Prinzessin Christine. Helle Stangerup

Prinzessin Christine - Helle Stangerup


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gehorsame Ehefrau zu sein.

      Das erwartete der Kaiser von ihr und ebenso ihre Tante, auch ihre tote Tante und ihre tote Mutter.

      Christine wies ihre Damen an, sie allein zu lassen. Sie saß auf der Terrasse, bis sich die kühle Abendluft über den schönen Garten von Cussago legte und die Labyrinthe, die gestutzten Büsche und die Zitronenbäume in den Kübeln wieder lange Schatten warfen.

      Als sich Christine endlich erhob, war sie kein Kind mehr. Mit einem Schritt hatte sie ein dunstiges Niemandsland betreten, das vor der Welt der Erwachsenen lag.

      Ein Feuerwerk erhellte den Himmel über Mailand. Die Raketen versprühten weißen Sternenregen über das Volk. Neue Raketen schossen in den Himmel und machten die Nacht so laut und festlich, wie der Tag gewesen war.

      Christine fühlte sich benommen, verwirrt und erschöpft von den Eindrücken. Alles war farbig, die Hausmauern rot, gelb und orange, die Menschen bunt gekleidet, der Adel in Gold und Silber, die wehenden Federbüsche, Standarten und Banner. Für einen kurzen Augenblick erkannte sie die Worte auf den großen Transparenten:

      »Der weiseste Fürst ehelicht an diesem Tag die schönste Jungfrau und gibt uns das Versprechen ewigen Friedens.«

      Es war drückend heiß, und Staub wurde von den Hufen der Pferde aufgewirbelt. Sie hatte lächelnd Tausende von Blicken erwidert, dunkle Kinderaugen und Frauen mit geschminkten Gesichtern und gelbem, gefärbtem Haar. Sie hatte den Geruch nach Schmutz, Knoblauch und feuchten Kalk eingeatmet, während sich das Läuten der Kirchenglocken und das Dröhnen des Kanonendonners vermischte mit dem »Viva, Viva ...« der Massen.

      Christine war an diesem Tag kein Zuschauer. Sie war der Mittelpunkt, und die Welt um sie schaute zu. Während des abendlichen Banketts waren alle Augen auf sie gerichtet.

      Bei jedem Gedeck hatte man die Serviette wie eine Krone gefaltet. Christine griff nach der ihren. Für einen Moment schien sich die Serviette zu bewegen, und als sie am Zipfel zog, flog ein kleiner, lebendiger Singvogel aus dem weißen Damast. Christine schrie vor Freude kurz auf, und im selben Augenblick hoben sich Hunderte von Singvögeln unter dem Jubel der Gäste in die Lüfte. Sie kreisten an der Decke und entschwanden schließlich durch die geöffneten Türen und Fenster in die Freiheit.

      Wein aus der Toscana wurde in Gläser mit dem farbig emaillierten Wappen der Sforzas geschenkt. Christine kostete Früchte, von denen sie noch nie gehört hatte, und bekam vergoldete Pfaue serviert und Forellen in Silberglasur mit Scheiben eines roten Gemüses aus der neuen Welt, das jetzt in Süditalien angebaut wurde und Tomate hieß.

      An Christines Seite saß am vornehmsten Platz der Herzog von Mailand. Er hatte sie vor dem Palast empfangen. Die Schlüssel der Stadt wurden ihr überreicht, während sie noch zu Pferd saß, und als sie abstieg, stürzte die Volksmenge vor, faßte nach dem Baldachin der Sänfte und zerriß ihn, um mit einem Fetzen des Stoffes eine Erinnerung an den Tag zu haben, an dem sie ihre Herzogin begrüßt hatten.

      Beherrscht und ruhig reichte sie ihrem alternden Gemahl die Hand und wurde in eine riesige Zitadelle geführt. Er führte sie durch Säle und Gemächer. Sie spürte Freundlichkeit in der Stimme, als er sie den wichtigsten Personen des Hofes vorstellte, und ahnte sein Lächeln, als sie später ihre Verwunderung zeigte über die neuen Gerichte und vor Begeisterung bei jeder Rakete, die in die Luft geschossen wurde, nach Luft schnappte. Als der letzte weiße Sternenregen am Himmel erloschen war, führte er sie wieder zu den vornehmsten Damen und Herren, die bereitstanden, um das Paar in die Brautkammer zu geleiten, wo sie sich ihrer Kleider zu entledigen und in das Ehebett zu legen hatten.

      In dem Augenblick kam die Angst wieder. Christine wußte, daß in der Ehe Tisch und Bett geteilt wurden, aber sie war nie mit einem Mann allein gewesen. Um sie herum waren stets Hofdamen, Zofen oder Gouvernanten gewesen. Christine hatte keine Gelegenheit, weiterzudenken, denn der Herzog sagte etwas auf italienisch, worauf sich die Damen und Herren Blicke zuwarfen und der Kardinal seinen Protest anmeldete.

