Hitlers Double. Tatsachenroman. Walter Laufenberg
Führerbunker war die Stimmung auch nicht viel besser. Zwar traten noch einmal etliche von den Goldfasanen auf, wie wir sie nannten, weil sie so prächtige Uniformen hatten, an ihrer Spitze natürlich Feldmarschall Hermann Göring. Der Propagandaminister Goebbels und Bormann waren sowieso im Bunker. Aber der Architekt und Rüstungsminister Speer kam wieder zu Besuch, auch Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront, Ribbentrop, der Außenminister, und der Hitlerjugendführer Axmann und ein paar hohe Tiere von der Wehrmacht kamen. Und alle gratulierten. Das war am späten Mittag. Weil Hitler ja nie vor elf Uhr aufstand. Er machte die Nacht zum Tage. Hitler nippte bei der Gratulationscour mal an seinem Sektglas. Er trank ja keinen Alkohol. Dann hielt er ein paar kurze Ansprachen, so hörten wir. Er soll noch einmal ganz gut draufgewesen sein.
Wir sahen ihn dann hinaufsteigen in den Garten. Langsam und mit schleppenden Schritten. Aber diesmal nicht in der Strickjacke und dunklen Hose, wie in den letzten Tagen. Da sah der Führer schon recht heruntergekommen aus. Essensreste auf der Jacke und so. Jetzt aber war er wieder in voller Montur. Den Kragen des grauen Uniformmantels hochgeschlagen, die Uniformmütze mit dem blinkenden Schirm tief ins Gesicht gezogen. Er hatte einen besonders großen Mützenschirm, weil seine Augen so empfindlich waren. So betrat er noch einmal die Ruine der Neuen Reichskanzlei. Im trümmerübersäten Garten waren ein paar Hitlerjungen angetreten, die hatten mit ihren Panzerfäusten ein paar russische Panzer zerstört, so hieß es. Dazu eine Abordnung der SS-Division Frundsberg. Die begrüßte der Führer einzeln, lobte sie. Er tätschelte den kleinen Jungen die Wangen und dekorierte sie mit dem Eisernen Kreuz. Und Kameraleute waren dabei und hielten Hitlers verquältes Lächeln fest. Ja, verquält. Er war ja so enttäuscht, daß er keine Reserveregimenter mehr zur Verfügung hatte. Diese Kinder, das war seine letzte Reserve für die Verteidigung der Reichshauptstadt. Und hinter dem Führer stand ein strahlender Reichsjugendführer, dieser Axmann, der die Kinder verheizte. Ob wohl einer von diesen Jungen mit den begeistert leuchtenden Kinderaugen den Krieg überlebt hat? Hitler hat ihnen was gesagt vom Sieg, der bald kommen werde, und daß sie später ihren Kindern sagen könnten, sie hätten daran teilgehabt. Uns war der Führer vorgekommen, als ob ein Geist aus der Grube aufsteht. Er war auch schnell wieder in seinem Loch verschwunden. Den Angetretenen hatte er zum Abschied noch zugerufen: ‘Heil Euch!’ Doch darauf wußten sie keine Antwort. War einfach unüblich, so ein Gruß. Man wünschte doch nur immer Hitler Heil. So blieben sie stumm. Dafür war das Grollen von der Front unüberhörbar, die nur noch dreißig Kilometer entfernt war, wie uns ein Offizier sagte. Da konnte ja keine Geburtstagsfröhlichkeit aufkommen.
Wir hatten alle gehofft, Hitler würde nun befehlen, daß die ganze Restbesatzung seines Bunkers sich reisefertig macht, daß wir auf die wartenden Lastwagen verfrachtet werden. Ab nach Bayern. Und er mit uns. Nichts wie weg, solange noch eine freie Straße aus Berlin hinausführt. Aber nichts da. Keine Anweisung zum Rückzug. ‘Der Führer bleibt in seiner Hauptstadt’, hieß es nach der Lage am späten Nachmittag. ‘Und sein Stab und alles an Personal bleibt mit ihm im Führerbunker.’ Nur Reichsmarschall Göring und die übrigen Besucher verließen noch am selben Tag die Stadt. Himmler, Ribbentrop, Speer und hohe Offiziere. Das hieß: Wir konnten mit unserem Leben abschließen. Ich war doch nur eine kleine Schreibkraft, aber jetzt plötzlich als eine von Hitlers engster Gefolgschaft auf Gedeih und Verderb an den alten Mann gebunden, dem keiner mehr eine Chance gab. Und die Russen vor der Tür.
Am nächsten Morgen war schon früh der Teufel los. Hitlers Kammerdiener Heinz Linge, so erfuhren wir, hatte schon um halb zehn an Hitlers Schlafzimmertür gerappelt und dem Führer mitgeteilt, daß russische Artillerie auf Berlin schießt. Eine russische Batterie war am Morgen in Marzahn in Stellung gegangen. Das war nur noch wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Und unsere schweren Geschütze vom Zoobunker konnten die russische Artillerie nicht zum Schweigen bringen. Der Führer war in ständigem Telefonkontakt mit seinen Generälen, und er gab immer wieder neue Befehle, wie die gegen die Russen vorgehen sollten. Aber die konnten entweder nicht oder sie wollten nicht. Es fehlt an Luftunterstützung, hörten wir, und an Sprit und an schweren Waffen. Und nirgends eine Spur von der neuen Wunderwaffe.
