Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
beziehen ist, sich jedoch nicht in diesen Aufgaben erschöpft.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Hentschel ergeben sich exemplarisch folgende vier Frageperspektiven bzw. Denkhorizonte zu einer möglichen Weiterarbeit:
1 Mit dem Verständnis der Teilhabe an einer abgeleiteten AutoritätAutorität ergibt sich ein Spannungsfeld, insbesondere vor dem Hintergrund der von Hentschel dargestellten metaphorischen Bedeutung der Mahlszenen bei Lukas. Wie kann der Gedanke der Autoritätszuschreibung zusammengedacht werden mit der ihr vorauslaufenden niedrigen Aufgabe einer bei Tisch bedienenden Person? Ist der Aspekt der Niedrigkeit als eine innere Einstellung aufzufassen, die das mit AutoritätAutorität verbundene AmtAmt als beauftragten Dienst mit Ursprung im freien Willen Gottes erkennt und es insofern zu seiner EhreEhre ausführt?
2 Plausibel erscheint eine Bedeutungsbestimmung des Lexems als „BeauftragungBeauftragung“. Diese Bestimmung zeichnet das Lexem als ein BeziehungsgeschehenBeziehungsgeschehen zwischen beauftragter Person und Auftraggeberin bzw. Auftraggeber aus. Damit wird aber auch deutlich, dass „Diakonie“ einen denkbar weiten Raum bezeichnet, der in sich Tätigkeiten verschiedenster Art vereint und im Prinzip keine Fokussierung auf ein bestimmtes Aufgabenfeld erfährt. Daran anschließend wäre zu fragen, was dieser Ertrag für das gegenwärtige Verständnis diakonischen Handelns bedeute. Beispielsweise wäre in Bezug auf eine institutionalisierte Diakonie zu erwägen, wie der Gedanke der BeauftragungBeauftragung seine praktische Umsetzung innerhalb des alltäglichen Diensts erfährt. Inwiefern können sich Mitarbeitende diakonischer WerkeDiakonische Werke und Verbände überhaupt als Beauftragte verstehen und sich innerhalb eines AbhängigkeitsverhältnissesAbhängigkeitsverhältnis verorten, dem über dienstrechtliche Aspekte hinaus weitere theologische Dimensionen inhärent sind.
3 Ferner erscheint besonders der Gedanke einer abgeleiteten AutoritätAutorität der bzw. des diakonisch Handelnden fruchtbar für eine Weiterarbeit zu sein. Zu fragen wäre, ob diesem Gedanken eine Relevanz innerhalb der aktuellen diakoniewissenschaftlichen Forschungslandschaft, bzw. noch drängender, in der diakonischen Praxis zukommt und inwieweit er in diesen Kontexten problematisiert und thematisiert wird. Zumindest würde sich diese Frage nahelegen, da sich z. B. Beziehungskonstellationen innerhalb einer Pflegesituation asymmetrisch darstellen, weil der zu Pflegende auf die ZuwendungZuwendung der Pflegerin bzw. des Pflegers angewiesen ist. Selbstverständlich ergibt sich die Fragestellung auch in Bezug auf den gemeindeleitenden Aspekt der „Diakonie“. Besonders eindrücklich erscheint zunächst der Hinweis, dass die Rede vom „Dienst“ zur faktischen Verschleierung von MachtMacht- und AbhängigkeitsverhältnissenAbhängigkeitsverhältnis dienen könne und die Möglichkeit der Vertuschung ihres Missbrauchs gegeben ist. Zugleich ist aber auch festzuhalten, dass auch die Bezeichnung „BeauftragungBeauftragung“ dazu verwendet werden kann, MachtMacht- und AbhängigkeitsverhältnisseAbhängigkeitsverhältnis zu kaschieren. Darum wäre weiterführend zu überlegen, ob die Rede von einer „BeauftragungBeauftragung“ wirklich einen Gewinn gegenüber der Rede vom „Dienst“ besitzt. Vor diesem Hintergrund kann in dieser Fragestellung ein Desiderat gesehen werden, sofern sie auf aktuelle diakonische Vollzüge Anwendung findet.4
4 Hentschel selbst benennt in ihrer zweiten Studie zum Themenbereich der neutestamentlichen Ekklesiologie als Forschungsdesiderat eine „dringend notwendige Diskussion über grundlegende Fragen zum AmtsAmt- und Gemeindeverständnis im Neuen Testament und der Alten Kirche“5, beispielsweise hinsichtlich der „Vorstellung von der Sendung Christi […] und nicht zuletzt von der Rolle der Amtsträgerinnen und AmtsträgerAmtsträger.“6 Diese Diskussion ergebe sich aus der Verwendung von διακονέω und seinen Derivaten in ekklesiologisch relevanten Texten, die je nach Kontext verschiedene Implikationen in Bezug auf die ÄmterAmt und ihr Verständnis innerhalb der urchristlichen Gemeinde besitzen würden – wie die vorangehenden Ausführungen bereits gezeigt haben. Eine derartige Diskussion könne sodann auch für ein aktuelles Verständnis von „Diakonie“ fruchtbar gemacht werden und kritisch die verbreitete Annahme untersuchen, „dass diakonia und seine Ableitungen den TischdienstTischdienst sowie niedrige Frauen- und Sklavendienste bezeichnen.“7
