Öffne dein Herz. Hanna Berghoff

Öffne dein Herz - Hanna Berghoff


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      Wir sind ihr nicht gut genug, dachte Jana. Sie hält uns alle für Dorfdeppen, mich wahrscheinlich eingeschlossen. Ihre Stimmung sank auf den Nullpunkt. »Nein, das ist sie wohl nicht«, stimmte sie kühl zu.

      Die heißen Schauer verflüchtigten sich.

      Diese eingebildete Stadtpomeranze hatte nicht das geringste Interesse an ihr.

      Das hatte sie sich nur eingebildet.

      5

      Da stand sie nun und wartete auf Jana.

      Melanie kam sich fast wieder vor wie in der Schule. Schon gestern Abend war das so gewesen, als sie Jana darum gebeten hatte, sie bei diesen Befragungen zu begleiten. Wie eine fast errötende sechzehnjährige Melanie auf dem Schulhof.

      Sie war nicht errötet. Gestern Abend nicht und früher auf dem Schulhof nicht. Aber es kam ihr so vor. Jana verursachte eine Unsicherheit in ihr, wie sie sie schon lange nicht mehr gekannt hatte.

      Was war das nur mit dieser Frau? Sie war noch sehr jung, auf jeden Fall einige Jahre jünger als Melanie, aber manchmal kam sie ihr so vor, als wäre sie eines dieser uralten ewigen Orakel, von denen in der griechischen Mythologie stets die Rede war.

      Warum das so war, konnte Melanie sich nicht so richtig erklären. Jana wirkte wie ein offenes Buch, eine junge Frau vom Dorf, die noch nicht viel erlebt hatte, die noch nie weggewesen war. Sie war hier verwurzelt und schien sich damit auch ganz wohlzufühlen.

      Auf der anderen Seite hatte Melanie bei dem Gespräch, das sie gestern dann noch in der Gaststube geführt hatten, das Gefühl gehabt, Jana beobachtete sie ständig. Es war, als ob sie etwas von Melanie erwartete, das sie ihr nicht sagen konnte. Oder wollte.

      Melanie bildete sich nicht ein, eine große Frauenversteherin zu sein. Das war sie noch nie gewesen. Eher im Gegenteil. Sie verstand die Frauen überhaupt nicht. Keine von denen, mit denen sie je näher zu tun gehabt hatte.

      Dennoch machte sie sich Gedanken über Jana, wie sie sie sich zuvor noch nie über eine Frau gemacht hatte. Denn sie fragte sich, was Jana wirklich dachte. War es das, was sie sagte? Den Eindruck hatte Melanie nicht.

      Aber vielleicht war das auch nur ihre vierjährige Erfahrung als Versicherungsdetektivin, die ihr dieses Misstrauen eingab. Sie traute keinem Menschen mehr so richtig. Wenn es um Versicherungsbetrug ging, logen alle.

      Das hatte eigentlich nichts mit ihrem Privatleben zu tun, aber es strahlte darauf aus. Früher hatte sie sich nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht, ob jemand die Absicht hatte, sie zu betrügen. Ob jemand sie belog. Mittlerweile gehörte das auch privat bei ihr fast zum Standard.

      Das war ungerecht, das wusste sie selbst. Sie konnte ihren Instinkten vertrauen, was Betrüger anging, denn sie hatte mittlerweile schon eine Menge davon kennengelernt. Und eines hatten sie alle gemeinsam: Sie konnten einem nicht richtig in die Augen schauen.

      Jana schaute ihr fast immer in die Augen. Lügen schien nicht zu ihrem Repertoire zu gehören. Aber konnte man da je sicher sein? In dieser ländlichen Umgebung fühlte Melanie sich unwohl und auch sehr unsicher. Sie kannte sich nicht damit aus. Nicht mit der Umgebung, nicht mit den Gepflogenheiten, nicht mit den Menschen. Noch nicht einmal richtig mit der Sprache.

      Wahrscheinlich hatte sie bisher von bayrischen Dörfern eine eher klischeehafte Vorstellung gehabt. Schlitzohrige Bauern vielleicht, aber keine Kriminellen. Und junge Mädchen oder Frauen in Dirndln, die nur darauf warteten, von einem dieser Bauern geheiratet zu werden. Keine großen Erfinder oder Nobelpreisträger.

      Aber möglicherweise hatte sie die Dorfbevölkerung unterschätzt. Nicht nur, dass Jana auf sie sehr intelligent wirkte, auch der Brand auf diesem Bauernhof war vielleicht kein Zufall gewesen.

      Es war gleich Mittagspause im Autohaus, vor dem Melanie jetzt auf sie wartete. Jana hatte gesagt, sie würde heute Nachmittag freinehmen, um Melanie zu helfen. Obwohl Melanie sie nicht darum gebeten hatte. Die Idee, Jana nach Unterstützung zu fragen, war ihr gestern ganz spontan in der Gaststube gekommen, als sie sie da sitzen sah.

