Die Marmortaube. Søren Jakobsen

Die Marmortaube - Søren Jakobsen


Скачать книгу

      »Hatten Sie das Gefühl, daß Ihr Haus beschattet wurde?«

      »Niemals. Das Haus ist mit allen möglichen elektrischen Alarmsystemen gesichert. Einbrecher kämen hier nicht weit.«

      »Haben Sie wertvollen Schmuck oder Silber im Haus?«

      Anders saß wie ein Statist neben Bruno. Er hatte seinen Notizblock auf den Knien.

      »Mein Schmuck ist normalerweise im Safe. Das Silber benutzen wir natürlich. Sonst wäre es ja sinnlos.«

      »Ist es wertvoll?«

      »Ole hat es geerbt. Uralt ist es, mit Stempeln und was sonst noch dazu gehört.«

      »Klingt so, als würden Sie sich nicht viel draus machen?«

      »Mag sein. Ich benutze es, weil es schön ist, nicht, weil es teuer ist.«

      »Brachte Ihr Mann manchmal Arbeit mit nach Hause?«

      »Das kam vor. Gewöhnlich saß er dann hier.«

      »Allein?«

      »Ja. Ich hatte nie den Wunsch, für ihn die Sekretärin zu spielen. Elektronik bedeutet für mich, auf Knöpfe zu drücken.«

      »Wissen Sie, ob er Konstruktionszeichnungen hier hatte?«

      »Keine Ahnung. Ich pflege nicht in fremden Taschen zu wühlen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.« Inge Kramer sah Bruno herausfordernd an.

      Er schien es zu übersehen.

      »Durch die Alarmanlagen haben Sie sich also sicher gefühlt. Erinnern Sie sich noch, wann sie eingebaut wurden?«

      »Vor zwei Jahren. Andersson, ein Ingenieur aus Lundtofte, erledigte es.«

      »Sprachen Sie darüber?«

      »Sie meinen Ole und ich? Natürlich. Damals wurde hier in der Gegend ziemlich viel eingebrochen, und die Polizei klärt ja nicht alles in ein paar Stunden auf.«

      »Es lag also nicht daran, daß sich Ihr Mann bedroht fühlte?«

      »Davon sagte er nichts. Aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

      Bruno Frederiksen räusperte sich. »Wir vermuten, daß die Gewohnheiten Ihres Mannes untersucht wurden. Offensichtlich haben wir es mit einem sehr sorgfältig geplanten Mord zu tun. Deshalb ist es so wichtig, daß Sie uns alles erzählen, was Sie wissen.«

      »Das mache ich ja. Aber so gern ich möchte, ich kann Ihnen nicht mehr über die Firma sagen. Sie müssen sich mit Holm unterhalten.«

      Anders betrachtete Inge Kramers Hände. An ihren geballten Fäusten traten die Knöchel weiß hervor.

      »Wer ist Holm?« wollte Bruno wissen.

      »Erling Holm war Oles Kompagnon.«

      Inge Kramers Schultern zitterten. Die erste Träne lief ihr über die Backe. Dann verlor sie die Beherrschung und ließ den Tränen freien Lauf.

      »Bitte fragen Sie jetzt nicht weiter.«

      Das Abblendlicht der Limousine erwischte vier schwarze Gestalten. Weiße Reflexstreifen am Saum der Polyesterjacken warfen das Scheinwerferlicht zurück. Wie eine Straßensperre sah es aus. Eine hellrote Handfläche forderte zum Halten auf.

      Erling Holm drehte das linke Seitenfenster herunter. Eine unfreundliche Stimme kam ihm zuvor.

      »Hier können Sie nicht durch.«

      »Aber ...«

      »Kein aber. Weiterfahren. Der Platz ist gesperrt.«

      Holm stieg aus.

      »Wenn Sie nicht weiterfahren, muß ich Sie festnehmen. Es ist jetzt ...«

      »Nun mal mit der Ruhe«, besänftigte Holm den aufgebrachten Beamten. »Ich glaube, es wäre sinnvoller, Sie informieren Ihre Kollegen von der Kripo. Mein Name ist Erling Holm, und ich bin gekommen, um der Kriminalpolizei das Hauptbüro der Firma Dantec aufzuschließen. Aber vielleicht sagt Ihnen der Firmenname nichts.«

      Der Polizist hob sein Walkie-Talkie. Holm verstand nicht, was er sagte, aber der Beamte nickte und nahm plötzlich Haltung an, als stünde er einem Vorgesetzten gegenüber. Er winkte Holm ein. »Bitte parken Sie gleich dort drüben. Leider werden Sie das letzte Stück zu Fuß gehen müssen.«

      Die Parkplätze, der Fußweg und der gesamte Eingangsbereich der Dantec waren mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet. Die größte Wattzahl konzentrierte sich allerdings auf eine dunkelrote Lache auf dem Asphalt.

