KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen. Maya Schneebeli
sondern nur symptomatisch behandelt werden. Dabei sollen die sozialen Basisfertigkeiten und somit die wesentlichen Defizite des autistischen Formenkreises besprochen und geübt werden, um soziale Integration und eine hohe Lebensqualität zu ermöglichen.
Der Begriff der sozialen Fertigkeiten ist gemäß Rao et al. (2008) in den evaluierten Trainingsprogrammen oft nicht klar definiert. Nach Beidel et al. (2000, zit. nach Rao et al. 2008) umfasst er verbales und nonverbales Verhalten, das die interpersonale Kommunikation ermöglicht, wie zum Beispiel Lächeln und Blickkontakt, Fragen und Antworten, Geben und Akzeptieren von Komplimenten. Nach Weiss und Harris (2001, zit. n. Rao et al. 2008) ist der Begriff weitergefasst, und der Mangel an sozialen Fertigkeiten beinhaltet die fehlende Orientierung auf soziale Stimuli, nicht flexibles Blickverhalten, Probleme bei der Kontaktaufnahme, Schwierigkeiten bei der Interpretation von verbalen und nonverbalen sozialen Hinweisen (Codes), unangemessene emotionale Reaktionen und das Fehlen von Empathie.
Remschmidt et al. (2006) formulieren folgende allgemeinen Interventionsziele:
1. Minderung und Modifikation der Symptomatik
2. Abbau störender und den Betroffenen in seiner Entwicklung beeinträchtigender Verhaltensweisen
3. Aufbau konstruktiver und adaptiver Verhaltensweisen sowie angemessener Bewältigungsstrategien
4. Einbezug der Familie und des weiteren sozialen Umfelds (z. B. Schule, Arbeitsplatz, Freizeit, Therapie)
Es geht somit also nicht darum, die betroffenen Menschen um den Preis ihrer einzigartigen Persönlichkeit vollständig sozial anzupassen, sondern ihnen Verhaltensalternativen aufzuzeigen und diese einzuüben, sodass sie flexibel und situationsabhängig aus verschiedenen Verhaltensweisen auswählen können.
Krasny et al. (2003) nennen folgende konkrete Trainingsinhalte:
1. Kompetenzen der Kontaktgestaltung: Blickkontakt, nonverbales Verhalten, Nähe-Distanz, Lautstärke, Mimik
2. Kompetenzen der Gesprächsführung: Beginnen, Aufrechterhalten und Beendigen von Gesprächen, wechselseitige Kommunikation, Kommentieren und Fragen, Sich-Einfügen in ein laufendes Gespräch, Finden angemessener Gesprächsthemen
3. Kompetenzen zur Gestaltung von Spielen und Freundschaften: Erwerb eines Konzepts von Freundschaft, Begrüßen, Einfügen in eine Gruppe, Teilen, Abwechseln, Kompromisse schließen, Regeln einhalten
4. Kompetenzen der Emotionswahrnehmung: Erkennen und Bezeichnen von Emotionen, Perspektivenwechsel, Empathie
5. Kompetenzen für soziales Problemlösen: praktische Lösungen für soziale Problemstellungen, Selbstkontrolle, Coping
Remschmidt et al. (2006) ergänzen als weiteren Inhalt das Erlernen spezifischer Problemlösefertigkeiten im Umgang mit typischen sozialen Situationen, die häufig nicht angemessen bewältigt werden (z. B. Pausen, unstrukturierte Umbruchszeiten). Zudem nennen sie explizit auch das Training lebenspraktischer Fähigkeiten, da viele Menschen mit Asperger-Syndrom im familiären und öffentlichen Raum deutlich eine nicht altersgemäße Selbstständigkeit zeigen. Und schließlich fordern sie das Erlernen von Techniken zur verbesserten Emotionsregulation (z. B. Umgang mit Kritik und Frustrationen). Bauminger (2002) hat die sozialen Zielkompetenzen noch in Teilfertigkeiten aufgeschlüsselt.
In den evaluierten Gruppenprogrammen werden viele Themen behandelt (Jenny 2010): Das Erkennen und Verstehen von Emotionen, der Gefühlsausdruck und die Formulierung der eigenen Befindlichkeit werden geübt und spezifische soziale Fertigkeiten wie das Begrüßen, Helfen, Teilen, Verhandeln und die Kooperation oder das Formulieren von Komplimenten wie auch das Einhalten sozialer Regeln werden besprochen. Bei den kommunikativen Kompetenzen stehen Gesprächsführung, Auswahl von Gesprächsthemen, Fragen stellen und aufmerksames Zuhören im Vordergrund. In manchen Programmen liegt der Fokus auch auf der nonverbalen Kommunikation, der Theory of Mind sowie auf den Problemlösefertigkeiten. Gemäß der Übersichtsarbeit von Rao et al. (2008), die Studien zu Interventionen im Einzel- und im Gruppensetting betrachtet, werden soziale Fertigkeiten sehr unterschiedlich definiert und dementsprechend unterschiedliche soziale Fertigkeiten trainiert: Meistens geht es um sehr einfache (z. B. Begrüßen, Gesprächsbeginn), manchmal aber auch um sehr komplexe soziale Verhaltensweisen (z. B. Problemlösefertigkeiten, Selbstbeherrschung).