Entscheidend ist Hentschels Wahrnehmung, dass die Bedeutung von διακονέω und seinen Derivaten stark vom Kontext abhängig sei.8 Eine sachgemäße Übersetzung des Begriffes in die deutsche Sprache ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und habe ein breites BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum zu erfassen. Vor diesem Hintergrund kann nicht nur ein Aspekt aus diesem Spektrum als Grundbedeutung erhoben werden. „Eine sachgemäße Interpretation von diakonia und seinen Ableitungen zeigt, dass der Bezug zwischen Wort und Tat, GlaubeGlaube und Lebensweise im Neuen Testament viel enger ist und deutlich differenzierter beurteilt wird, als eine Aufteilung in Verkündigungsamt und Diakonie nahelegen.“9
3.4 Collins’ Auseinandersetzung mit Hentschel
2014 hat John N. Collins unter dem Titel „Diakonia Studies. Critical Issues in Ministry“ einen Sammelband veröffentlicht, der auch eine Rezension zur vorgestellten Studie von Anni Hentschel enthält. Collins wünscht der Studie zunächst Erfolg, weil sie geprägte Begründungsmuster hinterfragen würde. Zugleich sei die Infragestellung dieser Begründungzusammenhänge ein Spezifikum der exegetischen Wissenschaft im deutschsprachigen Raum, weil der Begriff „diakonia“ in der englischen Sprache keinen vergleichbaren Bekanntheitsgrad besitzen würde: Der Begriff „never attained […] the iconic status enjoyed by the central European diakonia.“1 Somit führe die Erkenntnis, dass die „Diakonie“ des PaulusPaulus keine SelbsterniedrigungSelbsterniedrigung und –aufopferung darstelle, zu einer größeren Aufmerksamkeit bzw. einem „mixed chorus of incredulity, protest, and perhaps dismay before this dismantling of one of the key constructs within modern Lutheran an Reformed ecclesiology and spirituality.“2 Collins konstatiert, dass Hentschel seine Ergebnisse weitestgehend teile, sie jedoch „the mandated character of the activities“3 stärker betone, während er eher den Aspekt der „VermittlungVermittlung“ herausgearbeitet habe. Nicht notwendigerweise seien die entsprechend bezeichneten Tätigkeiten mit einem niedrigen Status in Verbindung zu bringen. Auch in Bezug auf die Auswertung und das Verständnis von Mk 10,45Mk 10,45 würden beide übereinstimmen. Demgemäß kann Collins festhalten: „[…] we have a concurrence of informed evaluation of diakonia that demands a reconsideration of much of the ecclesiology of these last fifty years.“4
Differenzen sieht Collins hinsichtlich der von Hentschel anhand Lk 10Lk 10 und Apg 6Apg 6 gezeichneten Stellung von Frauen sowie beim Verständnis von Phil 1,1Phil 1,1; 1Kor 12,51Kor 12,5 und Eph 4,12Eph 4,12. Er fragt, ob diese Differenzen auf Hentschels Ansinnen zurückzuführen seien, „public roles for women in early Christian communities (as in her interpretation of Phil. 4:2–3)“5 zu etablieren. Die damit verbundenen Differenzen sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft, jedoch zumindest wahrgenommen werden, zumal Collins trotz der angezeigten Differenzen zu einem eindeutigen Ergebnis kommt. Anhand der Übereinstimmungen in der Lesart von z.B. Mk 10,45Mk 10,45; Lk 22,27Lk 22,27; Röm 15,25Röm 15,25; Apg 11,29Apg 11,29; Apg 12,25Apg 12,25 etc. werde deutlich, dass ein Verständnis von διακονέω im Sinne von karitativen Tätigkeiten nicht treffend sei.6 An dieser Stelle seien die kongruenten Ausführungen von Collins und Hentschel „a remarkable testament to the long-hidden and much too lightly ignored rhetorical and theological value of this small group.“7 Damit sei aber, so Collins, keineswegs gesagt, dass die ernsthafte Arbeit an der Bedeutung des Lexems bereits abgeschlossen sei.
3.5 Ergebnisse
Die forschungsgeschichtliche Annäherung hat gezeigt, dass es innerhalb der exegetischen Forschungslandschaft verschiedene Verstehensmöglichkeiten für διακονέω und seine Derivate gibt. Es gibt mithin aus exegetischer Perspektive keine einheitliche Begriffsbestimmung, die für den neutestamentlich-diakoniewissenschaftlichen Diskurs zu verwenden wäre. Stattdessen ist die Vielgestaltigkeit von διακονέω und seinen Derivaten anzuerkennen und die Weite seines Bedeutungsraumes zu kommunizieren, ohne das Lexem auf einen bestimmten Bereich kirchlichen Lebens zu fokussieren.
Weiterhin ist festzuhalten, dass der gegenwärtige exegetische Diskurs nur einen geringen Widerhall in der neuen diakoniewissenschaftlichen Fachliteratur findet. Diesen Eindruck formulierte Hans-Jürgen