Hasse mich nicht. Jessa James
bei dir?“
Ich muss ihm einen komischen Blick zugeworfen haben oder so was. Ich drücke schnell meine Wirbelsäule durch und schiebe meine Gedanken weg.
„Prima“, erwidere ich, wobei ich mich bemühe, ihn nicht anzufauchen. Ich nicke zu den Büchern. „Was lernen wir heute?“
Seine Stirn legt sich in Falten.
„Genauso wie zuvor. Ich dachte, wir könnten mit Mathe anfangen und dann Naturwissenschaften machen.“
„Richtig. Äh… ich schätze… lass mich zu deiner Seite des Tisches rutschen“, meint er. Er schiebt seine Bücher rüber und lässt sich Zeit damit, sich auf dem Stuhl links von mir niederzulassen. Seinen Kaffee zieht er ebenfalls rüber und dann schlägt er sein Mathebuch auf.
In diesem Coffee Shop ist es relativ kühl, sodass ich tatsächlich die Hitze spüren kann, die sein großer Körper ausstrahlt. Ich beiße auf meine Unterlippe und schimpfe mit mir, weil ich so schwach bin, wenn es um ihn geht.
„Also, ich habe hier aufgehört bei den Differenzialgleichungen…“, erklärt er und deutet auf das Kapitel im Buch. „Aber ich war mir nicht ganz sicher, wie sie funktionieren. Es ist irgendwie so, dass ich mir die Beispiele den ganzen Tag lang anschauen kann, aber wenn ich dann eine Gleichung vor mir habe, ist mein Gehirn wie leergefegt.“
„Ahhh.“ Ich nicke und spiele mit meiner Tasse. „Ich denke, du musst sie in Aktion sehen. Hast du Papier dabei?“
„Klar, yeah.“ Er zieht einige leere Blätter aus seinem Rucksack zusammen mit einem Stift. Er schiebt sie vor mich. „Hier.“
Er lässt seine Knöchel knacken. Ich schlucke und versuche, nicht auf die Stimme in meinem Kopf zu hören, die sich nur allzu gut daran erinnert, was diese Hände tun können. Wie viel Lust sie meinem Körper entlocken können, stundenlang.
„Okay… dann lass mal sehen… zuerst musst du das Integral finden…“, sage ich. Ich leite ihn durch den Prozess und löse mehrere unterschiedliche Gleichungen mit ihm.
Jameson beugt sich über den Tisch und beobachtet mich beim Rechnen. Er macht mich nervös, aber ich weigere mich, ihn das sehen zu lassen. Ich schaue ihm einfach nicht in die Augen und konzentriere mich stattdessen auf das Blatt und den Stift.
Er stellt einige Fragen und stoppt mich mit einer Hand auf meinem Unterarm. Seine warmen Finger berühren die nackte Haut meines Handgelenks zum zweiten Mal und mein Puls macht einen Satz wie ein verschreckter Hase.
Er wirft mir einen Blick zu, aber ich ziehe lediglich meinen Arm weg, räuspere mich und mache weiter.
„Ich denke, ich verstehe es. Oder zumindest verstehe ich es genug, um den GED zu machen“, meint er.
Ich schaue zu ihm hoch und begegne seinem warmen Schokoladenblick. Für den Bruchteil einer Sekunde verliere ich mich in seinen Augen, falle tief in sie. Er unterbricht die Verbindung auch nicht.
Er starrt mich bloß einige Sekunden an. Ich merke, dass es etwas gibt, das er sagen möchte, aber er sagt nichts. Und ich bin ein zu großer Angsthase, um ihn zu fragen, was er denkt.
Ich wende den Blick ab. „Ähm, denkst du, wir sollten jetzt Naturwissenschaften lernen?“
Sich räuspernd nickt er. „Yeah. Äh… yeah. Ich lerne gerade Physik, versuche Geschwindigkeit und Beschleunigung zu kapieren. Es ist… eine Herausforderung.“
„Super“, sage ich mit erzwungener Freude. Innerlich denke ich, dass ich wünschte, ich hätte erst gar nicht zugestimmt, hierher zu kommen. Aber ich will nicht, dass er das weiß. „Dann also Geschwindigkeit!“
Jameson wirft mir einen misstrauischen Blick zu, während er sein Naturwissenschaftsbuch hervorkramt. Er öffnet es, aber legt seine Hand auf die Seite.
