Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt


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Einblick in die entsprechende Fachliteratur.2 Bereits Collins selbst hat dies angemahnt: „We will await responses within German theology and ecclesiastical administration with interest. Meanwhile, the serious business of what diakonia means for church and theology is not yet determined.“3 Denkbar ist darum eine Diskussion des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff aus diakoniewissenschaftlicher Perspektive, die die exegetischen Einsichten kritisch aufnimmt und für ihre eigene Perspektive fruchtbar macht. Erschwert wird die konsequente Aufnahme und Durchführung dieses Diskurses durch ein Faktum, auf das ebenfalls bereits Collins aufmerksam gemacht hat: Die Verankerung und feste Prägung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff im deutschsprachigen Raum, die auf soziales Handeln enggeführt zu sein scheint.4 Dadurch ist es schwierig, diese geprägte Begrifflichkeit einer wissenschaftlich-theologischen Revision zu unterziehen, die eine differierende Begriffsverwendung zur Folge haben könnte.5 Zugleich ist aber auch deutlich zu machen, dass eine derartige Diskussion aus exegetischer Perspektive notwendig ist und zur Klärung aktueller Fragen beitragen könnte.

      4. Zusammenfassung

      Die drei durchgeführten Annäherungsversuche an das Thema „Diakonie“ aus diakonischer, empirischer und forschungsgeschichtlich-fachwissenschaftlicher Perspektive haben deutlich gemacht, dass der Umgang, die Verwendung und das Verständnis des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff einige Schwierigkeiten bereiten und keineswegs einheitlich sind. Gerade auch die neueren Studien von Hentschel und Collins haben gezeigt, dass der neutestamentliche Gebrauch von διακονέω und seinen Derivaten nicht auf einen konkreten deutschen Begriff zu bringen ist. Auch im Licht empirischer Studien zeigt sich, dass die mit dem deutschen Begriff verbundene ErwartungshaltungErwartungshaltung nicht mit seinem semantischen Ursprung korreliert. Vor dem Hintergrund der V. KMU und der dargestellten Ergebnisse von Collins und Hentschel drängt sich die Frage nach dem Verständnis des Begriffs „Diakonie“ und die Frage nach seiner Begründung auf. Diese Frage bringt Hauschildt gar zu der Aussage, „Diakonie ist in besonders hohem Maße ein Interpretationsbegriff.“1

      Die Annäherungsversuche machen zudem ein weiteres Problem im Umgang mit dem DiakoniebegriffDiakoniebegriff deutlich: Die Verschränkung der verschiedenen theologischen Disziplinen. Neben den exegetischen Befund müssen auch systematisch-theologische Überlegungen treten, um eine tragfähige Begriffsbestimmung herauszuarbeiten und zu etablieren. Um diesen Begriff praktisch fruchtbar zu machen und seine Potenziale angemessen darzustellen, wäre sodann die praktisch-theologische Ebene in das Gespräch einzubeziehen. Erst aus dieser Perspektive kann in Gänze deutlich werden, welche Relevanz der Begriff für die Gegenwart besitzt, ohne ihn von vornherein auf eine bestimmte praktische Gestalt festlegen zu wollen.

      Vor diesem Hintergrund verstehen sich die im Rahmen der Annäherungsversuche angesprochenen Frageperspektiven und Desiderate zwar als Ausgangspunkte einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema „Diakonie“. Sie bilden jedoch nicht vollständig den Fundus der zu bearbeitenden Frageperspektiven dieser Studie. Vielmehr zeigen sie die Gemengelage auf, in der sich eine exegetisch fundierte Auseinandersetzung mit „Diakonie“ zu verorten hat sowie welche Untersuchungen und Ergebnisse dieser Studie vorausgehen und bereits zugrunde liegen. Unter diesen Voraussetzungen wird auch deutlich, dass die Beschäftigung mit dem Thema primär die Gewinnung exemplarischer Erkenntnisse mit sich bringen wird, da sie zunächst auf einen Teilbereich der Theologie beschränkt ist.

      Letztlich bilden die Annäherungsversuche eine Momentaufnahme ab, die das gegenwärtige Verständnis von „Diakonie“ unter verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Bereichen (Diakonie, Gemeindewirklichkeit und Wissenschaft) darstellt. Insofern sind die mit dieser Zusammenfassung abgeschlossenen Kapitel auch als eine Materialsammlung zu verstehen, die die Möglichkeit eröffnet, weiter in den Themenbereich vorzudringen und die aufgezeigten oder andere Fragestellungen zu bearbeiten. Damit werden die Annäherungsversuche ihrem exemplarischen und deskriptiven Selbstanspruch gerecht und können ein Ausgangspunkt weiterer Arbeit im Bereich der Diakonik als Teil theologischer Wissenschaft sein.2

      Ausgehend von den bisher gewonnenen Erkenntnissen ergeben sich ausgewählte Leitfragen, die die folgende Untersuchung des epigraphischen Materials und der neutestamentlichen Texte leiten:

      1 Wenn nach den Annäherungsversuchen offen bleibt, was das spezifisch christliche der „Diakonie“ ist, stellt sich die Frage nach deren Proprium.

