Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
MissionMission […] nur unter der Voraussetzung erklären, dass eine hohe Anschlussfähigkeit in Bezug auf die jüdischen und griechisch-römischen Traditionsströme bestand.“4 In Bezug auf die Frage nach den Schnittstellen zwischen christlicher Gemeinde und antiken Vereinigungen kann diese These in der Frage weitergeführt werden, inwieweit das Christentum bestehende Denk- und Handlungsmuster aufgegriffen oder adaptiert hat.
Dass die Etablierung des Christentums innerhalb vorhandener Strukturen nicht immer reibungslos verlief, bezeugt eine Erzählung der Apostelgeschichte des Lukas, die zugleich die voranstehenden Ausführungen zum Zusammenhang von frühen Gemeinden und Vereinigungen veranschaulicht.5 Apg 19,23–40Apg 19,23–40 berichtet von einer Auseinandersetzung zwischen christlichen Missionaren, namentlich Missionsgefährten des PaulusPaulus (Apg 19,29Apg 19,23–40) und einer Gruppe von Menschen aus dem Berufsstand der ἁργυροκόποι, der Silberschmiede. Gruppiert sind sie und ihre Zulieferer um einen Mann mit dem Namen Demetrius, dessen Stellung umstritten ist, obgleich ihn die Apostelgeschichte als Rädelsführer des Aufruhrs gegen die christlichen MissionareMissionar zeichnet.6 Deutlich wird darin auch, dass es sich wenigstens um das Auftreten einer Interessensvereinigung handelte, deren MitgliederMitglied durch ihre berufliche Ausrichtung verbunden waren. Auch vor dem Hintergrund vergleichbarer Quellen, wäre ebenfalls eine Deutung als BerufsvereinigungBerufsvereinigung oder Handwerkszunft als besondere Form einer Vereinigung denkbar.7 Apg 19,25Apg 19,23–40 lässt dabei aber offen, ob sich die VersammlungVersammlung erst durch den Akt des Zusammenrufens situationsbedingt konstituierte oder ob der beschriebene Personenkreis bereits anderweitig organisiert ist und er einen Bestand über die konkrete Situation hinaus hat.8 Im Hintergrund des Aufruhrs ist ein Interessenskonflikt anzunehmen, der seinen Ausgangspunkt zwar bei einer theologischen Frage nimmt, seine Gestalt und sein Hauptproblem jedoch im ökonomischen Bereich findet: Einen Verdienstausfall der Silberschmiede durch die vermeintliche Verdrängung des Diana-Kults aufgrund der christlichen VerkündigungVerkündigung (vgl. Apg 19,24–27Apg 19,23–40). Und damit einhergehend der mögliche Verlust von Status und sozialem Ansehen. In der Gruppe der ephesischen Silberschmiede steht der christlichen MissionMission ein Globalplayer gegenüber: Zielt Paulus noch darauf ab, mit seiner MissionMission in RomRom und darüber hinaus zu missionieren (Apg 19,21Apg 19,21), so ist der Dianakult nach Aussage des Demetrius bereits über den gesamten Erdkreis verbreitet und bekannt (Apg 19,27Apg 19,23–40). Der Auseinandersetzung wird dadurch eine Bedeutung über den konkreten Fall in EphesusEphesus hinaus zugesprochen. Illustriert wird die Bedeutsamkeit durch den Zug der städtischen Bevölkerung zum Theater, das als zentraler Versammlungsplatz der Bürgerschaft angesehen werden kann.9 Somit wird der Konflikt aus dem Interessensbereich einer bestimmten Personengruppe herausgehoben und zu einer gesamtstädtischen Angelegenheit transformiert. Im Rahmen der Theaterszene spricht als Vertreter dieser AutoritätAutorität ein γραμματεύςγραμματεύς zur aufgeregten Bevölkerung, gebietet ihr Einhalt und entlässt die VersammlungVersammlung. Einerseits geschieht dies mit dem Verweis auf die Unschuld der im Mittelpunkt der Anschuldigung stehenden Christen (Apg 19,37Apg 19,23–40), andererseits mit dem Hinweis auf die mögliche Konsequenz des Verhaltens der Stadtbevölkerung, einer Anklage bzw. Anschuldigung der Störung der öffentlichen Ordnung. Im Hintergrund der Aussage von Apg 19,40Apg 19,23–40 dürfte eine als realistisch anzusehende Befürchtung eines militärischen Eingreifens römischer Truppen zur Beruhigung der Situation in EphesusEphesus gesehen werden. Schinkel weist daraufhin, dass „der Text wenig aussagekräftig im Blick auf den konkreten Streitfall in Ephesos [sei, er jedoch] […] eine dem Leser sehr wohl präsente und historisch belegbare politisch-rechtliche Problematik im Blick auf Vereinigungen [nutzt], deren Aktivitäten sich über die eigentliche Abzweckung hinaus verändern und zu einer Bedrohung für die öffentliche Ordnung zu werden drohen.“10 Wie sich noch zeigen wird, ist die „Verteidigung der bestehenden Identifikationsmöglichkeiten und [die] Abgrenzung von den Elementen, die den IdentitätsverlustIdentität befördern könnten“11, ein Charakteristikum antiker Vereinigungen. Insofern verbinden sich in der lukanischen Überlieferung neben ökonomischen und religiösen Fragestellungen auch sozio-kulturelle Perspektiven. Die sich aus der Unruhe und Zusammenkunft ergebenden Fragen werden abschließend in rechtlichen Kategorien verhandelt (Apg 19,37–40Apg 19,23–40) und verschaffen der Perikope eine weitere Bedeutungsdimension.12 Eine Sinnrichtung der Demetriosepisode ist also in der Darstellung eines Konflikts zu sehen, der ein historisches Problemfeld illustriert, das sich durch die Entstehung und Verbreitung christlicher Gruppen innerhalb der städtisch-antiken Gesellschaft ergab.13
In sozialgeschichtlicher Perspektive liegen die Parallelen zwischen der Situation der frühen Christen und der gegenwärtigen Situation und aktuellen Fragestellungen implizit auf der Hand und fordern zu einer Verhältnisbestimmung auf: Mussten sich die jungen christlichen Gemeinden gegenüber einer paganen Umwelt etablieren und entfalten, sieht sich das gegenwärtige Christentum vielfältigen Anfragen einer zunehmend säkularen Gesellschaft ausgesetzt.14 Auch im Bereich von „Diakonie“ und Diakonik – so haben es die Annäherungsversuche gezeigt – muss sich das christliche sozial-fürsorgliche Handeln gegenüber anders begründeten Formen sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich etablieren.
