Die Marmortaube. Søren Jakobsen
Amerikaner löste seinen Schlips, während er am Fenster stand. Gleich würde das Call-Girl kommen. Er lächelte. Das Mädchen hatte behauptet, die Bar des Hotels gehöre nicht zu den einschlägigen Orten, hier könnten sie nur zusammen reden. Über den Preis? Nein, da gab es nichts zu diskutieren. Statt dessen hatte sie ihm von Christiania erzählt. Süß und naiv. Sie mußte neu in der Branche sein, wenn sie nicht wußte, daß in allen ordentlichen internationalen Hotels Nutten verkehren. Ihm war es recht. Eine unerfahrene Hure ist heutzutage beinahe genauso selten wie eine Jungfrau, die das Mindestalter für strafrechtliche Handlungen bereits überschritten hat. Er wollte es auf eine Probe ankommen lassen. Der Amerikaner packte den zollfreien Whisky aus. Zum Glück fanden sich im Badezimmer zwei billige Wassergläser.
Er wollte ihr einen Drink anbieten. Lehnte sie ab, war ihre Unsicherheit nichts anderes als Komödie. Routinierte Huren rühren keine harten Sachen an.
Es klopfte.
»Yes.«
Das Mädchen ging zum Fenster und baute sich so auf, daß er nur noch den Arm um sie zu legen brauchte. Er unterließ es.
In Kastrup startete ein Jumbojet mit den letzten Passagieren dieser Nacht und brummte wie eine riesige Hummel über die Stadt.
Tief unter den Hotelfenstern lief eine schlanke Gestalt mit schnellen, katzenhaften Schritten über die feuchten Kiesel des Stadtwalls. Als der Jumbo über ihr dröhnte, blieb sie stehen und orientierte sich an der dunklen Silhouette des Hotels und den kleinen, erleuchteten Fenstervierecken. Kein Laut war zu hören. Dann blitzte ein Gegenstand auf und irgend etwas klatschte ins dunkle, algige Wasser.
Die Lichtreflexe der Straßenlaternen und Scheinwerfer auf der anderen Seite des Walls fingen sich in den Ringen, die sich auf dem Wasser ausbreiteten. Die letzten Wellen brachen sich sacht im Schilf.
Der Amerikaner und das Call-Girl sahen den Ringen zu. Als die letzten Reflexe vom Schilf verschluckt wurden, schlossen sie das Fenster. Sie redeten nicht darüber, warum die trübe Wasseroberfläche einen Moment lang in Bewegung geraten war. Das oberflächliche Gerede hatten sie an der Bar hinter sich gebracht.
3.
Auf den Mauersockeln saßen zwei Adler aus Sandstein und bewachten die Einfahrt. Das schwarzlackierte, schmiedeeiserne Tor war geöffnet.
Bruno Frederiksen bremste. Die Vorderreifen des zivilen Polizeiwagens hielten exakt vor der Chausseepflasterung des Privatweges.
»Hier sind wir doch richtig, oder?«
Anders Bojskov guckte noch einmal auf die schwarze, handgeschmiedete Eins am rechten Sockel der Einfahrt.
»Ja.«
Er verstand, warum Bruno beeindruckt war. Engskiftet Nr. 1 in Ryvangen, das war nicht irgendeine Adresse. Es war vornehm. Dieses Gebäude ließ sich wahrscheinlich nur durch eine Anzeige in der Tageszeitung Børsen verkaufen. Der Haupttrakt der Villa bestand aus zwei Flügeln; Erker und große Schornsteine mit seltsamen Verzierungen unterbrachen das schwarze, glänzende Ziegeldach. Englischer Countrystil. Vermutlich überstiegen die Heizkosten einer Saison das Jahresgehalt eines Kriminalbeamten. Trotz der weißgekalkten Mauern, die im Licht der Straßenlaternen bläulich schimmerten, lag eine düstere Stimmung über der Villa. Vielleicht lag es an den dunklen Dächern oder an der alten Eibe, deren Zweige weit über die Treppenanlage hingen.
Bruno fuhr den Wagen langsam auf den Hof. Vor einem Anbau von der Größe eines Reihenhauses stand ein nagelneuer Rover. Dem Tor nach zu urteilen, schien dies jedoch die Garage der Familie Kramer zu sein.
»Hat sie nun den Arzt der Familie oder den Anwalt der Firma kommen lassen?«
Anders kontrollierte noch einmal, ob der Notizblock an seinem Platz in der Jackentasche war. Man mußte ziemliches Selbstbewußtsein entwickeln, um auf der Haupttreppe der Villa keine Minderwertigkeitsgefühle zu bekommen. Die Klingel war aus altem Messing, gab aber ein sehr synthetisches, elektrisches Geräusch von sich.
