Hitlers Double. Tatsachenroman. Walter Laufenberg
besten. Ein netter Drei-Stunden-Spaziergang. Und die Möglichkeit, auf achtzehn Loch zu spielen.“
„Jetzt interessiert mich nur noch ein einziges Loch: Diese ausgedörrte, sandsturmmalträtierte Kehle.“
Helga ist tatsächlich zurück. Ein Glück. Dieser Wattebausch auf Beinen, weiß Billy, wird alles wieder heilen. Aber Hamilton ist auch schon da, wartet am Tresen. Der Mann, der einfach nur Hamilton heißt, weil es so über seinem Juweliergeschäft steht, in Riesenleuchtschrift. Genauer gesagt, über jedem der neun Schaufenster, die er bei jeder Vorstellung wie einen Doktortitel anführt: Ich bin der Neun-Schaufenster-Hamilton.
Drei frische Coors stehen auf dem runden Stammtisch in der Ecke, noch ehe Dean dazu kommt, sich über die verdammt trockene Luft im Club zu beklagen. Ein Spruch, den er nie leid wird. Für Helga immer wieder ein sportlicher Anreiz, ihn zu unterlaufen. Schon ist sie beim nächsten Punkt des festgelegten Zeremoniells. Bei Pitt S. Cherrytree. Von der Küche aus sofort bei ihm anläuten, daß die drei Herren gerade an ihrem Ecktisch Platz nehmen. Strenge Anweisung von Cherrytree, der damit sicherstellt, daß ihm nichts Wichtiges entgeht, wie er sich ausdrückt.
Pit S. Cherrytree - das S von Samuel läßt er immer weg, deshalb sagt es jeder besonders gern - ist der Herausgeber des Anzeigenblattes mit der größten Verbreitung in ganz Colorado. Immer scharf darauf, eine Nachricht zu bringen, die nicht über den Ticker der Agenturen gekommen ist. Da ist ihm jeder Stadtklatsch recht. Womit er einen guten Grund hat, sich bei Helga einzufinden, beinahe jeden Abend - bis auf die zwei Monate Pause, die Zeit der Urlaubsvertretung, die ja nun endlich vorbei ist. Einen guten Grund hat er, ja, genau wie jeder der drei am Stammtisch: Wer würde bei so einer Frau den anderen das Feld kampflos überlassen?
Viel Betrieb an der Theke. Nicht nur an der Schmalseite sitzt man, wo die Vorsichtigen zu sitzen pflegen, die nur mit dem Rücken an der Wand schlucken. Alle Barhocker besetzt. Leute von der Presse auch. Aber hauptsächlich Leute, von denen die Presse was will. Oder die wissen, was sie wollen und wie man es mit Hilfe der Presseleute durchsetzt.
„Helga!“ „Helga!“ Aus allen Richtungen. Und Helga wieder überall gleichzeitig. „Als ob Sie während meiner Ferien nichts zu trinken gekriegt hätten, meine Herren.“ Als kämen sie nach einem halben Jahr auf dem Kabelleger das erste Mal an Land, amüsiert sie sich. Dabei war doch jeden Abend geöffnet. Warum sind sie nicht gekommen? Bill Pandosy, das war schon die richtige Urlaubsvertretung. Wie der sich hinter der Theke tummelt, wie schnell der die Bierchen zapft, toll. Als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Hat sich wirklich schnell eingearbeitet. Ein Thekentalent.
Pit S. Cherrytree tritt in die Arena. Schon in der Tür läßt er das Jackett von den Schultern rutschen, das er dann wie seine Muleta quer durchs Lokal schwingt, zielsicher der Stuhllehne auf die Hörner. Aber kein Applaus. Schwer, wie tödlich getroffen, sinkt er auf den Stuhl: „Coors, Coors, ein, zwei, drei, vier - und für dich auch eins, liebe Helga! Man soll ja dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul zubinden.“
„Ein Cherrytree rauscht lauter als ein ganzer Blätterwald“, knurrt Dean O’Casey ihn sofort an.
„Ja, plappern gehört zum Handwerk“, tut der ihn ab. „Und Handwerk hat Gold in der Kehle.“
„Hier erst mal ein goldiges Bier für die Kehle.“ Das ist Helga. Vier Augenpaare umspielen ihre Formen, während sie die Gläser verteilt. Das ist wie ein vierfaches Gestreicheltwerden und tut irgendwie gut. Eigentlich arbeite ich wohl für nichts anderes als das. Bestimmt nicht für das Geld, das ich als Pächterin hier verdiene. Habe ja doch keine Gelegenheit, es auszugeben.
Der schwere Dirndlstoff rauscht immer lebhafter hin und her zwischen der Theke und den Tischen. „Helga gleitet wieder dahin wie auf Rollerskates“, versucht Billy H. Winters sich an einem Kompliment. Das vorgebundene weiße Schürzchen, es winkt ihm von Bier zu Bier neckischer zu. „Nein, Helga bewegt sich wie im Tanz“, überbietet ihn Pit S. Cherrytree. „In einem Tanz mit sich selbst, bei dem alle anderen nur das Nachsehen haben.“
„Eine Frau, die einen zum Trinken verführt - und zum Nichtdraufachten, wieviel man trinkt“, macht Hamilton sich Luft. Was Dean O’Casey zu der Feststellung bringt: „Die Deutschen sind halt geschickt. Die rollen die Front mit einem Lächeln auf. Da weiß man nicht mehr ...“ Und weil Helga gerade wieder an den Tisch kommt: „Aber zwei Monate nicht da, das darfst du mir nie mehr antun, liebe Helga.“ Heftige Zustimmung rundum.