„Bist du okay?“
Seine schwarz-braunen Augen blicken suchend in mein Gesicht.
„Immer doch“, kontere ich und tippe auf das Buch, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. „Komm schon, lass uns die Grundlagen der Physik lernen.“
Ich schiebe seine Hand aus dem Weg und beginne, zu lesen. Er verlagert irgendwann seine Aufmerksamkeit auf das, was wir lesen. Ich stoppe mehrere Male und erkläre ihm die Dynamik dessen, wovon wir reden, ausführlicher. Er hört zu und nickt und stellt hier und da eine Frage.
Wir gehen die wichtigen Informationen zu Geschwindigkeit und Beschleunigung durch und dann leite ich ihn durch ein paar der mathematischen Gleichungen, die das Buch vorschlägt. Ich lasse ihn einige der Beispielgleichungen lösen.
An einem Punkt, als er über das Blatt gebeugt ist und seine Antwort notiert, seufze ich. Es ist ein irgendwie sehnsuchtsvoller Laut, ganz zufällig und eigentlich durch nichts im Besonderen provoziert.
Es ist einfach Jameson als Ganzes. Ihm dabei zuzuschauen, wie er irgendetwas tut, ist ziemlich vergnüglich, aber ihm dabei zuzuschauen, wie er etwas Neues lernt? Etwas, bei dem ich ihm helfen kann?
Das lädt geradezu zum Schwärmen ein. Also seufze ich.
Er sieht zu mir hoch und ich laufe rot an. Ertappt.
„Was?“, fragt er.
„Nichts“, antworte ich und schüttle den Kopf. „Nichts, mach weiter.“
„Du benimmst dich merkwürdig“, sagt er.
„Nein, das tue ich nicht.“ Ich nehme einen Schluck von meinem Latte, als würde mich das vor meiner eigenen Verlegenheit bewahren.
„Das tust du!“, beharrt er. Er legt den Stift auf den Tisch. „Warum benimmst du dich so merkwürdig?“
„Jameson –“, beginne ich, verärgert, dass wir dieses Gespräch überhaupt führen.
Er bedenkt mich mit einem harten Blick. Ich rutsche leicht auf meinem Stuhl hin und her. Er senkt die Stimme.
„Weißt du, nur weil wir nicht mehr miteinander vögeln, heißt das nicht, dass du nicht mehr mit mir reden kannst. Ich bin immer noch die gleiche Person.“
Mein Gesicht wird sofort scharlachrot. „Jameson, du… du folgst einfach nicht im Geringsten dem angemessenen Trennungs-Protokoll.“
Seine Augenbrauen heben sich. „Dafür gibt es ein Protokoll?“
Ich starre ihn finster an. „Ja! Und du bist einfach so… du trampelst einfach darauf herum, als gäbe es das gar nicht. Aber glaub mir, es existiert aus gutem Grund.“
„Das Protokoll?“
„Ja!“
Es entsteht eine Sekunde, in der er innehält. Ich kann sehen, dass er irgendeine Art Überlegung anstellt und frustrierenderweise zu keiner Lösung kommt.
„Ich schätze, ich weiß nicht, wie diese Regeln aussehen, wenn man… du weißt schon, wenn man nicht mehr zusammen ist“, gesteht er.
„Tja, das ist offenkundig.“ Ich fühle mich wie eine Besserwisserin, als ich das sage, aber es stimmt.
„Was genau möchtest du dann, dass ich tue?“
Er schaut mich an, das Gesicht todernst. Unter seinem Blick sacke ich in mich zusammen wie ein Luftballon, dem die Luft rausgelassen wird.
„Ich weiß es nicht. Ich meine…“ Ich blicke hinab auf meine Hände. „Es fühlt sich einfach so an, als… als hätte sich nichts geändert.“
Meine Augen werden unerwartet feucht und ich schäme mich in Grund und Boden.
„Das ist doch etwas Gutes, oder nicht?“, erkundigt er sich.
„Nein!“, rufe ich lauter als beabsichtigt. Die Barista schaut zu mir und ich ziehe den Kopf ein. Aber dennoch kann ich mich nicht davon abhalten, weiterzureden. „Du verstehst es nicht, Jameson. Du – du hast mir das Herz gebrochen!“