Ein älterer Herr in einem unauffälligen, blauweiß-gestreiften Sommeranzug öffnete.
»Guten Abend, Kriminalpolizei.«
Bruno hatte die Hand an der Polizeimarke. Überflüssig – sie wurden offensichtlich erwartet.
»Manfred Biehle. Kommen Sie herein.«
Gut, daß ich Inge dazu überreden konnte, etwas Gedeckteres anzuziehen, dachte Biehle, als er die Beamten in Kramers Bibliothek führte. Braungebrannte Brüste in einem weitausgeschnittenen und nicht ganz undurchsichtigen Sommerkleid könnten sie auf die Idee bringen, Inge Kramer hätte ihren Mann wegen eines Liebhabers umgebracht. Biehle hatte keine Ahnung, wie die Polizei vorging, aber er hatte genügend Phantasie, sich vorzustellen, welche Gedanken sich schlechtbezahlte Kripoleute machen können.
»Nehmen Sie bitte Platz. Frau Kramer kommt gleich. Wenn Sie nichts dagegen haben, bleibe ich hier.« Biehle zuckte mit den Schultern, ein Appell um Verständnis. »Sie war außer sich in den letzten Stunden.«
Bruno räusperte sich. Sie hatten abgesprochen, daß er das Gespräch führen sollte.
»Sie sind ein Freund des Hauses?«
»Ja. Ich kenne die Kramers seit vielen Jahren.«
»Und nun wollen Sie Frau Kramer beschützen?«
»Nein, unterstützen.«
»Wissen Sie, wie Kramer ums Leben kam?«
»Die Polizei war bereits einmal hier. Höfliche und verständnisvolle Kollegen von Ihnen, wenn ich so sagen darf.«
»Ich werde das Kompliment weiterleiten«, antwortete Bruno ironisch. »Sie werden verstehen, daß wir nicht gekommen sind, um Frau Kramer noch einmal zu unterrichten. Wir sind aus dem einfachen Grund hier, von Frau Kramer mehr über das Leben und die Gewohnheiten Ole Kramers zu erfahren. Je mehr wir wissen, umso schneller werden wir seinen Mörder einkreisen können. Aber wenn es Ihnen ungelegen ist, daß wir Frau Kramer hier vernehmen, fahren wir gern mit ihr aufs Präsidium.«
»Um Gotteswillen nein. Sie würde es nicht ertragen.«
Manfred Biehle drehte sich um. Er hatte getan, was er konnte. Gut, daß er Zeit gehabt hatte, Inge auf stupide und geradezu beleidigende Fragen vorzubereiten.
Bruno Frederiksen und Anders Bojskov nutzten die Zeit, um sich in der Bibliothek umzusehen. Es war kein kleines Zimmer. Nicht diese wie Meterware eingekauften Lederbände. Kramers Bibliothek schien aus mehreren tausend Bänden zu bestehen. Sehr viel Fachliteratur war darunter.
Militaria und Ledermöbel verliehen dem Raum einen maskulinen Anstrich.
Aus dem Flur hörten sie das Geräusch harter Absätze. Eine braungebrannte Frau mit knisterndschwarzem Haar trat ein.
Anders Blick klebte an ihren nadelspitzen, hohen Absätzen. Nicht, weil er ihre Beine bewundern wollte, sondern weil er hoffte, am Gang erkennen zu können, ob Inge Kramer den Schock mit Alkohol oder Pillen bekämpft hatte.
Ohne jede Gleichgewichtsstörung setzte sich Inge Kramer auf das Ledersofa und zog den Rocksaum über ihre übergeschlagenen Beine. Anders hatte nicht gerade das Gefühl, einer jungen Witwe gegenüberzusitzen, deren Mann vor noch nicht allzu langer Zeit brutal ermordet worden war.
»Ich habe die Nachrichten gehört. Sehr viel haben Sie bisher ja nicht herausgefunden.«
»Darum sind wir hier. Vielleicht können Sie uns helfen«, antwortete Bruno.
»Vielleicht. Ich weiß bloß nicht wie. Ole hat immer gesagt, je weniger du vom Geschäft weißt, desto besser. Das war wohl richtiger, als er ahnte.«
»Warum glauben Sie, daß der Mord etwas mit der Firma zu tun hat?«
»Es muß so sein. Wir haben schließlich keine Schwachsinnigen in der Familie.«
»Hat sich Ihr Mann jemals wegen seiner Arbeit bedroht gefühlt?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Dennoch