berührung an ihrem Arm, an die sie sich nach dem ersten elektrischen Schlag nicht ungern gewöhnt hatte.
»Ich war heute Morgen bei der Feuerwehr«, informierte sie Jana schnell. Vielleicht half es ihrem inneren Aufruhr, sich wieder auf etwas Berufliches zu konzentrieren. »Es scheint, da hast du auch einen Cousin.«
»Einen entfernten«, bestätigte Jana. »Wir sehen uns nicht oft.« Sie wandte ihr Gesicht zu Melanie und schaute sie fragend an. »Was hat er gesagt?«
Melanie holte tief Luft. »Dass es auf jeden Fall Brandstiftung war«, sagte sie. »Ist nur die Frage, ob absichtlich oder unabsichtlich. Manchmal lagern Leute ja Sachen, die sich leicht entzünden können, einfach so in einer Scheune. Das ist dann höchstens Fahrlässigkeit. Aber es hat natürlich auch Einfluss darauf, ob die Versicherungssumme ausgezahlt wird oder nicht.«
»Das heißt dann doch, zum Schluss ist es egal, ob absichtlich oder unabsichtlich, oder?« Jana wirkte nachdenklich, während sie diese Frage stellte.
Melanie zuckte die Schultern. »Für die Versicherung schon. Für die Polizei nicht. Aber damit habe ich nichts zu tun.«
»Dann kannst du ja jetzt wieder zurückfahren«, bemerkte Jana tonlos. »Dein Job hier ist erledigt. Wenn deine Versicherung weiß, dass sie nicht zahlen muss, reicht das doch bestimmt. Dann brauchst du meine Unterstützung hier gar nicht mehr.«
»Es ist nicht meine Versicherung«, berichtigte Melanie. »Wir arbeiten als Ermittler für jede Versicherung, die uns engagiert.« Sie warf einen Blick auf Jana neben sich. »Aber die Geschichte muss hieb- und stichfest sein. Nur die Aussage der Dorffeuerwehr reicht da nicht. Die Polizei muss das auch noch untersuchen. Versicherungen wollen sich immer nach allen Seiten absichern. Wegen eventueller Klagen, die die Versicherungsnehmer anstrengen könnten. Falls nicht genau bewiesen ist, dass es auch wirklich Brandstiftung war. Auch ein Kind könnte dafür verantwortlich sein, das zufällig vorbeigekommen ist. Dann hätte der Versicherungsnehmer Anspruch auf das Geld.«
»Babett«, sagte Jana, wieder nachdenklich.
Melanie erschien es so, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber sie blieb dann trotzdem stumm. Ein, zwei Sekunden wartete sie noch, dann räusperte sie sich. »Wie war das mit dem Mittagessen? Ist dieser Grüne Baum wirklich gut?«
»Sehr gut.« Jana nickte abwesend. Sie war in Gedanken anscheinend immer noch mit etwas anderem beschäftigt.
»Weißt du, wo diese Greiner-Schwestern zu finden sind, die Besitzerinnen des Bauernhofes?«, fragte Melanie. »Die würde ich schon gern noch befragen. Aber auf dem abgebrannten Hof«, sie zuckte die Schultern, »wohnt ja niemand mehr.«
»Sie wohnt bei Nicky«, antwortete Jana fast automatisch, dann jedoch zuckte sie zusammen, als hätte sie das gar nicht tun wollen. »Babett, meine ich«, fügte sie etwas nervös hinzu. »Elies wohnt ja in München.«
»Ach so.« Zwar kannte Melanie die Angaben zu Elies Greiner aus den Unterlagen, aber sie hatte unwillkürlich angenommen, dass auch die zweite Greiner-Schwester nach so einem Brand Interesse daran haben würde, herzukommen und den abgebrannten Bauernhof zu besichtigen, dessen eine Hälfte ihr immer noch gehörte, auch in diesem