Viele Übungsmethoden werden dabei eingesetzt (Jenny 2010): Modelllernen, Rollenspiel, Gruppendiskussionen und Spiele sind fester Bestandteil der evaluierten Behandlungsprogramme. Soziale Geschichten (social scripts, social stories nach Gray 1998), konkrete Verhaltensinstruktionen, das Vermitteln der sozial-kognitiven Prinzipien und Video-Feedback werden ebenfalls manchmal eingesetzt. Gelegentlich werden auch Aktivitäten außerhalb der Gruppe organisiert. Alle Programme weisen einen hohen Strukturierungsgrad auf mit einem recht festen Ablauf (inkl. Snack-Pause).
Alle Autoren betonen die Wichtigkeit von Psychoedukation, damit der Betroffene, die Eltern wie auch das Umfeld (z. B. Großeltern, Lehrpersonen und Klassenkameraden, Ausbildner und Arbeitskollegen) ein angemessenes Störungskonzept entwickeln können. Aus den breit gefassten Inhalten und der Anlage als längerfristige Behandlung folgt, dass mit der Therapie möglichst früh begonnen werden sollte. Der Aufbau von Fähigkeiten, die normal entwickelte Kinder nebenbei und intuitiv erlernen, wie zum Beispiel die Theory of Mind, benötigt viel Zeit, explizite Anleitungen und aufgrund der Generalisierungsschwäche wiederholte Übungen in verschiedenen realen Situationen.
1.6.2 Zentrale Bausteine eines Sozialtrainings für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung auf höherem Funktionsniveau
An dieser Stelle sollen die wichtigsten Bausteine eines sozialen Kompetenztrainings für Kinder und Jugendliche mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum dargestellt werden, einschließlich der Ziele und Techniken, um diese zu erreichen. Die Interventionen müssen hoch strukturiert sowie direktiver und konkreter als bei anderen Psychotherapien sein (Remschmidt et al. 2006). Howlin et al. (1999) betrachten das explizite Lehren sozialer Verhaltensweisen – beginnend mit einfachen Fertigkeiten und aufbauend auch bei komplexeren – als besonders Erfolg versprechend, wenn sie in kleine Einzelkomponenten aufgeteilt und dann wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Sofronoff et al. (2007) und Attwood (2000) fordern aufgrund ihrer Literaturübersicht, dass sich die Behandlung unabhängig von der therapeutischen Ausrichtung an den kognitiven Charakteristika des Lernens von Kindern mit einer autistischen Störung orientieren soll.
Die theoretischen Überlegungen und Anregungen von Krasny et al. (2003), die sich auf Gruppentrainings beziehen, aber direkt auch auf das Einzelsetting übertragbar sind, dienen als Grundlage für das eigene Konzept. Krasny bezieht sich dabei auch auf den TEACCH-Ansatz (z. B. Häußler et al. 2003), der bei der Frage, wie Menschen mit Autismus pädagogisch und therapeutisch gefördert werden können, eine Vorreiterrolle übernommen hat und die Wichtigkeit von Strukturierung und Visualisierung verweist. Zudem hat der verhaltenstherapeutische Ansatz seine Arbeit beeinflusst. Wo nicht anders gekennzeichnet, stammen die folgenden Ausführungen aus der Arbeit von Krasny et al. (2003).
1. Konkretisierung des Abstrakten: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen Schwierigkeiten im Verständnis von abstrakten Regeln und Geschehnissen, da sie diese nicht ausreichen konkretisieren können (Konkretisierungsschwäche). Gerade soziale Kompetenzen basieren aber auf abstrakten Informationen, die von Menschen mit einer normalen Entwicklung im Laufe ihres Lebens intuitiv angesammelt und gelernt werden. Es ist deswegen sehr wichtig, in der Therapie mit autistischen Menschen stets zu versuchen, sich so konkret wie möglich auszudrücken und die zu vermittelnden Informationen so konkret und übersichtlich wie möglich darzustellen. Das Verhalten, das man als Therapeut vom Klienten erwartet, muss explizit verbalisiert werden, sodass kein Raum für andere Interpretationen zur Verfügung steht. »Wenn-dann-Regeln« helfen den Teilnehmern, auf spezifische Situationen auf eine spezifische Art und Weise zu reagieren.
2. Einsatz von Visualisierungshilfen: Visuelle Hilfen, die verhaltenstherapeutisch gedacht als sogenannte »prompts« eingesetzt werden können, stellen eine große Stütze für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung dar, die im Verlauf des Trainings nach und nach ausgeblendet werden können. Visualisierungen helfen auch, Abstraktes zu