Die Diskette. Bernt Danielsson

Die Diskette - Bernt Danielsson


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meine Mutter auch am Apparat gewesen – ich weiß nicht, wie sie es macht, aber sie ist immer zuerst am Telefon –, und ich hatte behauptet, Lena sei eine Aushilfslehrerin.

      „Hast du sie auch nach Weihnachten noch?“

      „Ich weiß nicht“, sagte ich und dachte angestrengt nach. Ich mußte mir was einfallen lassen. Wir hatten vor, übers Wochenende zu den anderen Großeltern nach Västervik zu fahren. Und wenn ich bisher schon keine Lust gehabt hatte, mitzukommen, so hatte ich jetzt noch weniger Lust dazu. „Sie – sie macht einen Rundruf in unserer Klasse“, sagte ich.

      Meine Mutter blieb in der Türöffnung zum Wohnzimmer stehen und schaute mich fragend an.

      „Sie macht ein ... Fest. Jetzt am Freitag. Für unsere Klasse“, sagte ich und wich ihrem Blick aus.

      „Mitten in den Ferien?“

      „Ja, genau.“ Ich nickte. „Sie zieht ... ähm ... sie zieht um, ins Ausland. Und sie möchte, daß wir uns noch mal treffen, bevor sie abreist. Sie war ganz toll und ...“

      „Aber sind denn nicht die meisten von euch verreist?“ fragte meine Mutter und ließ ihren Blick gleichzeitig zerstreut ins Wohnzimmer wandern und zum Fernseher, wo ein Mann sich gerade einem Mädchen näherte, das in einem schlecht erleuchteten Zimmer auf dem Bett lag.

      „Nee, sie hat die meisten erreicht. Und es kommen auch alle“, log ich. „Kann ich nicht auch zu Hause bleiben? Ich finde es da unten sowieso sterbensöde, absolut nichts los und – tja, ich würde wirklich auch gerne auf das Fest gehen“, sagte ich bittend und holte meine zuckersüße „Mamas-guter-Junge-Stimme“ hervor. (Sie fällt meistens drauf rein.)

      „Tja ... aber ruft sie nicht ein bißchen sehr spät an? Ich meine, heute ist schließlich Mittwoch. Sonst hätten wir ja auch erst nächstes Wochenende fahren können und ...“

      „Ja, aber ...“ unterbrach ich sie, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.

      „Natürlich kannst du zu Hause bleiben“, sagte mein Vater vom Sofa aus und rettete mich völlig unerwartet.

      „Aber ...“ wollte meine Mutter protestieren.

      „Der Kaffee wird kalt“, sagte ich schnell.

      „Was? Ach so. Ja, ja, dann bleib meinetwegen hier. Aber wo wohnt sie denn?“ fragte meine Mutter dann noch unruhig.

      „Gleich da hinten“, sagte ich und zeigte mit der einen Hand in eine ungefähre Richtung. „Beim Hagbyvägen.“

      Da wurde sie sofort wieder ruhiger. „Ach so, aber sieh zu, daß du auch wieder ordentlich nach Hause kommst und ...“

      „Es ist doch erst am Freitag“, sagte ich seufzend. „Und ich kann inzwischen wirklich auf mich aufpassen.“

      „Wie bitte? Ach so. Ja, natürlich. Aber wir sprechen morgen noch einmal darüber“, sagte sie und ging ins Zimmer.

      „Willst du dir nicht den Film anschauen?“ fragte mein Vater, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.

      „Das Buch war hundertmal besser“, sagte ich und lief die Treppe hoch.

      Ich ging in mein Zimmer, stellte mich ans Fenster und starrte auf die Straße. Große, nasse Schneeflocken segelten durch das Januardunkel herab, wurden kurz vom Schein der Straßenlampe erleuchtet, bevor sie landeten und auf dem schwarzen Asphalt schmolzen. Ich stand ziemlich lange am Fenster, meine Gedanken ließen in der hundertsiebenundzwanzigsten Wiederholung die Ereignisse jener hektischen Tage vor ein paar Monaten ablaufen.

      Was war denn überhaupt passiert?

      Nachdem Schröder mich angefahren hatte, war alles so fürchterlich schnell gegangen – plötzlich war ich in lauter alptraumartige Situationen geraten, Schröder raste mit mir durch die Gegend, und wir versuchten herauszubekommen, was mit Lena geschehen war. Da glaubten wir noch, daß sie freie Journalistin wäre, die auf unerklärliche Weise verschwunden war.