      »Aber die Franzosen«, jammerte der Kirchenmann, und seine rote Seide raschelte, als er vor seinen Fürsten trat.

      »Die Franzosen!« wiederholte er, bis ihn der Herzog mit einer gebieterischen Bewegung zum Schweigen brachte.

      Christine verstand nichts von dem, was vor sich ging. Sie beherrschte nur ein paar Worte Italienisch, was »Franchese« bedeutete, wußte sie, und der Antwort des Herzogs entnahm sie, daß es irgendwie um ein Kind ging. Der Kardinal vertrat eine Meinung, der Herzog eine andere. Schließlich wandte sich der Herzog ihr zu, führte ihre Hand an die Lippen und wünschte ihr eine gesegnete Nachtruhe.

      Christine wurde in die Brautkammer geführt. Die Zofen lösten ihre Bänder, bürsteten ihr Haar und brachten Schüsseln mit Wasser. Sie war erschöpft, hätte am liebsten geheult, aber es gab niemanden, mit dem sie weinen konnte, und von der Stadt her erklang ein Rufen und Lärmen, hörte man Gesang und Musik. Die Zofen verneigten sich bis zum Boden, und die Hofdamen schlossen den Vorhang.

      Christine schlief ihre erste Nacht in Mailand. Sie war allein, während die Stadt ihre Ankunft feierte.

      7. Kapitel

      Christine versuchte, sich auf einen Brief zu konzentrieren, den sie gerade schrieb, doch die Hitze war unerträglich, und dazu kam das ständige Gerede und das Spektakel der Dienerschaft und der Soldaten im Burghof. Ihre Damen saßen steif und unbeholfen auf den Schemeln. Sie waren die neue Mode nicht gewohnt, die vorschrieb, die Taille in ein Korsett zu schnüren. Sie stickten und redeten über die letzten Neuigkeiten vom Hof zu Mantua und über die bevorstehende Verheiratung Alexanders von Medici mit Margarete, der unehelichen Tochter des Kaisers.

      Christine war nun über ein Jahr in Mailand, ertappte sich aber immer noch dabei, beim Aufwachen zu glauben, den Geruch feuchten Grases einzuatmen, dabei gab es nur Staub, Hitze und Lärm, und der Herzog war nach Vigevano gereist.

      Zu Beginn des Sommers hatte sich sein Gesundheitszustand verschlimmert, und die Ärzte rieten zu einem Aufenthalt in gesünderem Klima, und obwohl er der Kranke war, schickte er stets liebevolle, aufmerksame Briefe an seine Frau. Es war lange her, daß Christine beim Anblick des alternden Mannes vor Schreck die Zitronen fallen gelassen hatte. Sie war nicht mehr das Mädchen, das vor knapp vierzehn Monaten allein zum Brautbett geführt worden war.

      Deutlich erinnerte sich Christine an das erste längere Gespräch mit dem Herzog. Er hatte im kühlen Halbdunkel der Sala delle Asse gesessen und freundlich gelächelt, während er ihr erklärte, daß ihr gesamter Hofstaat in die Niederlande zurückgeschickt werden sollte. Sie war jetzt italienische Herzogin und mußte einen italienischen Hofstaat haben.

      Der Herzog wollte wissen, was sie selbst davon hielt. Aber sie wußte, daß eine Ehefrau ihrem Gemahl in allen Dingen gehorsam, treu und ergeben sein soll, und hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden.

      Der Herzog lächelte erneut, nahm seinen Stock und deutete an Wand und Decke, wo gemalte Baumstämme und grüne Wipfel sich hinaufzogen ins Deckengewölbe und in dem Wappen der Sforzas endeten.

      Das habe Meister Leonardo geschaffen, erklärte er. Er erinnere sich aus seiner Kindheit daran, wie dieser Künstler mit seinen Lehrlingen auf Gerüsten herumgekrochen sei.

      Meister Leonardo habe auch la Saletta Negra verziert und ein wunderbares Reiterstandbild des ersten Sforza aus Lehm gestaltet. Aber das sei jetzt nicht mehr da, zerstört von den Franzosen, und die Bronze, in die es gegossen werden sollte, habe man für Kanonen benötigt.

      Christine hörte ihm zu und traute ihren Ohren kaum, als der Herzog ihr all die Maschinen beschrieb, die der Meister entworfen hatte. Eine davon sollte sogar fliegen können. Christine fand ihn ein bißchen verrückt, obwohl seine Gemälde so schön und lebendig wirkten, als könne sie direkt darin eintauchen.

      Als Christine von ihrem Gefolge Abschied nahm, war sie erst kurze Zeit in Mailand und noch längst nicht vertraut mit der großen Zitadelle. Sie lief durch einen riesigen Saal, um daneben in den nächsten und dann in noch einen zu kommen. Man fand sich schwer zurecht, und draußen waren überall Kanonen aufgestellt. Es gab Innenhöfe, große und kleine, und vom obersten Stockwerk blickte sie über die größte


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