Hitlers Double. Tatsachenroman. Walter Laufenberg

Hitlers Double. Tatsachenroman - Walter Laufenberg


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wozu das?“

      „Was weiß ich“, will Anthony das Gespräch abbrechen. Er wendet sich wieder seiner Kamera zu, setzt ein anderes Objektiv auf. Ein Supertele von Unterarmlänge.

      „Sie wissen mehr als Sie zugeben.“

      „Das mag schon sein. Aber alles nur Belangloses. Eben was man so von seinen Mitmenschen zu hören kriegt.“

      „Nämlich?“

      „Na, beispielsweise so ein Reportertratsch. Mark Evans, der Starreporter vom ‘Kelowna Morning’, hatte ein Gespräch mit Pineladder.“

      „Ach. - Wieso? Und wann? Und worüber?“

      „Nur mal langsam. Wir spielen doch hier nicht Reporter und Interviewopfer.“

      „Die Sache ist für mich äußerst wichtig, Mister Anthony. Deshalb sagen Sie mir bitte, wie es zu diesem Gespräch kam und um was es ging.“ Zu dumm, daß ich niemals zuvor mit diesem komischen Anthony das Gespräch gesucht habe. So kann ich ihn nicht einfach mit Fred anreden, bin auf dieses distanzierte Mister Anthony angewiesen. Einmal so richtig mit ihm einen trinken, das kann man ja auch nicht.

      „Die beiden golfen gelegentlich zusammen. Und wenn ich Pineladder richtig verstanden habe, ging es um Sie.“

      Mark Evans muß ihm gesagt haben, weswegen ich ihn aufgesucht habe. Was sonst? Also weiß mein Abteilungsleiter, daß ich weiterhin an dem Fall arbeite, von dem er mir die Finger zu lassen geraten hatte. Und er sagt mir nichts. Er schmeißt mich nicht raus. Er hat vermutlich auch nichts nach oben gegeben, sonst wäre ich schon draußen. Er schickt mich nur ins Abseits. Ich soll ein paar Tage nicht zu sehen sein - und nicht weiter recherchieren können. Das ist sehr nobel gehandelt. Muß ich ihm hoch anrechnen. Aber wenn er glaubt, damit Erfolg zu haben, wenn er glaubt, mich auf diese Weise von dem Fall abzubringen, dann täuscht er sich gewaltig.

      Fred Anthony ist schon wieder beim Filmen. Seine Kamera hat er durch eine riesige Kunststoffhülle - mit Dämmstoffen ausgekleidet, ein etwas komisch aussehender Eigenbau - völlig geräuschlos gemacht. Da kann ein Vogel einen Meter vor dem Objektiv sitzen, er wird es nicht hören, wenn die Kamera losschnurrt.

      Was lehren mich die Vögel? - Sie wissen, wann es Zeit ist aufzubrechen, und sie wissen, wohin sie sich wenden müssen. Und so einheitlich sie aussehen, sie selbst können sich unterscheiden. Sie erkennen, wer zu ihnen gehört und wer nicht. So muß ich auch die Altnazis erkennen können. Wenn sie auch nicht beringt sind. Irgendwas muß an ihnen sein, was dem Ring entspricht, irgendeine Prägung, irgendeine Gemeinsamkeit, ein Kainszeichen auf der Stirn. Ich muß nur genauer hinschauen. Und die Hartnäckigkeit und Engelsgeduld eines Tierfilmers brauche ich.

      5

      Es scheint nicht viele Deutsche oder Österreicher zu geben, die sich in unsere Welt verlaufen haben. Bisher habe ich nur von einem einzigen gehört. An der Theke, in harmloser Blabla-Recherche. Der Mann sammelt Schlüssel. Seine Überzeugung: Wer alle Schlüssel der Welt hat, dem steht die ganze Welt offen. Nein, das sei kein Hobby, hatte er sich verteidigt, das sei ihm ein Bedürfnis. Im übrigen auch nicht so teuer wie ein Hobby. Es liegen doch überall Schlüssel herum, die nicht mehr gebraucht werden. In jeder Wohnung. Man muß nur herumfragen. „Denn Schlüssel haben ein längeres Leben als Schlösser“, hat er mich bierselig aufgeklärt. „Meist tun die Schlösser es schon bald nicht mehr. Schlüssel sind das, was von uns übrigbleibt, und nicht die Schlösser. Ist das nicht beruhigend?“ Als sein innerer Bierpegel die Hochwassermarke erreicht hatte, verriet er mir, daß er jahrelang gesessen habe.

      „Damals. Daheim. In Österreich.“

      „Aha, dann bedeutet einem ein Schlüssel natürlich viel.“

      „Viel? - Quatsch viel. - Alles, Mann. Denn Schlüssel heißt Freiheit.“

      Wann er gesessen habe, wollte ich wissen. - Im Krieg. - Wirklich im Krieg und nicht nach dem Krieg?

      „Quatsch nach dem Krieg. Da waren wir doch befreit. Plötzlich waren die Wachmannschaften weg. Und die Amerikaner haben das Lagertor ganz weit aufgemacht. Sperrangelweit aufgemacht.“

      Ein Naziopfer also. Das kann ich jetzt nicht brauchen. Ich suche Täter, nicht Opfer. Ist doch immer dasselbe: Wen interessieren schon die Opfer. Die Täter sind die tolleren Figuren. Ich werde weiter herumfragen.

