KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen. Maya Schneebeli
mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen sich weniger flexibel als Menschen ohne Autismus-Spektrum-Störung. Man geht davon aus, dass dies auch mit den Defiziten der exekutiven Funktionen zusammenhängt. Es hat sich deshalb als hilfreich erwiesen, ein großes Ausmaß an Struktur und Vorhersagbarkeit in der Therapie zu gewährleisten, wobei gleichzeitig auch Spielraum für flexible Reaktionen und Veränderungen bestehen bleiben soll.
4. Sequentielles und progressives Einüben: Ein zu lernendes Verhalten kann in viele kleine Fertigkeiten aufgeteilt werden, die getrennt geübt und dann zu einem Ganzen zusammengefügt werden können. Dies entspricht in etwa der Verkettung (»chaining«) in der Verhaltenstherapie. Wurde ein Verhalten gelernt, muss es aber dennoch weiter geübt werden, damit es nicht schnell wieder vergessen wird. Dunlop et al. (2002) präzisieren, dass diese Verhaltensfragmente in einen Kontext gesetzt werden müssen, der die Bedeutung für das Ganze aufzeigt, damit die Reintegration in einen komplexen Verhaltensablauf in verschiedenen Situationen gelingt.
5. Angebot multipler und unterschiedlicher Lernmöglichkeiten: Ebenso wie Menschen ohne Autismus zeigen auch Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung Präferenzen für bestimmte Lerntechniken und profitieren davon, wenn Wissen auf verschiedenen Ebenen vermittelt und eingeübt wird. Es ist deshalb empfehlenswert, die Hintergrundinformationen zu einem Thema schriftlich auszugeben, zu diskutieren und dann in der (Klein-)Gruppe mithilfe von Rollenspielen, Übungen und weiteren Spielen umzusetzen.
6. Auf andere gerichtete Aktivitäten: Aufgrund der eingeschränkten sozio-emotionalen Gegenseitigkeit ist das Interesse am Gegenüber bei autistischen Menschen oft nur gering ausgeprägt. Es ist ein wichtiger Teil des Gruppentrainings dieses Interesse zu wecken, indem die Teilnehmer zum Beispiel nichts alleine tun sollen, was sie nicht auch zusammen mit einem anderen Teilnehmer machen können. So sollen die Teilnehmer erleben, dass soziale Aktivitäten Freude bereiten und gemeinsames Tun unterstützend wirken können. Dementsprechend sollte bei jeder Gelegenheit die soziale Wahrnehmung, also das Erkennen und Unterscheiden von relevanten und nicht relevanten sozialen Hinweisreizen, explizit geübt werden.
7. Unterstützung des Selbstwertes: Das wiederholt wahrgenommene Versagen und die geringe Akzeptanz durch das Umfeld können bedeutsame Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben. Es ist deshalb wichtig, ihnen auch die positiven Seiten ihrer Störung aufzuzeigen, wie zum Beispiel das gute Gedächtnis, die Fähigkeit zur Visualisierung, Loyalität und den Blick für das Detail. Zudem sollen sie häufig in ihren Stärken bestätigt werden. Komplimentenrunden zum Beispiel können helfen, sich nicht nur auf die eigenen Schwächen zu konzentrieren, sondern diese zu akzeptieren und den Fokus auf die Stärken zu richten. Damit können Introspektion und Identitätsbildung gefördert werden.
8. Auswahl relevanter Ziele: In der Therapie mit Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung soll an grundlegenden Fertigkeiten gearbeitet werden, wie zum Beispiel Blickkontakt und Begrüßung (
9. Generalisierung: Damit eine Therapie auch als wirkungsvoll bezeichnet werden kann, müssen die erlernten Fertigkeiten auf den Alltag übertragen werden. Um dieses wichtige Ziel erreichen zu können, bedarf es vieler Übungen mit unterschiedlichen Personen und in unterschiedlichen Settings. Dies kann zum Beispiel durch das Einbeziehen von Eltern und Lehrpersonen/Ausbildern erleichtert werden, die jede Woche über das aktuell bearbeitete Thema informiert und gebeten werden, dem Teilnehmer Möglichkeiten zu schaffen, sein Wissen anzuwenden.
