Die Diskette. Bernt Danielsson

Die Diskette - Bernt Danielsson


Скачать книгу
erinnerte ich mich an den total durchgedrehten Künstler Norling – und ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie es werden würde, wenn er und Schröder gleichzeitig loslegten. Diese Art von Abendessensgesellschaft wollte mir nicht so recht gefallen. Ein Glück, daß Lena auch dabei ist, dachte ich.

      „Jetzt geh schon runter, und mach auf! Du bleibst hier, Chandler!“

      Ich zuckte resignierend mit den Schultern und trottete die Treppe hinunter. Man konnte wirklich sagen, daß Schröder noch immer der alte war, vielleicht hatte ich ein kleines bißchen gehofft, daß er sich gebessert haben würde, aber ich hätte wissen können – das ging nicht.

      Schröder fing wieder zu singen an, aber ich verstand den Text nicht. Es war bestimmt wieder ein Sinatrasong.

      Ich machte beide Lichter an, vor der Tür und drinnen. Ob Lena wohl auch noch die alte ist, dachte ich und machte die Innentür auf. Ich drückte die Klinke runter, drehte gleichzeitig am Schloß und drückte fest dagegen und bekam die Tür tatsächlich beim ersten Versuch auf.

      Ich schnappte erschrocken nach Luft.

      Es war keineswegs Lena. Und es war auch nicht Norling.

      Es war ein Inder.

      3

      Rashmal, der Weihnachtswichtel aus Bangladesch

      Unter dem hellen Außenlicht stand ein dunkelhäutiger Mann, der ein gutes Stück kleiner war als ich, obwohl er wie mindestens dreißig aussah. Es war ein Inder, da war ich mir ganz sicher. Er hatte ein längliches, kaffeebraunes Gesicht, die Augen lagen tief unter dem Stirnknochen und wurden von rabenschwarzen, dicken Augenbrauen beschattet, die im Licht glänzten, als ob Gel drin wäre. Auf dem Kopf hatte er eine knallrote gestrickte Pudelmütze, der Mund wurde von einem dunkelblauen Schal bedeckt, den er sicher zweimal um den Hals gewickelt hatte. Seine Hände steckten in den Taschen eines dicken grauen Mantels mit großem, schwarzem Persianerkragen. Er wäre sicher ganz prima in der Antarktis zurechtgekommen, aber er sah so aus, als würde er erfrieren, obwohl es draußen nur plus minus null war. Er starrte mich durchdringend an und sah ein wenig erstaunt aus – ich allerdings nicht minder.

      „D-d-do you speak english?“ brachte er stotternd hervor, mit diesem typisch indischem Akzent, gleichzeitig zog er den Schal vom Mund.

      „Quite well in fact“, sagte ich angeberisch.

      „Is Linda there?“ fragte er dann mit einem kleinen, aufgesetzten Lächeln und entblößte eine Reihe enormer Pferdezähne, die waagrecht aus dem Oberkiefer ragten.

      Linda? dachte ich. Linda?

      „There is no one by that name living here“, sagte ich munter.

      „Pleasch“, sagte er. „Very important. I must see her. My name ist Rashmal, Rashmal Bakshi. I am friend. I have had a very long journey. When are she back?“

      Ich fragte ihn, ob er möglicherweise Lena meinte, aber er schüttelte nur heftig den Kopf, so daß die Bommel der Pudelmütze von einer Schulter zur anderen hüpfte.

      „I must see Linda, soon as possible. Very important.“

      Ich wiederholte, daß hier niemand mit Namen Linda wohnte.

      „Don’t try with me!“ sagte er und wurde plötzlich wütend. Er holte die Hände aus den Taschen und boxte mich mit solcher Kraft gegen die Brust, daß ich rückwärts durch den Flur flog und direkt in einem Stapel Bilder landete. Ich rutschte auf dem Teppichende aus, und die beiden viel zu großen Pantoffeln sausten davon. Ich fiel der Länge lang auf den Boden und stieß mir den rechten Ellenbogen an dieser bestimmten Stelle, und so ein widerlicher elektrischer Schlag fuhr mir durch den ganzen Körper.

      Der Inder kam herein und zog die Tür mit einem Knall hinter sich zu. „I know she is here! I must see her, they are after me and I am running for my life and ...“ stieß er in wahnsinnigem Tempo hervor und ließ alle R’s rollen.

      „Aber, aber!“ wollte ich ihn unterbrechen.

      „Was zum Teufel macht ihr denn da unten?“ rief Schröder aus der Küche, und ehe ich antworten konnte, kam Chandler die Treppe heruntergesaust.

