Hitlers Double. Tatsachenroman. Walter Laufenberg

Hitlers Double. Tatsachenroman - Walter Laufenberg


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sich krampfartig zurückzieht, der Zeigefinger an ihrer rechten Hand. Die genauso zittert wie ihre Linke. Mit der sie die Rechte festzuhalten versucht. Ich schaue kurz hinter mich. Der große Spiegel, in dem sie gerade eben noch meinen Hinterkopf gesehen hatte, ganz sicher, meine etwas zu weit abstehenden Ohren, die sie immer schon gestört hatten, - der Spiegel, bis auf ein paar Scherben ist er nicht mehr da. Nur noch der schöne barocke Goldrahmen und ein Loch in der Wand. Ich sehe an mir herunter, sehe mich dann nochmal um und verstehe mit leichter Verzögerung: nichts passiert. Verstehe aber auch: das Ding ist geladen. Sie hat mein Spiegelbild getroffen. Das Loch im Hinterkopf. Die Frau ist ja nicht zurechnungsfähig. Typisch Muttertier. Und höre wieder ihr kreischendes: „Hau endlich ab!“

      Sie hat sich jetzt seitlich von mir aufgebaut, mit gehörigem Abstand, daß ich mich an ihr vorbei zur Treppe zurückziehen kann, wohin sie mich winkt. Mach ich. „Okay, okay“, spreche ich beruhigend auf sie ein. Den zitternden Revolver im Blick. Ihre panikgeweiteten Augen darüber.

      So verfolgt sie mich, immer mit einigen Metern Abstand, wie ich auf allen Vieren die Treppe hinunter krabbel, wie ich mich wieder aufraffe, die Tür nach draußen aufmache, hinaustippel zu meinem Wagen, der nichtabgeschlossen dasteht. Der Zündschlüssel steckt wie immer. Wie ich ihn umdrehe, mit den gefesselten Händen, wirft Helga von der anderen Seite meine Jacke in den Wagen und dann die Tür mit Wucht zu.

      Mit beiden Füßen Gas geben und lospreschen, mit beiden Händen das Lenkrad führen, den Hang hinauf zur Fahrstraße. Und im Rückspiegel nur noch der Revolver vor der Frau vor dem Haus. Helga läuft dem Wagen hinterher, in einigem Abstand den Hang hinauf, mit der Waffe in der Hand. Nur sicher sein, daß er wirklich weg ist. Und wirft das schwere Eingangstor hinter mir zu, das sonst immer offensteht, legt den Riegel vor, schließt ab.

      Wer jemals so Auto gefahren ist, an Händen und Füßen gefesselt, mit viel zuviel Alkohol im Blut und mit einem höllischen Dröhnen im Kopf von dem Schlag mit dem Revolver, der kann verstehen, daß ich die großzügig breite Bauweise der amerikanischen Straßen zu schätzen weiß, die späte Stunde, die menschenleere Landschaft, die trocken-warme Mainacht. Evergreen, ich dachte, das würde für lange Zeit meine Heimat. Dieses verträumte Bergstädtchen, das überhaupt kein Städtchen ist. Nur eine Ansammlung in die Gegend gestreuter hübscher Landhäuser. Gerade die richtige Entfernung von Denver, um sich wohlfühlen zu können, die hattest du ja, mein Evergreen. Und dieser Job, bei dem man die Leute aushorchen konnte, ideal. Aber nun vorbei.

      Mit den Zähnen die Knoten an den Handgelenken aufnestelnd, fahre ich weiter, immer weiter, als wären sämtliche Furien hinter mir her. Der Gürtel duftet nach Helga. Ihr Morgenmantel. Vorbei. Vertan. Ich fahre sicher fünf Meilen, bis endlich die Hände frei sind. Dann halte ich an und befreie meine Füße, ziehe die Hose hoch, mache sie mit dem Gürtel fest, vergewissere mich, daß meine Papiere in der Jackentasche sind - und habe auf einmal kaum noch Wut auf Helga. Aber zu ihr zurück? Nein. Lieber nicht. Diese Deutschen, die sind so ernsthaft, so konsequent. Und das weiß jeder Jäger: Nichts ist gefährlicher als eine Bache mit Frischlingen.

      Der Gedanke macht mir den Kopf wieder klar. Ja, ich bin ein Jäger. Und nicht mehr ein gejagter Jäger, nein, das bin ich längst nicht mehr, nur noch ein Jäger. Es ist niemand mehr hinter mir her. Kein Mensch lebt sicherer als ein toter. Nur daß ich mich jetzt nicht mehr um den Jakob Wagner in seinem bayerischen Haus kümmern kann, der mit ziemlicher Sicherheit Adolf Hitler ist. Und ich kann nicht den Mörder finden, der den Mann von Simon Wiesenthal umgebracht hat. Am Okanaganee kann ich nie mehr auftreten. Dort bin ich ein toter Mann. Aber dafür kann ich versuchen, weitere Hinweise für den Einsatz eines Hitler-Doubles zu sammeln. Von den Zeitzeugen, von denen Helga mir so viel erzählt hat. Auch auf diesem Umweg kann ich beweisen, daß Jakob Wagner in Wahrheit Adolf Hitler ist.

      Aber ist jetzt nicht Helga meine neue Feindin? Nein, die nicht. Die ist froh, daß sie ihre Ruhe hat. Ich muß nur vermeiden, ihr nochmal in die Quere zu kommen.

