Prinzessin Christine. Helle Stangerup

Prinzessin Christine - Helle Stangerup


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als Bezahlung nach vorne schob. Und sie starrte auf die roten Hälse, aus denen das Blut sprudelte, und vor ihr zogen sie bereits mit Hans davon. Sie sah, wie er auf eine Lichtung geführt wurde, wo mehrere kopflose Männer mit großen Beilen bereitstanden, und sie schrie und schrie und schrie ...

      Christine schaute in Johannes rotbäckiges Gesicht, die Frauen standen furchtsam an der Tür. Sie bekam heiße Milch mit Kräutern, und später fiel sie in einen sanften Schlummer.

      Am nächsten Vormittag wurden Christine und Dorothea zur Regentin gerufen. Die Kinder sahen ihre Tante an einem Fenster stehen. Sie kam ihnen entgegen, umarmte sie, und die Tränen liefen ihr übers Gesicht und in die schwarzen Falten des Kleides. Ihr Bruder Hans war bei dem schlimmsten Unwetter, dessen man sich in Regensburg entsinnen konnte, vom Fieber ergriffen worden. Nach einem mehrtägigen Kampf mit der Krankheit hatte sein junger Körper aufgegeben, und mit dem Namen Jesu auf den Lippen sei er verschieden.

      Hans war tot.

      Christine betete zu Gott. Sie kniete auf dem Steinboden und bat den himmlischen Vater, er möge sie begreifen lassen, warum er so viele und so vieles nahm.

      Schließlich brachte man sie mit hohem Fieber zu Bett. Und sie war nur von dem einen Gedanken beseelt, dorthin zu kommen, wo ihre selige Mutter, ihr geliebter Bruder und die geliebte Tante waren.

      Doch am vierten Tag erwachte sie und war fieberfrei. Eine kühle Herbstluft wehte ihr von den geöffneten Fenstern entgegen, es roch nach frischem Obst, und über die Gesichter um sie herum liefen Freudentränen.

      Johanne schloß sie in die Arme und stammelte: »Gepriesen sei die Jungfrau für meine kleine Madame Chrêtienne.«

      Ergriffen und völlig aufgelöst lief Johanne aus der Stube.

      Christine lag in ihrem Bett und blickte sich zwischen Damastdecke und Vorhang um, während die frische Luft in Nase und Lungen drang und sie von dem unbändigen Willen erfüllt wurde, das Leben zu leben, solange Gott es wollte.

      Erst lange nach Weihnachten, als das neue Jahr gekommen war und sie 1533 schrieben, erzählte die Regentin Christine und Dorothea in aller Ruhe von dem Schicksal ihres Vaters im vergangenen Sommer. Er hatte Norwegen verlassen und war im Vertrauen auf freies Geleit nach Kopenhagen gesegelt. Doch der Onkel brach das Versprechen. Ihr Vater erreichte nie die Hauptstadt, wurde statt dessen auf einer Insel namens Als ins Gefängnis gesteckt. Christine fühlte keine Trauer, aber sie wußte, da waren die Bürger und Bauern in Dänemark und die treuen Norweger, die ihren Vater liebten. Was war die Wahrheit? Was war die Wirklichkeit?

      Mit dem Beginn des Sommers explodierte eine Neuigkeit wie eine Bombe am niederländischen Hof. Bei einer Zeremonie in Barcelona am 10. Juni hatte der Kaiser einen Ehevertrag zwischen seiner Nichte und Francesco Sforza, dem Herzog von Mailand, unterschrieben. Christine war elf Jahre alt und sollte heiraten.

      Graf Massimiliano Stampa beugte sich vor, küßte Fräulein Christines Hand und begann ein Gespräch mit ihr und ihrer Schwester, Fräulein Dorothea, aber nach fünf Minuten erklärte die Regentin die Audienz für beendet.

      Stampa war verärgert, schrieb aber am selben Abend einen Brief an den Herzog von Mailand über seinen ersten Eindruck von der künftigen Herzogin.

      Wie die meisten am Mailänder Hof hatte es Stampa bedauert, daß es nicht gelungen war, die ältere Schwester mit Erbanspruch auf die nordischen Throne zu bekommen, jetzt, nachdem der Bruder tot war. Nach der kurzen Begegnung mit den königlichen Fräuleins konnte Stampa allerdings hocherfreut mitteilen, daß die Jüngere weitaus schöner sei. Sie habe außerdem auf ihn den Eindruck gemacht, sowohl lebhaft wie sanftmütig zu sein.

      Stampa hatte die lange Reise von Norditalien bis nach Gent, wo sich der Hof aufhielt, unternommen. Die Reise hatte mehrere Wochen beansprucht, und er erreichte die Niederlande Mitte September.