      Und heute Abend gehe ich zu Fuß über die Pontonbrücke zum Westufer des Sees. Ein Spaziergänger, das ist unverfänglich. Nein. Das geht nicht. Das wäre die allerauffälligste Art, mich dem Haus des Deutschen zu nähern. Wer geht schon zu Fuß? Aber mit meinem Wagen möchte ich auch nicht hinfahren. Da könnte sich jemand meine Autonummer merken oder zumindest den Typ und die Farbe. Aber so einen roten alten Ford haben doch viele Leute. Trotzdem schlecht.

      Am frühen Abend bin ich bei einem Rollerverleih. Ich habe meine alte Lederjacke an und einen Fotoapparat vor dem Bauch hängen, kriege vom Geschäftsführer des Unternehmens einen Integralhelm übergestülpt und setze mich auf den Motorroller. Wie ein Tourist fahre ich langsam und mit vielem Hin- und Herschauen die Benvoulin Road hoch, biege dann nach links ab in die Harvey Avenue und bin gleich drauf auf der Pontonbrücke. Drüben am Hang kann ich das Haus schon sehen, das mir meine Kneipenbekanntschaft beschrieben hat. Das da, das muß es sein. In halber Höhe, mit herrschaftlichem Blick über den Okanagansee. Das habe ich bisher nie bewußt wahrgenommen. Dabei ist es ein Haus, das so wenig in diese Gegend paßt, wie ein Kamel ins Polareis. Ein schweres, weit über die Hauswände hinausgezogenes Dach, mit Holzschindeln gedeckt, auf denen einzelne Felssteine liegen. Ein stumpfwinkliger, behäbiger Giebel, unten weiß getüncht, oben aus dunklem Holz, mit zwei Reihen Balkons übereinander, die über die ganze Breite gehen. Eine Balkonverkleidung aus schnörkelig geschnitzten senkrechten Brettern. Und alles voller Blumenkästen, aus denen eine offenbar liebevoll gepflegte Blütenpracht weiß und blau überquillt.

      Bayerischer Stil, so hat er das genannt, mein Mann an der Theke. Bayerischer Stil. Na, meinetwegen. Seinen Namen habe ich schon vergessen. Er hat sich den falschen Namen, den ich ihm genannt habe, hoffentlich auch nicht gemerkt. Wäre eine nutzlose geistige Investition gewesen.

      „Das Haus hat sich ein Einwanderer in den frühen zwanziger Jahren gebaut. Der hatte so einen komischen Geschmack“, hatte mein Mann noch zu berichten gewußt. Das ging voll daneben. Der Bauherr konnte noch kein alter Nazi sein. Ich brauchte einen, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hierhergekommen ist. Ich wollte schon die Gaststätte wechseln - neues Spiel, neues Glück -, da rückte er endlich mit der eigentlich aufregenden Information heraus: „Das Haus ist im Jahre 1947 aufgekauft worden, von einem Deutschen - kann auch ein Österreicher gewesen sein, wer schaut da durch? -, nachdem es etliche Jahre lang leergestanden hatte. Sah schon sehr schäbig aus. Der Mann muß einen besonderen Narren gefressen haben an diesem bayerischen Stil. Denn er hat das Haus für viel Geld in der alten kuriosen Art restaurieren lassen. Und er wollte nur dieses Haus haben, kein anderes. Obwohl da noch andere Objekte am Hang standen, die zu verkaufen waren. Viel schönere.“

      Mehr wußte mein Informant nicht zu berichten. Schade. Aber vielleicht ist das schon Gold wert, was er mir gesagt hat. Ich hätte ihm noch ein zweites Bier ausgeben sollen. Erledigt. Nun bist du selbst dran, William Harrison.

      Ich fahre am Ufer ein wenig hin und her, auch mal die eine oder andere Straße ein Stückchen hoch. Ein Tourist, der den optimalen Blick auf den See sucht. Immer wieder verstellen einzelne Häuser und Bäume die Sicht. Ich schaue da und dort durch die Kamera und tue so, als ob ich abdrückte. Ein ernsthafter Hobbyfotograf. Dabei immer nur mit dem einen Gedanken beschäftigt: Wie komme ich auf die unauffälligste Weise ran an den Mann? Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als zu dem bayerischen Haus hochzufahren und an der Tür zu klingeln. Ich könnte nach einer Frau Allenby fragen, die dort einmal gewohnt hat. Behaupte ich einfach. Elizabeth Allenby. Ob der Hausherr mir vielleicht mit einem Hinweis weiterhelfen könne, wo die Dame abgeblieben ist. Ich bin ihr Neffe.

      An der Tür steht der Name des neuen Hausherrn: Jakob Wagner. Okay, das ist ein deutscher Name. Obwohl Jakob, das ist doch ein jüdischer Vorname. Das klingt nicht nach einem alten Nazi, eher nach einem von den Nazis Verfolgten. Aber dann hätte


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