Die Diskette. Bernt Danielsson

Die Diskette - Bernt Danielsson


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überzeugen, das einzig Vernünftige wäre zu kapieren, daß er das größte Knallblättchen des Jahrhunderts war, und sich dann in größtmöglicher Entfernung von ihm aufzuhalten. Aber irgendwo tief drinnen (so weit drinnen, daß ich manchmal das Gefühl hatte, die wirklich wichtigen Gefühls- und Gedankenzentren sind im Bauch und keineswegs im Kopf lokalisiert) mochte ich ihn einfach gern, wie sehr ich auch das Gegenteil versuchte.

      „Du solltest draußen Licht machen, damit man was sieht“, brummte ich und zog die Tür hinter mir zu, nicht ohne ein hastigen Blick auf ihn zu werfen.

      Er sah aus wie immer. Die gleichen struppigen, dunklen, kleingelockten Haare, das gleiche breite Grinsen, er schien sogar den gleichen Dreitagebart wie beim letzten Mal zu haben. Über einem schmutzigen Hemd mit einer Art Südseemotiv in Rot, Gelb, Grün und Lila trug er eine unglaublich verkleckerte Küchenschürze, auf der stand „Never stop the action“ – und ich erinnerte mich, daß er damals, als er seine „Gymnastikübungen“ gemacht hatte, ein T-Shirt mit dem gleichen Text getragen hatte. Ob das wohl auch auf seinem Bademantel steht, dachte ich. Und auf seinen Unterhosen? Würde mich überhaupt nicht wundern, antwortete ich mir in Gedanken und versuchte, die Tür zuzumachen, aber wie ich auch zog, es ging nicht, sie schien irgendwie nicht in den Türrahmen zu passen.

      „Man soll keinen Strom verschwenden“, sagte er fröhlich. „Wart, ich mache die Tür zu. Offenbar bin ich der einzige, der das kann. Ich versteh gar nicht, daß das so schwer sein soll.“ Er drückte die Klinke herunter, drehte am Schloß, so daß der Schließkloben ins Schloß fuhr, dann zog er die Tür heftig zu und ließ gleichzeitig die Klinke los. „So, geht doch ganz einfach!“

      „Ist Lena noch nicht da?“ fragte ich.

      „Nee, aber don‘t worry, mein Junge. Sie kommt. Ich muß nach dem Essen sehen. Mach das Licht aus, wenn du raufgehst“, sagte er und rannte die Treppe hoch.

      Chandler blieb unten, legte sich auf den Fußabstreifer und blickte mich mit seinen traurigen Augen an, als ich mir die Handschuhe auszog.

      Die Halle sah auch aus wie damals. Ich hatte den Eindruck, als ob noch genauso viele kaputte oder reparaturbedürftige Schuhe herumlagen. Aber zwischen aufgeplatzen Holzschuhen und einzelnen, verdreckten Stiefeln thronten ein Paar ochsenblutrote Schuhe mit knallgelben Schnürsenkeln mitten unter der Deckenlampe. Sie waren frisch geputzt, hatten dicke Gummisohlen und waren mit einer Art Lammfell gefüttert. Offenbar hatte er sie gerade neu gekauft. An den Wänden standen natürlich jede Menge umgedrehte Bilder – oder Spannrahmen, wie es wohl richtig heißt.

      Aus dem oberen Stockwerk war metallisches Klappern zu hören, Schröder fluchte ausgiebig, verstummte plötzlich und sang dann mit grölender Stimme: „The summerwind, came blowing in, from across the sea!“

      Auf den zwei untersten Brettern des Bücherregals quetschten sich immer noch jede Menge Exemplare von Schröders eigenem Roman „Guten Tag, guten Tag“. Ich hatte nur die erste Seite gelesen, aber das hatte mir völlig gereicht, ich hatte sofort eingesehen, daß ich es nie schaffen würde, ihn ganz zu lesen, und schon gar nicht, ihn zu verstehen. Jetzt kam mir plötzlich, daß ich doch noch einen Versuch hätte machen sollen. Es könnte ja sein, daß Schröder mich fragt, wie ich ihn gefunden hätte, und das wäre peinlich. Aber vielleicht hatte er vergessen, daß er mir das Buch geschenkt hatte.

      „Und wie geht es dir?“ fragte ich Chandler. Er hob den Kopf und blinzelte mich mit seinen kleinen, schwarzen Augen an, die hinter dem langen, strubbeligen Fell glänzten. Er brachte ein irgendwie jaulendes Geräusch heraus, aber es war nicht möglich, festzustellen, ob er damit meinte, es ginge ihm gut, oder ob er sagen wollte, das Leben mit Schröder sei schon ziemlich beschwerlich. Ich zog Lederjacke und Schal aus und legte sie auf einen von den Bilderstapeln.

      „Da-da-dada, da-dada – it lingered there, touched your hair and walked with me!“ grölte er von oben.