      Es stellte sich heraus, daß Lena keineswegs Journalistin war, sondern das nur als Deckmantel benutzte. In Wirklichkeit war sie so eine Art Geheimpolizistin, die irgendeiner Gangstermafia auf der Spur war. Die operierte unter dem Namen BEDA und war, nach außen gesehen, eine ganz normale Finanzierungsfirma, aber Lena hatte herausbekommen, was sie in Wirklichkeit machten, und als sie zu viel über ihre finsteren Machenschaften wußte, wurde sie gekidnappt. Aber Lena war nicht blöd und hatte alle wichtigen Informationen ausgesprochen pfiffig versteckt. Außerdem hatte sie alles in einer Art Code niedergeschrieben und dann auch noch den Codeschlüssel versteckt.

      Es hätte richtig böse ausgehen können, weil Schröder sich blöderweise vom Walroß hatte an der Nase rumführen lassen, der behauptet hatte, Lenas Kollege Roger zu sein. Aber in Wirklichkeit war er ein gemeiner „Torpedo“, der wiederum von so einem Schurken angestellt worden war, der seinerseits die Macht bei BEDA an sich reißen wollte.

      Ehrlich gesagt habe ich nicht richtig verstanden, wie alles zusammenhing, aber am Schluß habe ich doch tatsächlich Lena das Leben gerettet, indem ich das Walroß mit der Knarre außer Gefecht setzte. Aber zuvor hatte Schröder mich gezwungen, auf einer rostigen Leiter fünf Stockwerke hochzuklettern, ich wäre beinahe runtergefallen, und dann hat er mich auch noch dazu gebracht, ein Boot zu klauen ...

      „Schröder, die Knallerbse“, sagte ich schließlich vor mich hin, aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht verhindern, daß ich mich einigermaßen darauf freute, ihn und Chandler wiederzusehen.

      Und natürlich auch Lena ...

      2

      Hijiki, Wakame & Miso

      Chandler stieß drinnen im Haus ein kurzes, explosionsartiges Bellen aus, als ich schließlich nach ewigem Suchen und Fummeln den Klingelknopf gefunden hatte, denn Schröder hatte natürlich kein Licht vor der Tür angemacht.

      Nachdem meine Eltern endlich aus dem Haus waren, hatte ich einen wunderbaren Freitag verbracht, obwohl ich doch auch fand, daß die Zeit ziemlich langsam verging. Aber zwei Videofilme, ein Stapel alter Comichefte aus der Sammlung meines Vaters und eine Tüte Zimtschnecken hatten da Abhilfe geschaffen. Ich hatte mich gefühlt wie vor Jahren, als ob ich noch neun oder zehn Jahre alt wäre, und außerdem war es genau das richtige Wetter für diese Art von Beschäftigung gewesen: den ganzen Tag dunkel und Schneeregen. Irgendwie wünschte ich mir, daß ich mich immer so fühlen könnte, und gleichzeitig fand ich es auch peinlich und würde es nie vor meinen Klassenkameraden zugeben – oder gar vor Martina. Sie versuchte immer, so „erwachsen“ zu sein und würde bestimmt sagen, daß ich endlich aus diesem „kindischen Benehmen herauswachsen“ müßte – manchmal hatte ich den Eindruck, daß dies nur ein Beweis dafür war, wie kindisch sie eigentlich noch war. Dann fand ich auch wieder, daß sie völlig recht hatte.

      Chandler polterte die Treppe runter und kratzte mit der Pfote innen an der Tür, immer noch wütend bellend.

      „Schnauze, Chandler!“ brüllte Schröder von oben und kam mit lauten Schritten die Treppe runtergetrampelt. Innen wurde Licht angemacht, und ich hörte, wie er am Schloß herumfuhrwerkte und mehrmals laut fluchte, bis endlich die Tür mit einem lauten Knall aufging und mich beinahe umgeworfen hätte.

      „Konbanwa!“ rief er mit einem breiten Grinsen und verbeugte sich tief.

      „Was hast du gesagt?“

      „Konbanwa – das ist guten evening auf japanisch. Ist das nicht unser Kevin, der Held?! Höchstselbst. Ja verdammt – lange her! Komm rein, mein Junge. Aber was hast du dich denn so vollgefressen über Weihnachten! Du bist ja richtig fett geworden. Nix gut. Überhaupt nix gut. In schwedischem Weihnachtsessen ist nur jede Menge schädliches Zeugs.“

      „Es war englisches Weihnachtsessen“, murmelte ich.

      „Noch schlimmer!“

      Ich hatte, vorsichtig gesagt, gemischte Gefühle, als ich wieder in Schröders Hütte trat. Es kribbelte irgendwie unten im Bauch, und ich konnte nicht entscheiden, ob es Unlust, Unruhe oder eine Art Freude war.


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