Die Marmortaube. Søren Jakobsen

Die Marmortaube - Søren Jakobsen


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weißes Pulver streuten, fotografierten. Erst in ein paar Stunden würden diese Trüffelschweine erkennen, daß der ganze Aufwand umsonst war.

      Und der Polizeichef mußte vor immer aggressiver fragenden Journalisten einräumen, daß man noch keinen Schritt weitergekommen war.

      Ein Mord, ein Terrorakt ... und ohne jeden Hinweis. Morgen oder übermorgen würden seine Vorgesetzten über den Mann herfallen, der sein Bestes gab, aber nicht einmal die Andeutung einer verwertbaren Spur hatte.

      Die Kugeln, die Ole Kramer getroffen hatten, würden ganz Westeuropa beunruhigen.

      2.

      Zumindest Ulla Bojskov war zufrieden, als Anders nach seinem Autounfall wieder mit Routinearbeiten bei der Politischen Polizei beschäftigt war. Jetzt kam er wieder zu normalen, bürgerlichen Zeiten zum Essen. Er half im Haushalt und beschränkte sich nicht nur darauf, am Samstag die Steaks zu braten. Ihr Alltag hatte sich verändert. Anders war abgelenkt und geistesabwesend, wenn er schwierige Fälle zu bearbeiten hatte.

      Ulla war der Ansicht, daß die Persönlichkeitsveränderung ihres Mannes mit seiner langen Krankheit und der quälenden Ungewißheit zusammenhing, ob er im Rollstuhl enden würde, von Kopf bis Fuß gelähmt. Sie hatte Angst, ihn danach zu fragen. Sie wartete, bis Anders mehr Abstand zu der Sache bekommen hatte und selbst darüber reden wollte.

      Endlich hatte Anders erkannt, daß die Karriere ihren Preis hatte, und daß dieser Preis für manchen nicht nur ein gesteigertes Prestige und Gehaltsaufbesserung zur Folge hatte, über die sich das Finanzamt freut.

      Sie waren sich wieder nähergekommen, und Anders hatte endlich wieder ein vernünftiges Verhältnis zu den Kindern. Eigentlich war er bloß noch ein Wochenend- und Feierabendvater gewesen. Sie kannte die Schäden, die diese amputierte Form des Familienlebens bei Kindern anrichten konnte, nur zu gut.

      Es war kurz vor elf. Anders räumte das Teegeschirr ab. Ulla stand auf, um den Fernseher abzuschalten. Vorsichtshalber rief sie in Richtung Küche:

      »Willst du die Nachrichten sehen?«

      Anders klapperte mit dem Geschirr.

      »Willst du die Nachrichten sehen oder nicht?«

      »Nein, mach aus.«

      Das Farbbild schrumpfte auf einen kleinen Punkt zusammen, dann wurde der Schirm mattgrau. Ulla wollte die Lampe in der Sitzecke ausschalten. Das Geräusch eines bremsenden Autos ließ sie aufhorchen. Als sie die Gardine ein Stück zur Seite zog, um zu sehen, was sich draußen abspielte, hörte sie feste Schritte auf dem Gartenweg.

      »Anders, da kommt jemand.«

      Keine Reaktion aus der Küche, nur das Geräusch des laufenden Wasserhahns. Ulla lief in den Flur. Sie wollte noch vor dem Klingeln öffnen. Die Kinder brauchten nicht wach zu werden. Sie schaltete das Außenlicht ein.

      Auf der Treppe stand ein junger, gutgekleideter Mann.

      »Guten Abend, Kriminalassistent Mogens Svendsen. Entschuldigen Sie die Störung, ist Ihr Mann zu Hause?«

      »Ja, bitte kommen Sie herein.«

      Der unscheinbare Ford Fiesta fuhr auf der Autobahn in Richtung Hillerød und bog an der Ausfahrt zum Frederiksundsvej ab. Anders Bojskov registrierte die Festbeleuchtung im Bürotrakt des PET1, der ›geheimen‹ Etage über den Räumen des 3. Reviers.

      »Wenigstens einmal müssen auch die hohen Herren noch arbeiten«, bemerkte er. Selten genug waren sie um diese Zeit noch anwesend. Eine Ausnahme war Kriminalinspektor Laurids Jansen, nur half ihm das wenig. Mit den leitenden Juristen der Abteilung kam er deshalb trotzdem nicht klar.

      »In der ganzen Hütte geht’s zu wie im Bienenschwarm«, antwortete Svendsen. »Übrigens wußte ich gar nicht, daß du bei der Anti-Terrortruppe bist.«

      »Ist auch etwas übertrieben, ich war bloß auf ’nem Kurs.«

      Svendsen parkte auf einem der reservierten Parkplätze hinter dem anonymen Bürokomplex, der sowohl den dänischen Geheimdienst als auch das größte Polizeirevier Kopenhagens beherbergt.

