Leo - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Elfe. Eva Haring-Kappel

Leo - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Elfe - Eva Haring-Kappel


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plötzlich sah ich ein großes schwarzes Tier, das langsam aus dem Wald heraustrat, und an seiner Seite schritt eine kleine, dickliche Gestalt.

      Ich warf das Fenster zu, zog die Vorhänge vor und kletterte zitternd unter meine Decke. Mein Herz hämmerte bis zum Hals. Fest kniff ich die Augen zusammen, während meine Gedanken wild durcheinanderjagten. Aber irgendwie muss ich trotzdem eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder öffnete, war es heller Tag.

      *

      *

      Kapitel 4

      Ein seltsames Geräusch hatte mich geweckt und es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, woher es kam. Jemand warf Steine gegen die Scheiben. Ich sprang aus dem Bett und zog die Vorhänge auf, da standen Georg, Benni und Wendel und winkten wie verrückt. Als ich das Fenster aufriss, hörte ich Georg schon schreien: „Was ist los, du ratzt noch friedlich vor dich hin? Komm, mach, beeil dich gefälligst ein bisschen, du weißt ja, was wir ihr versprochen haben.“

      „Pst ...“, machte Wendel und blickte sich ängstlich um.

      Ich fuhr in meine Kleider und rannte zu Großmutter in die Küche hinunter. „Setz dich hin und iss in Ruhe, euer Baumhaus rennt euch nicht davon“, begrüßte sie mich.

      Halbherzig biss ich ein paarmal von einem Marmeladenbrot ab, das sie mir gestrichen hatte, und nahm einen Schluck vom Tee.

      „Viel zu heiß!“, stöhnte ich, schnappte mir meinen Rucksack, den Oma schon gepackt hatte, gab ihr im Vorbeirennen noch einen Kuss auf die Wange und weg war ich.

      Wir hatten es ziemlich eilig, zu der Stelle im Wald zu kommen, wo die Eiche mit unserem halbfertigen Baumhaus stand und wo wir uns am Vorabend von Leo verabschiedet hatten.

      Sie watete gerade am Bachufer im flachen Wasser herum, als wir kamen, und Georg raunte mir zu: „Wird auch höchste Zeit, dass die sich mal ihre Füße wäscht.“

      „Das habe ich gehört!“, rief Leo, aber es klang sehr fröhlich.

      Die Elfe verbrachte den restlichen Tag damit, unser mitgebrachtes Essen zu verputzen und es dann unter einem Gebüsch schlafend zu verdauen. Wir plagten uns inzwischen mit dem Dach für das Baumhaus ab. Es war viel schwerer als befürchtet, die langen Bretter hochzuhieven und sie dann dort festzunageln. Es erforderte unsere ganze Kraft. Die Rampe, die wir gebaut hatten, war nicht hoch genug und so kletterten wir waghalsig auf der Eiche und dem Felsen hinter der Hütte herum. Ich war froh, dass uns von den Erwachsenen keiner sehen konnte. Zweimal musste ich mit dem Handkarren zum Hof der Großeltern zurück, um neues Material zu holen.

      „So“, seufzte der Großvater bei der zweiten Fuhre, „jetzt habe ich dann bald keine Bretter mehr.“

      Die Großmutter hatte mir in ihrer fürsorglichen Art frischen Kuchen mitgegeben. Die ganze Zeit, die ich mit den Brettern durch den Wald fuhr, freute ich mich schon darauf, ihn zu essen. Jeder von uns hatte zwar heute Morgen eine Menge Nahrung in seinem Rucksack von daheim mitgebracht, doch der Appetit der kleinen Elfe schien unstillbar. So war für uns wieder fast nichts übrig geblieben und bei jedem Bissen, den wir nahmen, hatte uns Leo vorwurfsvoll angestarrt, sodass uns bald der Hunger vergangen war. Doch jetzt am Nachmittag knurrte mein Magen.

      „Das ist ja wie in einem Diätferienlager“, dachte ich missmutig. Ich beschloss, falls Leo immer noch schlafen sollte, denn außer essen und schlafen hatte sie den ganzen Tag über nichts gemacht, den Kuchen heimlich mit den anderen zu teilen und rasch zu essen.

      Da die Elfe, als ich ankam, nirgends zu sehen war, hielt ich die Plastikdose hoch und rief mit gedämpfter Stimme: „Kommt, den verputzen wir schnell, bevor sie aufwacht, sonst bleibt wieder nichts für uns über!“

      „Zu spät“, mischte sich eine inzwischen vertraute schrille Stimme direkt hinter mir ein. „Das würde dir so passen, ich möchte auch was von der süßen Speise. Du weißt ja hoffentlich inzwischen, dass ich euer Essen riechen kann, und das hier riecht besonders köstlich.“

      Missmutig sahen wir also dabei zu, wie Leo den Großteil des Kuchens verputzte.

