Pinsel und Meißel. Teodoro Serrao

Pinsel und Meißel - Teodoro Serrao


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was er mit Kopf und Herz zu wirken und zu empfinden fähig ist. Man tritt in ein Atelier und versteht, beurteilt den Künstler. Man steht den Gedanken bereits vollendeter Werke und zu solchen, die niemals ausgeführt werden, gegenüber; man gewinnt einen Einblick in die Entwickelungsgeschichte einer Seele: den Geschmack, das Streben und Schaffen, die Befriedigung und Enttäuschungen; diese ganze Geschichte graphisch ausgedrückt durch Skizzen, Zeichnungen, Modelle.

      Bei einem Bildhauer ist das sogar noch mehr der Fall, als bei einem Maler, da dieser immer etwas Hübsches zu zeigen hat, auf das er stolz sein kann: Altertümer, orientalische Brokate, Teile von Rüstungen, Kostüme, Stiche u. s. w., während der Bildhauer nichts zu zeigen hat, als sein Werk. Er kann nichts andres haben, denn durch den Thon, den Gips und die Feuchtigkeit wird alles beschmutzt und verdorben; ausserdem hat er auch in seinem Atelier keinen Raum dafür.

      Nachdem sie die Künstler kurz begrüsst hatte, sagte Angelika lächelnd: „Wir hörten jemand singen. Warum haben Sie aufgehört? Ich möchte so gern einige Ihrer charakteristischen spanischen Lieder hören.“

      Die Künstler lächelten verlegen; keiner hatte den Mut, ihren Wunsch zu erfüllen, weil alle wussten, welch eine Musikkennerin sie war. Mario wandte sich zu ihnen und bemühte sich, sie zu überreden, bis endlich ein junger Maler die Guitarre, die hinter der Büste verborgen war, aufnahm und begann, ihr liebliche Töne zu entlocken, während Angelika und ihre Tante sich auf zwei grosse altertümliche Sessel niederliessen.

      Wer je ein spanisches Volkslied gehört hat, weiss, dass man nichts Lieblicheres und zugleich Kraftvolleres hören kann. Jene Lieder quellen aus dem innersten Herzen des andalusischen Volkes, in dessen Adern noch immer etwas maurisches Blut fliesst.

      Der junge spanische Maler sang und begleitete seinen Gesang auf der Guitarre, während die andern, nach spanischer Sitte, im Takt dazu in die Hände klatschten.

      Der Text lautete folgendermassen:

      „Ich weiss nicht, was des Friedhofs Blume birgt,

      O Mutter, doch es will mir scheinen,

      Wenn sie der Wind so sanft bewegt,

      Hör’ in der Stille ich sie weinen!“a)

      „Danke,“ sagte Angelika, als die letzten Töne der Guitarre in dem weiten, stillen Raume verklangen; „aber nun haben Sie einmal angefangen und müssen mich schon noch mehr hören lassen.“

      Darauf fuhr er fort:

      „In Marmor soll dein Bildnis prangen,

      Stolz über meines Grabes Nacht,

      Um aller Welt dereinst zu künden,

      Welch Leiden mir den Tod gebracht.“b)

      Als das kurze Beifallsklatschen der Zuhörer verhallt war, begann er wieder:

      „Stelle dich an meine Seite,

      Senk’ ins Aug mir den Blick,

      Und ich kehr’, vom Tod umfangen,

      Noch einmal zu dir zurück.“c)

      „Jetzt musst du aber etwas weniger Trauriges singen,“ sagte Mario.

      Der junge Mann lächelte und sang:

      „Als mir die schlimme Kunde wurde,

      Dass du mich niemals hast geliebt,

      Da lachten alle, selbst die Katze

      War nicht im mindesten betrübt.“

      Und das thaten auch alle im Atelier.

      Angelika sagte: „Aber sind das wirkliche, in den unteren Ständen heimische Volkslieder?“

      „Ja,“ antwortete der Sänger.

      „Es ist merkwürdig, wie viel Empfindung sie haben! Ob wohl ein gebildeter Dichter edle Empfindungen so einfach ausdrücken könnte? Aber wenn Sie sich nicht dazu verstehen, mir noch ein Liedchen zu singen, so bringen Sie mich gar nicht mehr fort!“

      „Dann singe nichts mehr,“ sagte der römische Maler, der bis dahin geschwiegen hatte.