      Ihre Mundwinkel zuckten. Und so schön aussehen sah. Sie wusste, dass Janas Aussehen etwas damit zu tun hatte. Melanie hätte ja auch Zenzi Brandl fragen können. Die durch ihren ständigen Kontakt mit bestimmt fast sämtlichen Bewohnern des Dorfes eigentlich sogar die bessere Ansprechpartnerin gewesen wäre.

      Aber Zenzi Brandl war – sie schüttelte schmunzelnd den Kopf – . . . auf jeden Fall nicht Jana.

      Mitten in ihre Gedanken hinein nahm sie eine Bewegung am Eingang des Autohauses wahr. Ein Mann kam heraus, dann eine Frau. Von Jana war nichts zu sehen.

      Die Frau drehte sich noch einmal um und rief etwas in den Eingang hinein zurück. Es klang so wie »Du kommst nicht mit?«

      Melanie stand leicht seitlich vom Eingang, und die Frau sprach in die andere Richtung, deshalb konnte sie es nicht genau verstehen. Die Antwort, die aus dem Inneren kam, noch weniger.

      Ein paar Sekunden lang tat sich nichts am Eingang, dann trat Jana heraus, aber sie war nicht allein. Ein Mann von etwa fünfunddreißig begleitete sie. Er trug einen Anzug und eine Krawatte, die mit ihrem auffälligen Muster wahrscheinlich sofort alle Blicke auf sich zog.

      Ein Autoverkäufer vermutlich, ein Kollege von Jana. Die Art eines Verkäufers hatte er auf jeden Fall. Er lachte, als wäre er sehr von sich selbst überzeugt und könnte alles verkaufen. Dann griff er an Janas Arm und wollte sie mit sich ziehen, von Melanie weg.

      Melanies Augenbrauen zogen sich zusammen, denn sie hatte nicht den Eindruck, dass Jana sich ziehen lassen wollte. Sie wehrte sich nicht sehr, aber sie gab dem Zug auch nicht nach, sodass er stehenbleiben musste.

      »Was ist?«, fragte er, nun anscheinend von einer Sekunde auf die andere nicht mehr so gutgelaunt wie eben noch. Er wirkte verärgert.

      »Ich bin . . .« Jana räusperte sich. »Ich bin zum Mittagessen verabredet.« Sie drehte sich halb zu Melanie um und warf einen Blick auf sie.

      Der Mann folgte ihrem Blick mit seinem, starrte Melanie allerdings weit weniger freundlich an. Von dem charmanten Verkäuferlächeln war nichts mehr übrig. »Das ist nicht Nicky«, stellte er höchst zutreffend fest.

      »Nein«, gab Jana zu. »Das ist . . . Melanie. Sie wohnt bei Zenzi.« Als er sie so ansah, als würde er nicht verstehen, setzte sie erklärend hinzu: »Du weißt doch, Zenzi Brandl, meine Cousine. Vom Landgasthof.«

      »Ich kenne Zenzi«, gab er unwirsch zurück, als hätte er nicht eben noch so getan, als wüsste er mit dem Namen nichts anzufangen.

      Der Mann benahm sich, als hätte er ein Recht auf Jana, dachte Melanie, während sie dieses Hin und Her beobachtete. Der war nicht nur ein Kollege.

      »Melanie Tieck«, stellte sie sich vor, ging die paar Schritte, die sie trennten, auf ihn zu und streckte ihm die Hand hin.

      »Lehner«, brummte er nur, als müsste er sich schwer dazu überwinden. Dennoch war sein Händedruck, als er Melanies Hand nahm, sehr fest. Er tat ihr fast weh.

      Lehner, dachte sie. Das war der Name, der über dem Eingang des Autohauses stand. Also war das hier kein Kollege, das war Janas Chef. Und anscheinend auch noch etwas anderes.

      Wie gewonnen, so zerronnen. Sie seufzte innerlich. Wobei sie Jana ja noch gar nicht gewonnen hatte. Sie war noch nicht einmal in die Nähe auch nur eines Versuchs gekommen, die Möglichkeit dazu auszutesten. Während ihres Gesprächs in der Gaststube gestern Abend hatte sie sich jedoch ganz unwillkürlich so das eine oder andere vorgestellt. Es war ihr schwergefallen, sich von Janas Lippen zu lösen, wenn sie sprach. Und auch, wenn sie nicht sprach.

      Aber auf ihre Lippen hatte wohl dann eher dieser Mann Anspruch, der Melanie immer noch so betrachtete, als wäre sie ihm ein Dorn im Auge. Was sie wahrscheinlich auch war. Was auch immer für ein Verhältnis er mit Jana hatte, außerhalb ihres beruflichen. Schließlich konnten Dorfschönheiten wie Jana nicht nur von irgendwelchen Bauern geheiratet werden, sondern auch von dem offenbar sehr selbstgefälligen


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