      Holm bemerkte die dünnen Rinnsale, die sich bis zur Bordsteinkante zogen. Nach der Größe der Blutlache zu schließen, hatte Ole nicht mehr lange zu leben gehabt, wenn die Schüsse nicht sofort tödlich waren.

      Die Kreidelinien der Polizei beschrieben nur unvollständig den Umriß einer liegenden Person. Das geronnene Blut hatte die komplette Zeichnung verhindert.

      Am Rand des Lichtkegels standen zwei Volvo Stationcars. Zivilbeamte verstauten Fotostative und große schwarze Ledertasehen. Vier, fünf andere umstanden im Halbkreis einen aufgeregt gestikulierenden Mann in einer karierten Tweedjacke. Sie mußte unerträglich warm sein an diesem milden Sommerabend.

      Holm ging auf die Gruppe zu. Der Mann in der Tweedjacke verstummte und drehte sich um.

      »Herr Holm?«

      »Das bin ich.«

      Der Polizist streckte die Hand aus und stellte sich als Kriminalinspektor Valdemar Henriksen vor.

      Die Armbanduhr des Inspektors piepte. Es war zwölf Uhr.

      »Gut, daß Sie nicht Seeland Rund1 gesegelt sind. Wir hätten Sie sonst mit einem Hubschrauber holen müssen.«

      Valdemar Henriksen trat aus dem Licht. Holm folgte ihm.

      »Ich denke, wir kommen nicht weiter, bevor wir uns nicht unterhalten haben. Können Sie uns das Büro aufschließen oder wollen wir aufs Präsidium?«

      »Ich und die Räume der Dantec stehen der Polizei zur Verfügung«, antwortete Holm. Es klang etwas zu servil.

      »Ausgezeichnet. Einer meiner Mitarbeiter kommt gleich. Ich möchte ihn als meinen Assistenten gern dabei haben.«

      Holm drehte sich zu den Männern der Spurensicherung um. »Sie haben den ganzen Platz absperren lassen. Haben Sie schon eine entscheidende Spur?«

      »Man weiß vorher nie, was entscheidend ist«, brummte Henriksen. Er dachte im Moment mehr an Winther als an die labortechnischen Untersuchungen.

      Henriksen war Vizekommissar, als Winther – damals noch ein grüner Kriminalassistent – ins Betrugsdezernat kam. Er hatte den langen Burschen mit dem Pferdegesicht gleich gemocht. Winther war so häßlich, daß er aus seinem Aussehen psychologische Vorteile hätte ziehen können. Aber das tat er nicht. Er erarbeitete sich seine Ergebnisse. Für Henriksen war es ein schwarzer Tag, als Winther das Polizeipräsidium verließ, um beim Geheimdienst anzufangen. Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen während des Weltbanktreffens in Kopenhagen wurden dort junge Leute gesucht. Die Kombination von Geheimdienstarbeit und möglicher Karriere war für Winther zu verlockend gewesen.

      Jetzt hatte Henriksen erfahren, daß Winther noch immer Kripoassistent war.

      Das Firmenschild an der Treppe war eher bescheiden, aber spätestens im Vorzimmer der Dantec war nicht mehr zu übersehen, daß es der Firma sicherlich nicht an Geld, zumindest aber nicht an guten Bankverbindungen fehlen konnte. Die Holzpaneelen und die Stuckdecke stammten noch aus der Zeit, als das Gebäude nur aus Herrschaftswohnungen bestand. Allerdings fehlten die Kronleuchter. Vermutlich waren sie verkauft worden, als man sich keine Dienstmädchen mehr leisten konnte. Kronleuchter hätten in diesen Raum vorzüglich gepaßt; die großen Arne-Jacobsen-Lampen aus Kupfer harmonierten jedoch mit den Möbeln aus Leder, Kunststoff und Stahl. Und mit der modernen Kunst an den Wänden. Gemälde in kräftigen, fast schreienden Farben. Frauenbeine in Stiefeln, die eine Treppe hinaufgingen;


Скачать книгу