      „Die erinnert mich an ein gefräßiges Walross“, flüsterte Benni an meinem Ohr.

      „Wenn sie so weiterisst, schaut sie auch bald so aus“, brummte ich.

      Georg schwieg, was verdächtig war, denn normalerweise ist er derjenige, der den Mund nicht halten kann. Ich blickte besorgt zu ihm hinüber, doch da platzte es auch schon aus ihm heraus: „Vielleicht bist du gar keine Elfe, sondern ein böses Alien, das beschlossen hat, uns auszuhungern. Und wenn wir dann ganz schwach geworden sind, tötest du uns und frisst unsere Gehirne.“

      „Pfui!“, schrie Leo und spuckte dabei Kuchenbrösel durch die Luft. „Was bist du dumm! Es würde sich gar nicht lohnen, dein Gehirn zu essen.“

      Alle lachten, nur ich musste plötzlich daran denken, was ich gestern Nacht beobachtet hatte. Eben, als sie laut mit Georg geschimpft und dabei den Mund so weit aufgerissen hatte, hatte sie zwei Reihen winziger, spitzer Zähne entblößt, die mich stark an das Gebiss eines jungen Hundes erinnerten. Mir war ziemlich unbehaglich zumute, doch den anderen schien nichts aufgefallen zu sein.

      „Das Baumhaus ist fertig“, wechselte ich daher das Thema, um mich wieder auf andere Gedanken zu bringen. „Du hast jetzt ein Dach über dem Kopf, kannst heute Nacht ruhig schlafen und musst nicht umherwandern.“ Das war eine Bemerkung, die nur ich und sie verstehen würden, wenn ich mich gestern Abend nicht getäuscht hatte.

      Leo schaute mich mit ihren dunklen Augen lange an, dann lächelte sie und schüttelte fast unmerklich ihren Kopf. „Ja, es ist schön geworden, aber ich muss noch einiges daran machen. Ihr könnt jetzt nach Hause gehen.“ Das war der Gipfel, sie hatte bis jetzt keinen einzigen Handgriff getan und nun redete sie so, als wäre sie Bob der Baumeister persönlich!

      Müde beluden wir den Karren mit den Werkzeugen und den Holzabfällen.

      „Wie soll es denn jetzt weitergehen?“, fragte Georg Leo schließlich, bevor wir uns auf den Heimweg machten.

      „Morgen früh, um dieselbe Zeit wie bisher, erwarte ich euch hier, wir werden dann besprechen, wie es weitergeht. Und vergesst nicht, etwas zu essen mitzubringen. Ihr könnt ja für euch auch was einpacken. So, nun wünsche ich euch eine gute Nacht und, Felix, mach nur immer dein Fenster fest zu!“

      „Was hat sie denn damit gemeint?“, wollten die anderen auf dem Heimweg von mir wissen.

      „Hab keine Ahnung“, log ich, aber mir war nicht wohl in meiner Haut. Ich glaube, die Großeltern merkten beim Abendessen auch, wie einsilbig ich war, und machten sich ihre Gedanken.

      Als ich schon im Bett lag, kam Opa zu mir ins Zimmer und setzte sich neben mich. „Es ist so ein schöner lauer Abend, magst du nicht ein bisschen das Fenster aufmachen?“, meinte er mit einem Blick auf die fest geschlossenen Vorhänge.

      „Nein“, murmelte ich, „mir ist sonst kalt.“

      Besorgt fühlte er meine Stirn. „Du wirst doch nicht krank, oder?“, fuhr er mit forschendem Blick fort. „Ich kann mich doch auf dich verlassen? Ihr macht im Wald keinen Blödsinn, oder?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ganz bestimmt nicht!“ Ich versuchte, fröhlich zu klingen.

      „Ich glaube, ich komm euch morgen einmal besuchen.“ Damit stand Opa auf, an der Tür sagte er noch: „Schlaf recht gut und träum was Schönes.“ Dann schloss er sie leise hinter sich.

      Obwohl ich furchtbar müde war, konnte ich jetzt natürlich nicht einschlafen. Eigentlich wusste ich, dass man alles mit seinen Eltern besprechen sollte, und wenn die nicht da waren, so wie jetzt in den Ferien, dann mit den Großeltern. Aber würde mir überhaupt jemand glauben? Ich hatte Angst, dass der Zauber womöglich vorbei


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