Prinzessin Christine. Helle Stangerup

Prinzessin Christine - Helle Stangerup


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sie gebieterisch, und Christine sah, daß sie denselben Mund wie ihre Mutter hatte, nur größer, wie alles an ihr größer war.

      »Laßt euch anschauen«, sagte sie, aber Christine und Dorothea blickten hilfesuchend zum Vater, wußten nicht, ob sie es wagen sollten, hinzugehen.

      Der Vater rührte sich nicht. Die Dame sah einen Moment hinüber zu ihm, bis sie ihren Blick wieder auf die Mädchen richtete.

      »Ich bin die Tante eurer Mutter und habe mit eurem Vater vereinbart, daß ihr bei mir wohnen werdet, solange er unterwegs ist.«

      Christine hörte, daß ihre Schwester zu weinen anfing. Die Dame erhob sich langsam und kam auf sie zu. Christine schaute erschreckt auf, sie hatte Angst vor der Frau und verstand nicht, warum der Vater ihnen den Rücken zukehrte, statt sie zu beschützen.

      Die Dame streckte ihre Hand aus, und die Mädchen beugten sich vor und küßten sie. Dann faltete sie die Hände auf dem schwarzen Kleid und sagte: »Ich hatte einmal ein kleines Kind. Es ist gestorben. Ihr hattet eine Mutter, die gestorben ist. Ich werde euch lieben wie meine eigenen Kinder.«

      Dorothea hörte auf zu weinen, und Christine blickte die Dame an.

      Sie wußte, daß es die gefürchtete Regentin war, die da vor ihr stand. Alles in ihrem Gesicht war schwer. Die Augen und die breite Nase, der Mund mit der dicken Unterlippe, und Christine hatte sich noch nie so allein auf der Welt gefühlt.

      Plötzlich drehte sich ihr Vater um.

      Er ging langsam zu ihnen, hob sie hoch, jedes auf einen Arm, hielt sie fest und schaute ihnen in die Augen.

      »Eure Tante wird euch lieben, es ist sicher am besten so. Vertraut auf Gott und vergeßt nicht die dänische Sprache.«

      Die Mädchen antworteten nicht. Die Stimme des Vaters war rauh, und Tränen liefen in die Falten seines Gesichts und verschwanden im Bart. Einen Augenblick blieb er mit ihnen im Arm stehen, ohne etwas zu sagen, dann setzte er sie behutsam ab.

      »Ich werde dafür sorgen, daß Prinz Hans hereinkommt«, sagte die Dame, faßte Christine und Dorothea bei der Hand und führte sie hinaus.

      3. Kapitel

      Die Sonne schien, aber es war erst Anfang März, die Luft noch kühl und feucht, und Christine war unglücklich, als sie am Palast von Mechelen ankamen. Niemand wußte, wann ihr Vater aus Sachsen zurückkehrte, wann er seine Länder zurückeroberte und den bösen Onkel vertrieb. Sie hatte ihren Vater lieben gelernt, und plötzlich war auch er weg. Die Tante sprach bei der Reise kaum ein Wort, neigte bloß den Kopf ein wenig, wenn Menschen am Straßenrand die Mützen vom Kopf rissen.

      Im Innenhof gab es einen langen Gang mit weißen, dünnen Säulen, und in der Ecke bei der großen Treppe standen Diener, Zofen und Stallknechte. Christine wurde rasch abgesetzt.

      »Kommt, kommt«, sagte die Tante und faltete ihre Hände, während sie die Kinder antrieb. »Jetzt zeige ich euch das Haus. Zuerst die Bibliothek, denn dort gibt es etwas, das euch gefallen wird.«

      Während Diener in Samt und Seide Türen öffneten und schlossen, wurden Christine und ihre Geschwister in einen halbdunklen Raum mit Büchern, Handschriften und Gemälden gebracht. Mit einer weitausholenden Handbewegung deutete ihre Tante auf ein Bild und fragte: »Nun, Christine, wer ist das?«

      »Das ist Mama«, antwortete sie mit tränenerstickter Stimme und schaute hinauf.

      Ihre Mutter war die schönste Frau, die sie jemals gesehen hatte. Sie trug ein weißes Gewand, mit Perlen am Bund, einer Brosche und geschnürten Ärmeln. Locken fielen um das Gesicht.

      »Ja«, sagte ihre Tante. »Und wer ist das, Dorothea?« fragte sie und wandte sich dem anderen Bild zu.

      »Papa.« Mehr brachte Dorothea nicht heraus.

      »Gut.« Sie legte Hans den Arm um die Schultern. »Eure Mutter ist im Himmel beim lieben Gott und euer Vater auf Reisen. Trotzdem sind sie hier, ihr könnt jederzeit hineingehen und sie anschauen. Und eure Mutter im Himmel und euer Vater auf seinen Reisen freuen sich, wenn sie wissen, daß ihr gehorsame, gottesfürchtige Kinder seid, die ihnen Ehre machen.«

      »Ja, Madame«, sagten die Kinder mit winzigen Stimmen.