1.2 Formale Hinweise
Mit der avisierten Vorgehensweise ist eine Vielzahl von methodologischen und strukturellen Herausforderungen verbunden, die eine vorausgehende Reflexion erforderlich machen.1 Alle Problembereiche sind unter der Trias Zeit – Raum – Grenzen greif- und behandelbar.
1.2.1 Zeit
Unter dem Begriff der Zeit ist zu fragen, aus welchem Zeitraum die zu betrachtenden Quellen sinnvollerweise stammen müssen bzw. stammen sollten. Die bereits zitierte Monographie von Udo Schnelle skizziert z.B. den Weg des Christentums im Zeitraum zwischen 30 und 130 n. Chr. Als Ausgangspunkt seiner Darstellung wählt er das Todesjahr Jesu, das er als Startpunkt der „neuen Bewegung der Christusgläubigen“1 beschreibt. Markus Öhler hingegen beendet seine Darstellung der Geschichte des frühen Christentums mit dem Jahr 135 n. Chr., in dem der „2. Judäische[…] Aufstand“2 endete. Für die vorliegende Fragestellung kann dieser Zeitraum noch weiter ausgezogen werden und muss auf kein absolutes Datum begrenzt werden. Vielmehr ist der Gedanke im Blick zu behalten, dass die christliche Auseinandersetzung mit dem antiken Vereinigungs- und Verbandswesen sowie sozial-fürsorglichen Vollzügen nur plausibel erscheint, wenn den genannten Vollzügen und Vereinigungen auch eine weitgehende gesamtgesellschaftliche Anerkennung zukommt und sie einen gewissen geographischen Verbreitungsgrad erreicht haben.3 Vor diesem Hintergrund ist ein verlängerter Zeitraum der Betrachtung vorzuschlagen und als konkreter heuristischer Untersuchungszeitraum eine Periode von 400 Jahren zu nennen – angefangen im zweiten vorchristlichen Jahrhundert bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus.4 Dieser Zeitraum nimmt den o.g. Gedanken der gesellschaftlichen Etablierung auf, sodass auch eine Auseinandersetzung der frühen christlichen Gemeinden mit verschiedenen Phänomenen des antiken VereinigungswesensVereinigungswesen denkbar erscheint. Zugleich umfasst er notwendigerweise den Entstehungszeitraum der neutestamentlichen Schriften, die als Vergleichscorpus zu den Zeugnissen der Vereinigungen dienen. Eine weitere Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes bis in das dritte Jahrhundert nach Christus ist darum als nicht sinnvoll zu erachten, insofern keine Untersuchung des Einflusses der antiken Umwelt auf die neutestamentlichen Schriften mehr durchführbar ist. Ab diesem Zeitpunkt wäre vice versa die Fragestellung auf die Frage nach christlichen Einflüssen auf die griechisch-römische Gesellschaft zu stellen. Den Quellen muss mithin eine temporäre Plausibilität eigen sein.
1.2.2 Raum
Mit dem Begriff des Raumes werden mehrere Problemhorizonte und Frageperspektiven angesprochen: Im engen Verständnis des Worts ist zu reflektieren, aus welchen geographischen Gebieten die untersuchten Quellen stammen und ob sie aufgrund ihrer geographischen Lokalisation einen Einfluss auf die Gemeinden der neutestamentlichen Schriften bzw. ihrer Autoren haben konnten. Dieses Kriterium wird nachfolgend mit dem Begriff der geographischen Plausibilität beschrieben. Der Nachweis einer vorhandenen MobilitätMobilität wird zuvor im Rahmen der historischen Problemskizze erbracht.1
Weiterhin ist zu fragen, ob sich die Art der in den Quellen beschriebenen sozialen Vollzüge