      Angelika sah ihn an.

      Er war ein hübscher junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit glänzenden dunklen Augen und einem traurigen Zug um seinen schöngeschnittenen Mund.

      Wie ausdrucksvoll ein geschlossener Mund doch aussehen kann!

      Alle stimmten der Aeusserung des Römers bei.

      „Nun, wenn Ihnen meine Gesellschaft so lieb ist, so müssen Sie sich auch meiner Tyrannei unterwerfen; jetzt befehle ich: Singen Sie!“ sagte sie mit einer scherzhaft gebieterischen Bewegung.

      Der Spanier antwortete: „Ich gehorche. Hören Sie:

      „Zwei Küsse trage ich im Herzen

      Gar treu und sorgsam bis ins Grab:

      Den letzten Kuss von meiner Mutter,

      Den ersten, den ich dir einst gab.“d)

      Dieses letzte kleine Lied war mit so ausserordentlicher Zartheit vorgetragen worden, dass alle eine Weile schwiegen. Es war, als ob jeder ein leises Beben in seinem Herzen fühlte bei der Erinnerung an ein liebes, altes Angesicht — bei dem Gedanken an einen anmutig lächelnden jungen Mund.

      Angelika brach das Schweigen, indem sie sich erhob und zu dem römischen Maler sagte: „Ich weiss nicht, wie es kommt, dass mir Ihr Name so bekannt klingt.“

      „Vielleicht, weil ich in demselben Hause wohne, wie Sie; Sie werden ihn im Vorbeigehen an meiner Thür gelesen haben.“

      „So ist’s, wir sind Hausgenossen. Aber ich denke, ich muss irgend jemand über Sie und Ihre Werke in sehr schmeichelhafter Weise haben reden hören. Ah, jetzt erinnere ich mich! Es war Signor Claretti, der Kritiker, der mir sagte, dass sich an Ihr Bild die grössten Erwartungen für die nächste Ausstellung knüpfen.“

      Giulio Cormorto — so hiess der römische Maler — errötete leicht und erwiderte: „Signor Claretti ist mein Freund, und Freundesaugen können nicht unparteiisch sehen.“

      „Sie sind sehr bescheiden, Signor Cormorto“ — und indem sie sich zum Gehen wandte, fügte sie hinzu: „Ich hoffe, Sie werden mich morgen abend besuchen; es soll ein wenig musiziert werden, und vielleicht wird auch der berühmte Violinist, Herr Glücklich, spielen. Ich freue mich, die Bekanntschaft meines Nachbars gemacht zu haben.“

      „Ich bin Ihnen sehr verbunden und werde kommen,“ antwortete Cormorto, sich tief verbeugend.

      Dann wandte sie sich an Origlio: „Vergessen Sie nicht, dass Sie mir versprochen haben, zu kommen und von Ihren kalabresischen Sitten und Gebräuchen zu erzählen.“

      Er erwiderte, dass er sich dessen sehr wohl erinnere und dass er ihr ein Buch über diesen Gegenstand bringen werde.

      Nachdem sie sich verabschiedet hatte, entfernte sie sich mit ihrer Tante, die sich nicht herabliess, ein Wort zu sagen.

      Sobald die Damen gegangen waren, fingen die jungen Leute alle an, laut und lebhaft zu sprechen, als ob sie die Zeit wieder einholen wollten, in der sie ihrer Freiheit beraubt gewesen waren.

      „An was denkst du?“ fragte Mario seinen Freund Cormorto, der aus dem Fenster sah.

      „Ich denke, dass sie einen wundervollen Kopf hat. Was für eine reine Stirn, was für ein Profil! Sie muss ein Engel sein!“

      „Sie ist eben so gut als schön; bella di faccia, bona di core — wie der Neapolitaner sagt. Das wäre eine hübsche Gestalt für dein Bild!“

      Dann sprachen sie über die Gruppe. Origlio zog Cormorto stets bei seiner Arbeit zu Rate; ein Maler bemerkt manches, was ein Bildhauer übersieht — und andrerseits kann der Bildhauer wiederum dem Maler nützlichen Rat erteilen. Es gibt keine Farbe ohne Form und keine Form ohne Farbe; so hatte jeder Verständnis für die Arbeit des andern, und als gute Freunde sprachen sie ihre


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