      Der kleine, steifgefrorene Inder hatte keine Chance. Chandler sprang ihm direkt an die Brust und warf ihn mit lautem Krachen gegen die Tür, die er natürlich nicht ordentlich hatte zumachen können. Sie sprang auf, der Inder torkelte hinaus und fiel mit einem Platsch in den Matsch da draußen, rücklings, er konnte sich nicht einmal mit den Händen abstützen, aber das war auch sein Glück, denn sonst hätte er sich bestimmt die Arme gebrochen. Er schrie etwas, das vermutlich indisch war, und verstummte dann plötzlich. Chandler bellte und knurrte abwechselnd, und Schröder kam mit klappernden Schritten die Treppe runtergerannt.

      „Aber was zum Teufel?!“ schrie er und blieb auf der untersten Treppenstufe stehen. In der rechten Hand hatte er einen hölzernen Kochlöffel und starrte wild zuerst mich an – ich versuchte gerade, wieder aufzustehen –, dann den Inder, der ganz still draußen vor der Haustür lag, und schließlich Chandler, der knurrend seine Pfoten auf den Brustkorb des Inders gesetzt hatte und sich zu überlegen schien, ob er ihm in die Nase beißen sollte.

      „Chandler!!“ brüllte Schröder und scheuchte ihn nach drinnen. Er ging hinaus und beugte sich über den Inder. „Was ist das denn für ein Weihnachtswichtel aus Bangladesch?!“ schrie er. „Was für Hauer“, sagte er dann erstaunt und mit leiser Stimme. „So was habe ich wirklich noch nie gesehen. Wie kommt der Zahnarzt bloß in seinen Mund rein?“

      „Wie geht es ihm?“ fragte ich und erhob mich auf meine wackeligen Beine. Ich lehnte mich an den Stapel Bilder, richtete mich aber gleich wieder auf, weil die Rahmen verdächtig knackten.

      Schröder drehte sich auf dem Absatz um und schaute mich wütend an. „700 Flis das Stück!“ schrie er. „Faß sie bloß nicht an!“ „Flis?“

      „Dann eben Rupis! Peanuts, Mäuse, Moos, Möpse, was du willst. 700 Kastagnetten! Und da habe ich noch nicht einmal angefangen, darauf zu malen!“ Er drehte sich wieder um und starrte das merkwürdige Wesen mit knallroter Mütze und blauem Schal an, das vor seiner Haustür lag. Er beugte sich hinab und horchte. „Was für ein Glück“, seufzte er dann. „Verdammtes Glück, daß er nicht tot ist, das hätte richtig ärgerlich werden können. Ich meine mit der Versicherung und der Polizei und allem.“

      „Kennst du ihn?“ fragte ich und ging auch nach draußen.

      Schröder schüttelte den Kopf.

      „Er sagte, er heißt Rashmal, und fragte nach einer Linda“, sagte ich. „Sollten wir ihn nicht lieber reinziehen, damit er nicht an Lungenentzündung stirbt?“

      „Rashmal? Linda? Was für eine verfluchte Linda denn? Hör mir zu!“ schrie Schröder und schlug zweimal fest mit den Holzlöffel auf die Pudelmütze. „Hörst du! Wach auf! Hinein mit dir, habe ich gesagt!“ Er scheuchte Chandler wieder ins Haus, der jetzt auch nicht mehr knurrte, sondern ganz vergnügt zu sein schien – er glaubte bestimmt, daß er gelobt würde, weil er so ein guter Wachhund war.

      Schröder schlug dem Inder noch zweimal mit dem Holzlöffel auf den Kopf.

      „Schläft wie ein Stock!“ konstatierte er, schob Rashmals Bein mit dem Fuß beiseite und wollte die Tür zumachen.

      „Aber wir müssen ihn doch hereinholen“, protestierte ich.

      „Und warum?“

      „Damit er nicht erfriert.“

      „Herein zu mir? Du spinnst wohl! Es könnte doch verdammt noch mal so ein psychopathischer Irrsinniger sein, der aus New Delhi abgehauen ist! Nee, nee, er ...“

      „Er sieht nicht besonders gefährlich aus. Und wenn er vielleicht ein Kollege von Lena ist?“ sagte ich.

      Schröder schaute ihn nachdenklich an. „Ähm, da hast natürlich recht, das wäre nicht so gut ...“ Er holte tief Luft. „Okay. Ja, ist schon gut, okay – nimm du ihn bei den Füßen.“

      Ich


Скачать книгу