Die folgenden Bausteine sollten gemäß KOMPASS-Autoren erfahrungsgemäß ebenfalls beachtet werden:
10. Beachten der neuropsychologischen Hintergründe: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weisen Schwierigkeiten mit der Theory of Mind, der ganzheitlichen oder globalen Informationsverarbeitung sowie den exekutiven Funktionen auf (
11. Ressourcenorientierung: Wenn die Intervention auf den Stärken der Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung aufbaut, ist sie erfolgreicher. Zu den Stärken gehören die Detailverarbeitung, das Systematisieren und die Sachorientierung. Entsprechend sollten auch soziale Konzepte sachlich-explizit und systematisierend vermittelt und die gute Beobachtungsgabe für Details genutzt werden.
12. Rationales vor emotionalem Verstehen: Zu den Ressourcen gehört der intellektuelle, sachliche Zugang zum Leben, der genutzt wird, um den intuitiven emotionalen Zugang, der schwächer entwickelt ist, zu unterstützen. Preißmann (2009) empfiehlt Therapeuten, mit konkreten Beispielen, Ratschlägen, Empfehlungen und bei der Exploration auch mal Auswahlantworten zu arbeiten, da es Menschen mit autistischen Schwierigkeiten schwerfällt, sich fiktive und demnach abstrakte Situationen, wie es letztlicher jeder Bezug vom Therapiezimmer aus in die vergangene oder zukünftige Alltagserfahrung darstellt, vorzustellen. Therapeuten sind meist sehr gut dafür ausgebildet, ihre Klienten dabei zu unterstützen, aus ihren emotionalen Erfahrungen eine rationale Erkenntnis zu ziehen. Eine Therapie geht symbolisch ausgedrückt »vom Bauch zum Kopf« bzw. »von unten nach oben«. Für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist dies oft das ungünstigere Vorgehen, da sie unter anderem wegen der Schwäche der Theory of Mind Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung und Interpretation ihre eigenen und fremder sozioemotionaler Signale und der emotionalen Selbstreflexion haben: Sie benötigen rationale Erklärungen und verständnisorientierte Übungen und haben danach vielleicht ein emotionales »Aha-Erlebnis« zum Beispiel im Sinne davon, dass es nun Spaß macht, jemandem ein Kompliment zu machen, dass sie sich am Arbeitsplatz im Umgang mit anderen Menschen sicherer fühlen oder dass die Beziehung zu jemandem vertrauter geworden ist. Die Therapie geht also »vom Kopf zum Bauch« bzw. »von oben nach unten«.
13. Implizites explizit machen: Da Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung sozio-emotionales und kommunikatives Verhalten nicht primär intuitiv und inzidentell lernen, sondern die sozialen Regeln des Zusammenseins bewusst erlernen und in ihrer Bedeutung verstehen müssen, müssen sozioemotionale Kompetenzen gezielt so aufbereitet werden, dass sie kognitiv verstanden und vermittelt werden können. Menschen ohne eine Autismus-Spektrum-Störung denken oft, dass irgendeine implizite Erwartung oder soziale Regel selbstverständlich sei, da sie auf einem stillschweigenden kollektiven Einverständnis beruht. Für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist dieses angeblich so Selbstverständliche und auf dem sogenannten gesunden Menschenverstand Beruhende meistens alles andere als selbstverständlich. Sie benötigen oft eine explizite Formulierung, explizite Erklärung und eine explizite Anleitung.
14. Konzepte statt einzelne Verhaltensweisen: Es sollte bei der Therapie von Jugendlichen und Erwachsenen im hochfunktionalen Bereich nicht darum gehen, isoliert einzelne Fertigkeiten »anzutrainieren«, wie es Mesibov und Lord (1993, zit. nach Häußler et al. 2003) bei den primär fähigkeitsbezogenen Ansätzen bemängeln. Die einzelnen Kompetenzen müssen immer in einen Kontext gesetzt und das übergeordnete Verhaltenskonzept oder eine allgemeingültige Anleitung vermittelt werden. Wenn man anhand eines Rezeptes gelernt hat, wie man Kochrezepte liest und anwendet, kann später auch andere Gerichte ab Rezept kochen, im Verlauf mal eine Zutat ersetzen und eigene Ideen auf der Rezeptgrundlage ausprobieren und mit der Zeit die immer wiederkehrenden Abläufe so weit generalisieren, dass man auch ohne Rezept kochen oder sogar ein ganz eigenes Menü entwickeln kann. Jede zu erlernende soziale Verhaltensweise wird demnach so konzeptualisiert, dass sie möglichst viel Spielraum für eigene Ausgestaltung, Variation und Anpassung an die Gegebenheiten bietet. So werden auch der Transfer auf neue Situationen und die Generalisierung des Erlernten ermöglicht.
15. Prompting: Diese verhaltenstherapeutische