      Was könnte ich auch noch erfahren von Helga? Sie hat alles gebracht, was sie zu berichten wußte. Die ganze Geschichte der naiven Siebzehnjährigen vom Lande, die durch eine Laune der Natur mitten hinein geriet ins Zentrum des Weltgeschehens - weil sie so jung schon so herrlich vollentwickelt war. Wie hatte sie immer wieder gesagt? Schade, ich habe es mir nicht wörtlich merken können, ich konnte nicht mitschreiben, sollte auch keine Bandaufnahme machen. Das hat sie glatt abgelehnt. Dann könnte sie nicht frei sprechen. Sie wollte nur erzählen, nicht berichten. In ihrer manchmal recht drastischen Art, wenn die Erinnerung sie hinriß. Das klang dann etwa so:

      „Man soll ja Toten nichts Übles nachsagen. Aber dieser Martin, ich nehme ja an, daß er tot ist, der war ein Schwein. Der war der Sekretär des Führers, und er hat mich nur eingestellt, weil ich so große Brüste hatte. Dabei waren etliche andere Bewerberinnen viel besser in Steno und Maschinenschreiben als ich. Viel Holz vor der Tür, hatte er gesagt, immer dieses alberne: Viel Holz vor der Tür. Schon an meinem zweiten Tag in der Reichskanzlei hatte er die Hände dran, der Fiesling. Was konnte ich dagegen tun? Ich konnte froh sein, daß ich die Stelle hatte. Andere von meinem Jahrgang schufteten in Munitionsfabriken. Als Arbeitsmaiden beim Reichsarbeitsdienst. Viele von ihnen wurden einfach in die unterirdischen Stollen geschickt und arbeiteten da zusammen mit KZ-Häftlingen und mit Fremdarbeitern. Und kriegten genau wie die kaum was zu essen, kaum noch Zeit zum Schlafen. Wie Tiere herumkommandiert. Da konnte ich noch froh sein, daß dem Reichsleiter meine Brüste gefielen. Der Mann war ja allmächtig. Er hat nur immer von der ganz großen Karriere gefaselt, die er mir bietet.

      Schon nach der ersten Gehaltszahlung mußte ich das erste Mal mit ihm ins Bett. Mit diesem krummbeinigen alten Schwein. In einem Hotel draußen in Köpenick, den Namen habe ich vergessen, da sollte ich einen Auftrag entgegennehmen. Da kam er dann selbst an, in Zivil. Und sah noch schäbiger aus als in Uniform. Der Kerl hat mich ruck-zuck entjungfert. Und als er das bemerkt hat, war er noch besonders stolz darauf. Ich sollte nicht weinen, hat er mich zu trösten versucht. ‘Verdammt noch mal, so ein einmaliges Erlebnis, das stellt sich ein junges Mädchen doch anders vor’, habe ich geschimpft. Das habe er für den Führer getan, sagte er. Und ich dachte: Das hätte er mal den Führer selbst machen lassen sollen. Aber ich habe mich für diesen Überfall gerächt. Brust raus, Mädel, habe ich mir gesagt und den Kerl immer nur Martin genannt und nicht Herr Reichsleiter. Auch vor anderen. Das hat ihn ganz schön geärgert.

      Und was der Kerl meine Karriere nannte, das wurde die Hölle. Mit dem Führer in seinem Bunker neben der Reichskanzlei durfte ich das Ende erleben. Fast bis zum Schluß. Das Ende der ganzen protzigen Naziherrlichkeit. Die Eroberung Berlins durch die Russen. Das war wie der Weltuntergang. Und wenn dieser junge Stabsoffizier nicht gewesen wäre, der mich im allerletzten Moment gerettet hat, da war ich schon bei Mutter im Luftschutzbunker unter unserem zerbombten Wohnhaus, dann wäre ich genau wie Tausende andere draufgegangen.“

      11

      „Das war Anfang 1945, als ich dachte, jetzt ist mein junges Leben schon zuende. Unsere Dienststelle, die Reichskanzlei, war allmählich immer mehr nach nebenan verlegt worden, in den Führerbunker, das war ein ganzer Bunkerkomplex, weißt du, im Garten und unter der Alten Reichskanzlei, mit etlichen anderen Bunkern nebenan. Erst war noch die spannende Frage: Wer wird mitgenommen in den Bunker? Das sollte zwar eine ziemlich primitive Unterkunft sein. Aber bei den dauernden Luftangriffen, das rumpelte doch Tag für Tag, da war das natürlich ein besserer Platz als die protzige Reichskanzlei, die schon einiges abgekriegt hatte. Hinter vorgehaltener Hand sagte es einer dem anderen: ‘Die schweren Marmorplatten der Reichskanzlei können uns auch nicht schützen, die können uns höchstens erschlagen, wenn sie bei der nächsten Bombardierung von den Wänden fallen.’ So war es eine besondere Vergünstigung, als der Reichsleiter Martin Bormann mir sagte, daß ich mit zur Besatzung des Führerbunkers gehören sollte. Als soundsovielte Schreibkraft. Dafür erwartete er natürlich einen besonderen Dank. Und schon hatte ich den scheußlichen Kerl wieder auf dem Bauch.

      Der Mann war der engste Vertraute von Hitler. Er wurde die Braune Eminenz genannt. Gegen ihn gab es keine Gegenwehr. Der nahm sich jede, die er wollte. Dabei hatte der Kerl eine großartige Frau, so eine richtige deutsche Heldenmutter. Gerda hieß die. Mit der hatte er schon fünf oder sechs Kinder. So genau weiß ich das nicht mehr. Nur, daß er auf den Fingern pfiff, wenn er seine Frau herbeirufen


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