Hitlers Double. Tatsachenroman. Walter Laufenberg

Hitlers Double. Tatsachenroman - Walter Laufenberg


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      So auch an diesem kühlen Maiabend des Jahres 1967. Es wird zwei Uhr in der Nacht, bis der Club sich etwas geleert hat. Und es ist drei Uhr, als die Vier an ihrem Ecktisch endlich das Lokal für sich haben. Und die Wirtin dazu. Bill Pandosy, den Zapfer, hat sie längst heimgeschickt. Helga schließt die Tür ab und läßt die Rollos herunter, zieht zusätzlich auch noch die Vorhänge zu. Sie weiß, nun wird es noch lange dauern, bis sie Feierabend hat. Denn das sind keine Leute, die man rauswerfen kann. Oder auch nur vorsichtig rausdrängen. Die nicht. Da muß man lächeln, reden, zuhören und mittrinken. Und wenn es noch so schwerfällt diesmal. Immerhin halten die Vier sich ja nicht an einem verschalten Bier fest. Die haben nicht einfach nur den Aufbruch verpaßt, die machen richtig Umsatz. Champagner - und vom teuersten: Pommery. Und weil der Anwalt und der Juwelier schon jeder eine Flasche ausgegeben haben - und Helga selbst ebenfalls eine - ist klar, daß die nächsten beiden Flaschen schon so gut wie verkauft sind. Helga hält den Abend für gelungen. Seit Jahren der schwerste Abend, ja, aber doch ein guter. Dagegen schimpft Pit S. Cherrytree, der Abend sei schon gelaufen:

      „Nichts Neues erfahren. Einfach nichts passiert. Scheiße. In heiße Luft investiert.“

      „Dann muß der Colorado Courier halt wieder in Patriotismus machen. Von der ersten bis zur letzten Seite: mein Vaterland“, reizt Hamilton ihn.

      „Was dagegen, daß ich als glühender Patriot, als begeisterter Amerikaner mein Herz auf der Zunge trage?“

      „Schon gut, schon gut. Aber Zunge mag ich nur in Madeira-Sauce“, Hamilton in Feierabendhochstimmung.

      „Ich verstehe die Anspielung, aber ich bin kein Ochse. Ich habe eine kinderreiche Familie gegründet. Ich, Pit Cherrytree, bin ein Amerikaner, wie er gebraucht wird. Und ich frage den, der den schönen amerikanischen Namen Hamilton trägt: Wer hier könnte sich wohl vorstellen, etwas anderes zu sein als ein Amerikaner?“

      „Hoppla, jetzt wirft der Cherrytree aber alles andere als bunte Blüten auf unsere liebe Helga“, kontert Hamilton.

      „Ach so, Helga, ja das ist doch ganz was anderes. Helga ist unsere Wirtin. Die darf eine Deutsche sein.“

      „Charmant, sehr charmant“, genießt der Juwelier die Verwirrung seines Kontrahenten.

      Der hats grad nötig, mich zu verteidigen, denkt Helga. Und zieht sich in die Küche zurück. Sie sieht wieder den schönen Bernsteinschmuck im Schaufenster bei Hamilton liegen, in der hintersten Ecke im letzten von den neun Schaufenstern. Die Broschen und Ketten mit den dicken honiggelben Steintropfen, mit den geheimnisvollen Einschlüssen, die sie von Kindheit an fasziniert haben. Bernstein, das Gold meiner ostdeutschen Heimat. Bei Hamilton erklärt ein kleines Schild zwischen den Preziosen, daß es sich um russischen Folkloreschmuck handle. Ihn darauf aufmerksam machen? Nein. Als Deutsche muß man sich zurückhalten. Gut, der Krieg ist schon zwanzig Jahre vorbei, gut zwanzig Jahre sogar, aber deutsch, das klingt hier immer noch wie Nazi.

      Was Helga in der Küche nicht mitkriegt, das ist die weitere Erörterung des Themas Amerikaner. Daß Amerika die totale Überfremdung droht, wie Billy H. Winters es ausdrückt. „Weil hier jeder Hinterwäldler abstauben will.“ Daß die Amerikaner in Gefahr sind, von fremdrassigen Menschen überschwemmt zu werden. So Dean O’Casey. „Nachdem wir schon jüdisch durchrasst sind bis zum Gehtnichtmehr“, ergänzt Hamilton. Und Pit S. Cherrytree bissig: „Ich verstehe, meine Herren. Deshalb also die Begeisterung für Helga. Nur weil sie eine Deutsche ist. Weil sie zu dem Volk gehört, das die Endlösung der Judenfrage erfunden hat.“

      „Auch den Kommunismus haben sie erfunden, die Deutschen“, gibt der Anwalt noch eins drauf. Und verschluckt den nächsten Satz, zu dem er schon Luft geholt hat, weil Helga an den Tisch zurück kommt. Mit Salzstangen und gerösteten Erdnüssen. „Dann schmeckt der Champagner noch besser“, sagt sie. Und einige Augenblicke zu lange sagt niemand in der Runde was. Helga sieht verwundert von einem zum anderen. Hat sich mein Laden so verändert in der Zeit, wo ich nicht da war?