Am Tag drauf, am Sonntag, war dann auch der innere Verteidigungsring Berlins durchbrochen. Der Artilleriebeschuß hatte so stark zugenommen, daß wir kaum noch aus dem Führerbunker rauszugehen wagten. Jeder im Bunker fragte jeden, was es Neues gebe. Die Gerüchte schwirrten uns so wild um die Köpfe, daß wir gar nichts mehr wußten. Und als wir hörten, Hitler habe die Absicht geäußert, sich zu erschießen, hielten wir das für frei erfunden. Aber von den Adjudanten der Generäle erfuhr man dann, daß die Militärs den Führer umgestimmt hätten. An diesem Sonntag hatten alle Geschäfte geöffnet. Und vor den Läden bildeten sich trotz Artilleriebeschuß lange Schlangen. Denn es gab eine Sonderzuteilung für die tapfere Berliner Bevölkerung. Ein Pfund Fleisch gab es pro Kopf, und ein halbes Pfund Reis, dazu Hülsenfrüchte, ein Pfund Zucker und dreißig Gramm echten Bohnenkaffee. Wenn man sich in den Straßen umsah, dann wußte man auch, warum dieses vorgezogene Weihnachten. Da hingen aus vielen Fenstern weiße Tücher. Und SS-Kommandos gingen mit brutaler Gewalt gegen Berliner vor, die die weiße Fahne gehißt hatten. Sie wurden auf der Stelle erschossen. Doch die weißen Flecken vor den kaum noch bewohnbaren Häusern wurden damit nicht weniger.
Wir kriegten Zuwachs im Bunker. Dabei war es so schon eng genug. Hitler hatte seinen Propagandaminister, den Doktor Goebbels, gebeten, mit seiner ganzen Familie in den Bunker überzusiedeln. Die Frau und die sechs netten Kinder wurden meine direkten Zimmernachbarn. Die Goebbelskinder waren wirklich eine Freude, zwischen vier und dreizehn Jahre alt, so neugierig und fröhlich und sicher, daß sie bald wieder draußen spielen dürften.“
13
„Und warum? Warum blieben die Bonzen in Berlin, in diesem engen Führerbunker, während die Stadt von den Russen erobert wurde? Es war doch klar, daß sie nicht mehr rauskommen würden, sobald der Ring der Eroberer um die Stadt geschlossen war. Dann saßen sie in der Falle. Warum das?“
„Das fragst du mich? Wie soll ich das wissen? Du mußt dir das mal vorstellen, Bill. Die kleine Schreibkraft, der niemand was erklärte. Die nur auf die Gerüchte angewiesen war, die stündlich wechselten. Von einer Götterdämmerung wurde auf einmal geflüstert. So was wollten Hitler, Doktor Goebbels und Bormann inszenieren. Ich konnte mir darunter nichts vorstellen.“
Schon eine witzige Situation. Mit der ehemaligen Schreibkraft aus der Berliner Reichskanzlei in deren Haus zusammenzusitzen. Tausende Meilen entfernt in Evergreen in den Rocky Mountains. Wir saßen in den beiden kleinen gelben Sesseln vor dem Kamin. Der aus unregelmäßig geformten Felssteinen geschichtete Kamin blieb kalt. Das künstliche Feuerchen flackerte wie immer vor sich hin, wenn der Stecker in der Steckdose war. Die wohlige Wärme im Raum kam von der Fußbodenheizung. Es war Anfang März und draußen weiß und bitterkalt, da brauchte man nicht nur die Flackergemütlichkeit, sondern auch die Wohnzimmertemperatur.
„Und sind denn nun noch Leute aus dem Bunker und aus der Stadt rausgekommen oder nicht?“
„Angeblich wurden immer neue Verstärkungen herangezogen, um die Stadt zu verteidigen, vor allem das Regierungsviertel, das sie den Befehlsbereich Zitadelle nannten. Große Namen hatten sie ja immer für alles. Aber davon wurde das Leben im Bunker auch nicht erträglicher. Weil unser Schreibbüro direkt neben den Vorratsräumen lag, kriegten wir mit, wie die Vorräte aufgefüllt wurden. Da wurden ungeheure Massen an Lebensmitteln herangeschleppt, das sah ganz nach monatelangem Eingesperrtbleiben aus. Dabei gehörten schon etliche Stadtteile wie Pankow und Köpenick, Adlershof und Karlshorst gar nicht mehr zu Deutschland. Die waren schon russisch. Die Leute dort haben es hinter sich, haben wir voller Neid gedacht. Zu sagen hat das aber keiner gewagt. Daß die es in Wirklichkeit nicht hinter sich hatten, das haben wir ja erst später erfahren. Für die ging mit der Eroberung das Unheil erst richtig los. Plünderungen und Vergewaltigungen überall und dann die kommunistischen Phantastereien, die Umerziehung, die Demontagen.“
„Aber das war erst später. Wie verliefen die letzten Tage im Führerbunker? Ich möchte das ganz genau wissen. - Entschuldige, Helga, jetzt habe ich mir eingeschenkt und dir nicht. Ich bin so bei der Sache, daß ich unaufmerksam werde. Übrigens ein guter Wein, euer Kalifornier. Ein Chardonnay, den werde ich mir merken. Ich liebe dieses leichte Vanillearoma. Und schön eiskalt ist er. Das schmeckt mir.“
Die