      Ob ich wohl auch die Schuhe ausziehen sollte? Sie waren ziemlich durchgeweicht, weil Schröder auf dem Gartenweg natürlich keinen Schnee geräumt hatte. Ich hatte mich durch zentimeterdicken Schneematsch zum Haus durchkämpfen müssen. Mein Moped hatte ich unten in der Einfahrt an Bogart, die Schrottlaube, gelehnt.

      Andererseits war ich nicht sicher, ob ich Lust hatte, in Schröders Wohnung mit meinen neuen, weißen Weihnachtssocken rumzulaufen. Ich suchte mir aus dem Schuhwirrwarr auf dem Boden ein Paar mit Farbe verkleckerte, schwarze chinesische Pantoffeln heraus. Sie waren zwar ein paar Nummern zu groß, paßten aber trotzdem recht gut.

      „Hast du immer noch keine Ahnung von Sinatra?“ rief er aus der Küche.

      Chandler trottete mir hinterher, als ich die gewundene Treppe hochging und in Schröders kombiniertes Atelier-Bibliotheks-Wohnzimmer kam.

      Auch hier sah fast alles aus wie beim letzten Mal – die Staffelei stand immer noch an den beiden großen Fenstern, und das Parkett drumherum war noch verkleckster mit allen möglichen Farben. Die Bücher in den Regalen an der einen Längswand waren weder abgestaubt noch geordnet worden, und natürlich standen überall große Stapel mit Bildern. Bestimmt ein paar hundert, dachte ich. Und alle waren groß, mindestens eineinhalb Meter hoch. Und genau wie vor ein paar Monaten stand kein einziges Bild mit der Bildseite nach vorne, sondern sie waren gegen die Wand gelehnt, die ihrerseits weiß angestrichen und völlig kahl war.

      Aber in der Mitte des großen Zimmers auf dem Boden stand etwas, was es damals nicht gegeben hatte – ein Unmenge von Prozellanschälchen, quadratischen Tellern und becherartigen Gefäßen. Sie waren verteilt auf etwas, das aussah wie eine große, zehn Zentimeter dicke, schwarz angestrichene Spanplatte. Ich hatte keine Zeit, nachzudenken, was es sein könnte, weil Schröder mit einem Tablett aus der Küche kam, auf dem noch einmal vier Schalen mit Deckel standen.

      „Toll, nicht?“ Er grinste zufrieden und ließ eine brennende Zigarette im Mundwinkel wippen.

      „Was ist das?“ fragte ich verwirrt.

      Er schaute mich lange an und schüttelte dann den Kopf. „Ja, Kevin, verdammt, du bist auch noch ganz der alte! Was ist das?! Ha, ha, das ist ein Eßtisch, das sieht man doch. Was hast du denn gedacht – ein Rauschenberg vielleicht?“ Er blies mir den Rauch ins Gesicht, und ich machte schnell einen Schritt zur Seite.

      „Rausch – was?“ fragte ich.

      „Rauschenberg. Der Künstler. Vom dem die Ziege mit dem Autoreifen im Modernen Museum ist, die kennst du doch hoffentlich?“

      „Ähm, nein ...“ murmelte ich. „Aber warum hat er denn keine Beine?“

      Schröder ließ sich auf die Knie nieder und stellte die Schalen neben die quadratischen Teller. Er unterbrach sein Tun und schaute mich an, nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und blies den Rauch an die Decke.

      „Heute bist du wirklich lustig, Kevin! Siehst du denn nicht, daß dies ein japanischer Eßtisch ist? Wir werden japanese essen, Mister! Und da muß man auf dem Boden sitzen, sonst schmeckt es nicht so gut. Frag mich nicht, warum, es ist einfach so. Es hat vielleicht etwas mit der Größe der Japaner zu tun, was weiß ich. Wie auch immer, man setzt sich mit gekreuzten Beinen auf so etwas“, sagte er und zeigte auf einen Stapel schwarzer, kissenähnlicher Teile, die an der Wand aufgestapelt waren.

      „Essen wir auch mit Stäbchen?“ Ich kicherte und fand mich richtig lustig.

      „Selbstverständlich“, sagte er so ernst, daß mir das Kichern im Halse stecken blieb. „Natürlich benützen wir hashis.“

      „Hashis?“

      „Stäbchen. So heißen die auf japanisch. Setz dich, damit ich dich anschauen kann. Wie geht es dir? War ganz schön was los da draußen in Djursholm, damals vor ein paar Monaten. Kannst du dich noch daran erinnern?“

      Als ob ich das jemals vergessen könnte, dachte ich und holte mir so ein Kissen. Ich setzte mich zögernd an den Tisch, verschob das Kissen so, daß ich mich an die Wand neben dem offenen Kamin lehnen konnte. Ich schaute erstaunt die Schälchen an – ich hatte noch nie so viele verschiedene Schälchen auf einmal auf einem Tisch gesehen. Schröder grinste mich erwartungsvoll an. „Ähm, tja ...“ murmelte ich


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