      Mit zunehmendem Erstaunen ritt er durch das flache Land. Alles war kultiviert und bestellt. Überall weidete schwarz geflecktes Vieh, und Häuser und Straßen machten einen gepflegten Eindruck. Nie hatte er eine so fruchtbare Erde gesehen, und am erstaunlichsten war, daß jede Frau und jeder Mann lesen und schreiben konnten. Stampa hatte sich Hunderte von Meilen keine Ruhe gegönnt, um so schnell wie möglich anzukommen, aber von dem Augenblick, an dem er die Grenze passierte, bewegte er sich nur im Trab und im Schritt vorwärts, um die unerwarteten Eindrücke aufzunehmen.

      Die Ernte war vorbei, es wimmelte auf den Feldern von wohlgenährten Menschen, die mit frisch gestrichenen Gerätschaften pflügten und eggten. Vielerorts war man mit der Wintersaat beschäftigt, während Frauen, umgeben von einer Schar von Kindern, Bier in Krügen brachten.

      Stampa wußte, daß die Niederlande von einer Frau regiert wurden. Vielleicht verirrten sich seine Gedanken, aber ihm schien, als ob hier alles von der Hand einer sparsamen, reinlichen und ordentlichen Hausmutter gelenkt würde.

      Es könnte natürlich auch umgekehrt sein, philosophierte er, während sein Blick über Mühlen und ausgehobene Kanäle wanderte, daß nämlich das Volk so geartet war und sich dazu eignete, von einer Fürstin regiert zu werden.

      In Wirtshäusern hörte er fortwährend Klagen über hohe Steuern und Kriege gegen die Franzosen, aber er sah gesunde, satte Bauernkinder und erinnerte sich nur zu genau an die zerlumpten, mageren Gestalten aus den norditalienischen Dörfern.

      In den Niederlanden fand er Not und schwarzes Brot nur in den Armenvierteln der Städte, ansonsten herrschte Wohlstand, Gesundheit und Sauberkeit. Allerdings hatte Stampa noch nie so grobe und langweilige Frauen gesehen, und ihre Röcke schienen ihm oft unanständig kurz.

      Es war jedoch nicht seine Aufgabe, einen Rapport über die niederländischen Provinzen zu schreiben. Er sollte eine Braut holen und sich deshalb zuerst darum bemühen, zur Regentin vorgelassen zu werden.

      Wohlbehalten in Gent angekommen, erhielt er die Erlaubnis, zu warten, und schließlich wurden ihm diese fünf Minuten mit Fräulein Christine gestattet.

      Es kursierten Gerüchte über einen Brief, den die Regentin an den Kaiser geschickt hatte, ein Protest über die Verheiratung eines so jungen Mädchens. Stampa mußte zugeben, daß ihm die Braut jünger vorkam als gleichaltrige Mädchen in Mailand. Die kräftige Sonne des Südens führte frühzeitig zur Reife, doch Fräulein Christine war ein Kind des Nordens und im diesigen Licht der Niederlande aufgewachsen. Obwohl das Zusammentreffen mit ihr kurz war, bemerkte Stampa sofort, daß die Brust über dem Mieder noch flach war und die leicht lispelnde Stimme einem Kind gehörte.

      Der Anblick des königlichen Fräuleins gab ihm Grund zu ernster Sorge. Stampa war Mailänder, und er war Patriot. Sein Herr war der Enkel eines Mannes, der sich mit Waffengewalt selbst zum Herzog gemacht hatte. Das war noch eine goldene Zeit gewesen, als die italienischen Fürsten mit einem über tausend Leute zählenden Gefolge unterwegs waren. Aber mit der Jahrhundertwende kamen die Kriege, und der Herzog war im Exil aufgewachsen, bis er durch die Gnade des Kaisers in sein Land zurückkehren durfte.

      Die Selbständigkeit seines Landes zu garantieren hatte sich Stampa zur Lebensaufgabe gemacht, doch dazu brauchte er einen Erben. Der Kaiser hatte eine Braut edelster Abstammung zur Verfügung gestellt, sich aber ausbedungen, daß ihm das Land zufalle, sollte der Herzog kinderlos sterben. Es war ein Wettlauf mit der Zeit.

      In dem Kontrakt stand ausdrücklich, daß die Ehe unverzüglich zu vollziehen sei, und Stampa war sich darüber im klaren, daß der Passus nur darauf zielte, die Franzosen daran zu hindern, die Gültigkeit der Ehe anzufechten und damit die Abmachung als ganze. Nach den fünf Minuten mit Christine von Dänemark durchschaute Stampa die kaiserlichen Winkelzüge.

      Stampa sollte als Stellvertreter des Herzogs die Prinzessin ehelichen und sie ihrem eigentlichen Gemahl zuführen. Aber die Regentin hatte immer neue Entschuldigungen, nicht mit ihm zu reden. Einmal war es eine leichte Verletzung bei einem Sturz vom Pferd, einmal Ratsversammlungen und unaufschiebbare Geschäfte, und dann reiste sie ohne weiteres in Begleitung ihrer beiden Nichten nach Lille. Stampa reiste hinterher. In Mailand erwartete der Fürst seine Braut und das Volk einen Erben, der die Selbständigkeit des Herzogtums bewahren und es vor fremder Herrschaft retten sollte. Trotz Stampas Zweifel bezüglich der Fähigkeiten des alternden, fast


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