      2 Ist die LebenshingabeLebenshingabe Jesu (Mk 10,45Mk 10,45) als dieses Proprium und Inhalt christlicher „Diakonie“ in Frage zu stellen, ist außerdem zu überlegen, was Menschen dazu motiviert, „diakonisch“ zu handeln.

      3 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach weitergehenden BegründungszusammenhängenBegründungszusammenhang. Müssen dazu auch biblische Perikopen Beachtung finden, die keine Belege für das Lexem und seine Derivate besitzen?3

      4 Nachdem deutlich wurde, dass der Fokus des griechischen Lexems διακον- nicht primär auf dem Feld sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich liegt, stellt sich die Frage nach den HandlungsvollzügenHandlungsvollzüge, die sich mit „Diakonie“ verbinden lassen.

      5 Und daran anschließend ist zu fragen, ob es sich bei „Diakonie“ um ein genuin christliches Phänomen handelt oder auch in paganen Kontexten von „Diakonie“ gesprochen werden kann.4

II. „Diakonie“ und Vereinigungen

      1. Vorbemerkungen

      1.1 Einführung

      Im zweiten Abschnitt dieser Studie liegt der Fokus auf einer Darstellung der sozialgeschichtlichen Umwelt des Neuen Testaments, exemplarisch fokussiert auf das antike VereinigungswesenVereinigungswesen. Ziel dieses Abschnitts ist eine exemplarische Skizzierung der paganen gesellschaftlichen Kultur sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich innerhalb geschlossener bzw. organisierter Gruppen, als Voraussetzung für den Vergleich (Abschnitt III) mit der neutestamentlichen Praxis bzw. Literatur. Primär fokussiert sich diese Untersuchung auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der SozialstrukturSozialstruktur von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden. Mit diesem Vergleich soll das Proprium einer christlichen Kultur sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich genauer gezeichnet werden. Von besonderer Relevanz ist die Frage nach der Begründung und dem Adressatenkreis dieses Handelns. Dabei ist zu überprüfen, ob das Christentum OrganisationsformenOrganisationsform und Begründungszusammenhänge für sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich aus der antiken Umwelt übernommen und transformiert hat.

      Die Bedeutung einer solchen sozialgeschichtlichen Vorgehensweise hat bereits Eva Ebel herausgestellt: „Da ein Verein ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen ist, die sich regelmäßig treffen, um gemeinsam kultische Handlungen zu vollziehen, miteinander zu essen und Geselligkeit zu genießen, liegen die Parallelen zwischen dem paganen Vereinigungsleben und dem GemeindelebenGemeindeleben der ersten Christinnen und Christen auf der Hand. […] Kaum ein anderes Phänomen ermöglicht so detaillierte Einblicke in alltägliche und weit verbreitete Freizeitaktivitäten antiker Menschen und damit in die Erfahrungen und Erwartungen, mit denen sie dem neuen Angebot der Christinnen und Christen begegnen.“1 Die vorliegende Arbeit verfolgt eine vergleichbare Aufgabenstellung und Zielbeschreibung. Ziel des Vergleichs ist es, „die christlichen Gemeinden in den Markt der religiös-geselligen Möglichkeiten der Antike einzuzeichnen und so das besondere Profil der Gemeinschaft der Christinnen und Christen herauszuarbeiten.“2 Im speziellen Fall dieser Studie ist das Profil auf den sozialen Bereich zu fokussieren.

      Auch Udo Schnelle hat unlängst noch einmal auf die Interdependenzen zwischen dem frühen Christentum und der antiken Umwelt hingewiesen: „Ein neues kulturelles System wie das frühe Christentum konnte nur entstehen, weil es in der Lage war, sich mit bestehenden kulturellen Strömungen zu vernetzen und Neuorganisationen von Vorstellungen und Überlieferungen vorzunehmen.“3 Weil mit großer Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Christinnen und Christen der frühen christlichen Gemeinden aus verschiedenen kulturellen Kontexten und sozialen Bezügen stammen (vgl. als biblische Anhaltspunkte u.a. Apg 2Apg 2; Gal 3,26–29Gal 3,26–29; 1Kor 71Kor 7; Brief an PhilemonPhilemon), spielen besonders sozialgeschichtliche Wahrnehmungen eine wichtige Rolle für die Frage nach der Herausbildung von


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