      „Die Dinger schmecken so, daß man nicht mehr aufhören kann“, mault Dean O’Casey. „Und dann hängt das Zeug in allen Winkeln und Ecken fest und läßt einem keine Ruhe. Da gibts nur eins: kräftig nachspülen.“

      Kein Widerspruch. Man kaut und schüttelt zwischendurch die Backen mit einem Schluck Champagner. Um vier Uhr die vierte Flasche. Helga forciert jetzt das Trinken ein wenig. Nicht um die vier Herren auszunehmen, die sich vom Coors-Bier über den Bourbon bis zum Pommery vorgearbeitet haben - die müßten sowieso bald genug haben -, nein, sie fühlt sich müde und doch mehr geschwächt, als sie erwartet hatte. Aber sie läßt sich das nicht anmerken. Immer noch die perfekte Gastgeberin.

      Inzwischen sind die Herren beim Thema Kindererziehung angekommen. Ein Gerede, das unweigerlich überzugehen pflegt auf die griechischen Götter, weiß Helga. Vom Kindererziehen haben sie ja alle vier keine Ahnung. Und ich, ich selbst, kommt ihr dabei ein lästiger Zwischenruf in den Sinn. Ein Gedanke, den sie schnell verscheucht. Die Vorstellungen der Herren von den griechischen Göttern werden nur bei Aphrodite konkret. Direkt plastisch. Helga muß sich vorübergehend auf ihren Olymp, die Bretter vor den Zapfhähnen, zurückziehen, um nicht als Göttin auf den Altar des Alkohols gehoben zu werden. Die Vergleiche fallen schlecht aus für Aphrodite. Die acht Hände scheinen zu allem bereit.

      Bei der letzten Flasche Champagner sind die Vier sich einig: Die Götter leben noch. „Ja, sie sind nicht gestorben“, „Nein, sie weilen unter uns“, bestätigt man sich gegenseitig. Das dionysische Prinzip erweist sich als das letzte Prinzip Hoffnung. Bewundernswerte Zecher, staunt Helga jedesmal aufs neue. Noch das verdrehteste Gerede bringen sie in ordentlichen Sätzen, beinahe druckreif. Wenn auch für Cherrytree nichts zu drucken abfällt. Die Herren werden nicht laut und fallen sich nicht in die Arme - nicht einmal ins Wort. Sie sitzen um den runden Tisch wie in einer Konferenz. Absolut diszipliniert. Als wäre ihnen aus dem Bewußtsein, sehr wichtig zu sein, ein Korsett gewachsen. Dabei weiß ich immer noch nicht: Sind sie nun Freunde oder tun sie nur so, weil jeder sich Hoffnung macht, die anderen ausstechen zu können? Ja, natürlich geht es um mich. Aber lieber keine Antwort bekommen auf diese Frage.

      Wie immer als Schlußakkord der Wunsch nach einem Kaffee. Kaum geäußert, ist Helga schon bei der Arbeit. Mein Pflichtgefühl arbeitet so automatisch wie die Espressomaschine, überlegt sie. Aber irgendwas stimmt doch nicht mit mir. Bin ich wirklich noch so geschwächt? Oder habe ich etwa zuviel getrunken?

      „Für dich natürlich auch einen, Helga. Geht auf meine Rechnung“, ruft Cherrytree, der offenbar seinen ungalanten Patriotismus ausgleichen will.

      Das heftige Brodeln und Prusten der Maschine füllt den viel zu groß gewordenen Raum. Für Helga jedesmal ein schöner Nachhall von Italienurlaubstagen. Vor langer, langer Zeit. Und dieser aufregende Duft. Helga zieht es vor, dreimal zu gehen statt das große Tablett zu nehmen. Vielleicht tut mir die Bewegung gut, überlegt sie. Zuletzt bringt sie ihre Tasse auf den Tisch. Sie setzt sich mit einem unterdrückten Seufzen zu ihren Gästen. Gerade will sie in eine bequeme Sitzposition rutschen, als sie schon wieder hochfedert und zur Küche eilt. Der Bauunternehmer will den Kaffee mit Milch trinken. Der Rechtsanwalt auch. „Ich bleibe bei schwarz“, ruft Hamilton ihr nach. Und Cherrytree in ungewohnter Kürze: „Ich auch!“

      Es dauert eine Weile, bis die Wirtin zurückkommt. Verlegen, ratlos: „Kein Tropfen Milch da. Dabei hatte ich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß immer Milch da sein muß. Tut mir sehr leid, meine Herren.“

      „So geht der Abend halt schwarz zuende. Das paßt zur Nacht“, versucht Hamilton ihr über die Peinlichkeit hinwegzuhelfen.

      Doch Dean O’Casey wütet plötzlich los: „Nein und nochmal nein! So laß ich mich nicht abspeisen. Diese verdammte deutsche Mißwirtschaft, die verdirbt einem den ganzen schönen Abend!“

      „Ich glaube, ich spinne“, lacht der Juwelier. Was aber bei dem Mann des Rechts nicht gut ankommt. „Soll das heißen, daß ich spinne?“, brüllt er.

      „Ich habe gesagt: Ich spinne.“

      „Also ich spinne!“ Der Stuhl des Anwalts fährt nach hinten gegen die Wand.

      „Aber, aber,


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