      »Du sollst dich bei Jansen melden«, sagte Svendsen formell.

      »Weißt du, ob unsere Leute schon da sind?«

      »Kein Ahnung. Ich bin bloß der Chauffeur.«

      Ob sie mich noch mal zur Mordkommission versetzen, überlegte Anders Bojskov, als er die langen Korridore des 3. Reviers entlangging. Mit dem Kriminalassistenten Bruno Frederiksen hatte er sich damals angefreundet. Bei der Aufklärung des Mordes an dem Call-Girl Annette Theiler hatten sie zusammen ein gutes Stück Arbeit geleistet. Dafür waren seine Erinnerungen an den Chef der Mordkommission, Valdemar Henriksen, eher gemischt. Anders Bojskov mochte Henriksens brüske Art nicht. Als Neuling in der Abteilung bekam man leicht den Eindruck, als Rekrut eingezogen worden zu sein.

      Laurids Jansen telefonierte, als Bojskov in sein Büro trat. Der Kriminalinspektor signalisierte ihm, sich zu setzen. Dichter Zigarillorauch brannte in Anders Bojskovs Augen. Eigenartig, daß der Rauch anderer Leute so schnell unangenehm werden kann, wenn man selbst aufgehört hat zu rauchen.

      Jansen nahm darauf keine Rücksicht. Der Inspektor rauchte bereits die zweite Schachtel des Tages, wie Anders sah. Caminante. Groß und dick wie Zigarren und kaum die richtige Stimulanz für einen Mann, der gerade aus dem Genesungsurlaub zurück war.

      Jansen legte auf und lächelte.

      »Hoffentlich mußte Svendsen dich nicht aus eurem Doppelbett zerren.«

      »Nein, nein. Wir waren noch nicht im Bett.«

      »Gut. Zum Glück haben wir dich zu Hause erwischt. Hat Svendsen dir erzählt, worum es geht?«

      »Keine Details. Nicht einmal den Namen des Toten. Er sagte nur, daß wir es vermutlich mit einem Attentat zu tun haben.«

      »Viele Details haben wir auch nicht, Anders.« Jansen strich sich übers Kinn. Der Bart kratzte wie eine borstige Kokosmatte. »Wir sind in höchster Alarmbereitschaft. Ein Unbekannter hat den Ingenieur Ole Kramer erschossen, als er nach Hause fahren wollte. Ich nehme an, du weißt, wer Kramer war?«

      »Ich kenn den Namen aus der Zeitung. Er hatte gewaltigen Erfolg, ich weiß nur nicht mehr, womit.«

      »Viele dürften es auch nicht sein, die das wissen. Kramer war Experte auf dem Gebiet der militärischen Datenverarbeitung und so gut, daß ihn sogar die Amis respektierten. Møller hat mir heute abend erzählt, daß Kramer innerhalb der NATO ein ziemlich hohes clearing2 hatte.«

      Jansen griff zu seinen unentbehrlichen Zigarillos, erwischte aber die leere Packung. Gereizt warf er sie in den Papierkorb. »Na, wir müssen zu Møller. Die Ermittlungen werden auf höchster Ebene geleitet.«

      Vizepolizeimeister John Møller war Laurids Jansens neuralgischer Punkt, seit sich Møller das Recht vorbehalten hatte, in alle wichtigen Ermittlungen eingeschaltet zu werden oder sie selbst zu leiten. Selbständiges Arbeiten war für Jansen seitdem kaum noch möglich, obwohl sein Job auf dem Papier zu den höchsten bei der Kripo und im Nachrichtendienst gehörte. Überall hatten diese Juristen ihre Finger drin. Und hinter ihnen stand Viggo Nielsen, der Staatssekretär im Justizministerium. Ihm hatte PET-Chef Oluf Trapp Madsen alle wesentlichen Ermittlungsergebnisse mitzuteilen.

      Doch auch John Møller hatte seine Probleme. In Krisensituationen, die seine Anwesenheit weit über die normale Dienstzeit hinaus erforderten, fürchtete er zuweilen, verrückt zu werden: gespalten zwischen den Operationen, die ihn beschäftigten und die er möglichst genau kontrollieren mußte, und seinem Privatleben. Normalerweise war Tove Møller eine vernünftige Frau. Mußte John aber Überstunden machen oder saß er in langwierigen Konferenzen, brach ihre Eifersucht mit einer Gewalt hervor, die jeden Psychoanalytiker begeistert hätte, wäre er Tove Møller begegnet. Abgerichtet, immer das Richtige zu tun und zu sagen, konnte Møller die wilden Gefühlsausbrüche seiner Frau nur mit Mühe ertragen.

      Am schlimmsten war allerdings, daß ausgerechnet John Møller,


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