„Versprochen, ganz sicher“, sagt sie. Und das klingt mehr resignierend als freundlich. Und ganz ohne ein Lächeln. Trotzdem rundum zufriedene Mienen. Die Augen der Herren werden immer lebhafter, werden zupackender. Und erst wenn Helga sich runterbeugt zu ihnen. Daß sie den Atem anhalten in der Erwartung, jetzt müßten sie gleich aus dem Mieder fallen, die schweren Brüste.
„Alles was recht ist, unsere Wirtin ist die hübscheste Wirtin von ganz Denver.“ Das ist der Mann des Rechts, wie er seinem Bedürfnis nachgibt, einen Toast auf Helga auszubringen.
„Danke, Herr Doktor.“
„Ganz sicher“, pflichtet Cherrytree ihm bei, „ist unsere Helga ein aus den Wolken entsprungenes Engelchen.“ Dabei schaut er in die Runde, als wollte er für seinen Spruch kassieren. Helga dankt wieder artig. Und eilt schon wieder davon. Dieser Cherrytree soll sich ja in seiner Freizeit mit schöngeistigen Büchern beschäftigen, überlegt sie. Sogar Gedichte soll er lesen. Kein Wunder, daß er so komisch redet.
„Ja, sie ist einfach Spitze“, meint der Bauunternehmer. Und alle drei sehen Hamilton an. Doch wartet der geschickterweise, bis Helga wieder an den Tisch kommt: „Helga, du bist ein Juwel. Du gehörst eigentlich in meine Auslage, in mein bestes Fenster, in das auf der Ecke.“
„O danke, danke, Mister Hamilton - aber ich kann nicht gut stillhalten.“
„Dann käme ja auch das phantastische Kleid nicht mehr so zur Geltung, Engelchen“, wird Cherrytree direkt.
Das Kleid hat es ihnen angetan, klar. Spreewälder Tracht, aber davon haben die Herren natürlich keine Ahnung. War doch richtig, es von daheim mitzubringen. Dabei hatte ich erst Bedenken, daß es zu folkloristisch wäre, zu deutsch. Aber es kaschiert eben besonders gut. Schon komisch, was für ein Gerede gestandene Männer sich einfallen lassen, um einer Enddreißigerin ihre Begeisterung zu zeigen. So liebebedürftig alle, als ob sie in ihrer Kindheit zuwenig Liebe abgekriegt hätten. Ja, da wird die Grundlage für alles gelegt, für alles, was später gut wird - oder aber schiefgeht. Deshalb sollen das ja die wichtigsten Jahre sein, diese ersten Jahre, die mit der engsten Verbindung von Mutter und Kind. Und eine Mutter, die in der Zeit keine Zeit hat für ihr Kind, - Helga muß sich energisch zur Ordnung rufen: Die Herren erwarten von mir, daß ich ihnen einen schönen Abend biete. Dazu sind sie hier, und dazu bin ich da. Punktum.
Danach funktioniert wieder alles wie gewünscht. So wie Helga sich den Männern serviert, wird jedes dumme Gefasel verständlich. Dieser endlose graziöse Tanz um den Gast. Und für jeden einen Blick, der ihn fühlen läßt: Ich bin ihr ganz besonderer Lieblingskunde. War wohl doch richtig, einen Mann für die Vertretung zu nehmen. Wenn der auch nicht viel Umsatz gemacht hat. Bei Helga konnten sich junge Frauen als Aushilfen nie halten. Die holten sich hier ihren ersten psychischen Knacks. Zu deutlich wurde ihnen vorgeführt, daß sie mit ihren gerade drei- oder viermal Sechs noch nicht mit einer richtigen Frau konkurrieren können. Bei Helga sitzt eben jedes Kleid, jede Bluse, jeder Pullover haarscharf vor der Kippe zum Gehtnichtmehr. Aber immer noch davor. Und wie sie sich bewegt, das ist ein einziges Geständnis: Ich bin glücklich mit meinem Körper.
„Ein Pfund schöner als das andere“, soll sie einmal eine Kundin ausgelacht haben, die ihr boshaftfreundlich attestiert hatte, sie sei aber schlanker geworden. Frauen fällt es schwer, sich für Helga zu begeistern. Dazu gehört zuviel Selbstlosigkeit. So ist der Denver Press Club zum reinen Männerlokal geworden. Schon damals, am ersten Tag, den Helga am Tresen verbrachte, mußte sie nein sagen. Damals schon. Und dann immer wieder. Sie lehnt seit Jahren alle Heiratsangebote ab, erzählt man sich, die im Suff gelallten wie die ernsthaften. Immer nur: „Keine Zeit zur Familiengründung - meine Familie, das sind Sie alle hier.“ Dabei diese Herzlichkeit, dieses Lächeln ohne alles bardamenhaft Geschäftstüchtige. Deshalb immer das