      »Gut.« Die Tante ging schwerfällig durchs Zimmer und blieb stehen.

      »Kommt, kommt. Es gibt noch viel mehr zu sehen.«

      Sie wurden durch die anderen Räume geführt. Es gab Gobelins mit Motiven von David und Goliath und Jagdszenen und griechischen Sagen, die Kinder sahen Gemälde, große silberne Spiegel, riesige Kronleuchter und schließlich die Tiere.

      Zuerst ein italienischer Windhund, und Christine sah ihre Tante lächeln, als sie sich bückte und ihn streichelte. Danach begrüßten sie die Vögel. Es waren Singvögel in großen Käfigen und Kakadus, die aus der Neuen Welt stammten, und schließlich der grüne Papagei. Die Tante erzählte von ihrem ersten Papagei, der gestorben war.

      Er hatte drei Sprachen sprechen und auf alles antworten können. Er war sehr alt gewesen, denn er hatte schon bei der Mutter der Tante am burgundischen Hof gelebt. Dieser hier sei freundlich und genauso grün, aber leider nicht ganz so klug.

      In Christines Zimmer hatte das Bett einen goldenen Vorhang, es gab Decken anstelle der Plumeaus, die sie gewohnt war, und am Abend kamen zwei Kammerzofen, um zu wachen.

      Eine von ihnen schlafe immer ein, erklärte die Tante mit einem kleinen Lächeln.

      Als Christine in ihrem Bett lag, war sie nicht mehr so traurig wie bei der Ankunft. Ihre Eltern waren tatsächlich da drinnen auf den Bildern, und sie war davon überzeugt, daß die Tante sie und ihre Geschwister liebte. Trotzdem grübelte sie darüber nach, warum der liebe Gott einen grünen Papagei so lange auf der Erde leben ließ und ihre Mutter so jung sterben mußte. Das konnte Christine nicht begreifen, aber weil sie nach der langen Reise sehr müde war, schlief sie bald ein.

      Der Alltag am Mechelner Hof begann. Sobald die Kinder von der Messe kamen, fingen sie mit dem Lateinischen an, dann folgte Französisch, Bibelkunde, Geschichte, Geographie und Mathematik. Sie mußten gutes Benehmen lernen, tanzen und reiten. Ohne Rücksicht auf das Wetter waren sie jeden Tag draußen. »Frische Luft härtet ab«, erklärte ihre Tante und gewährte keine Ausnahme, wenn der Schnee auf ihren Wangen brannte und die Kanäle zufroren.

      Für Christine und ihre Geschwister war jede Stunde des Tages fest verplant. Von morgens an hatten sie Aufgaben zu erledigen, bis sie erschöpft und mit roten Wangen abends einschliefen.

      »Freie Stunden führen nur zu Mißmut«, meinte ihre Tante, aber eine Stunde Spielen war auch festgelegt.

      Sie saß dann auf ihrem Stuhl und beobachtete die Kinder mit schweren Augen unter dem weißen Schleier. Sie schaute ihnen zu, wenn sie mit den Tieren scherzten, auf dem Boden unter den Gobelins tobten, mit Pfeilen auf eine große Scheibe warfen oder die kleinen Heiligenfiguren aus Holz mit Blumen schmückten. Dick und breit, die Hände im Schoß gefaltet, lächelte sie nur, egal was sie anstellten und wie sehr ihre Kleider in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es war die Stunde, in der »alles erlaubt war«, und nur wichtige Ratsversammlungen und Reisen hielten sie davon ab, den Kindern zuzuschauen. Ihr Spiel, ihr Herumtollen und ihre kleinen Unfälle waren offenbar ebenso wichtig wie der Lateinunterricht in den eiskalten Morgenstunden.

      Während dieser Zeit in Mechelen wurde Christine von vielen Menschen geprägt. Wenn sie nicht von der Tante beaufsichtigt wurde, kümmerte sich die Dienerschaft um sie. In jedem Raum hielten sich Zofen auf, und aus den Fenstern des Unterstocks hörte man das Schwatzen und Lachen von denen, die Essen zubereiteten, die einmachten, pökelten und Fische ausnahmen. Sie hörte die Dienstmägde, die mit der Wäsche beschäftigt waren, Mägde, die aus großen Gefäßen Kerzen zogen, und Stallburschen, die die Pferde striegelten. Die Hofdamen waren schweigsam und würdevoll, während sich die jungen Fräuleins, die sich am Hof aufhielten, um ihre Erziehung zu vervollkommnen, stets plaudernd durch Stuben und Säle bewegten.

      Pagen verneigten sich vor Christine, Gouvernanten überwachten ihre Manieren, Lehrer ihre Ausbildung,


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