Pinsel und Meißel. Teodoro Serrao
jene Art von geistiger Ueberlegenheit, die unter Künstlern schweigend und rasch anerkannt wird, bezwungen, respektvoll zu.
Von dem heutigen angenehmen Besuch war weiter keine Rede mehr, da Besuche in Origlios Atelier eben keine Seltenheiten waren; Cormorto jedoch dachte beständig an das zarte Gesicht des jungen Mädchens, und als sie alle zusammen das Atelier verliessen, fragte er Origlio wieder nach ihr; sie sprachen über ihre aussergewöhnliche Schönheit — jeder von ihnen von seinem eigenen Gesichtspunkte aus.
Wenn sie zugegen gewesen wäre und gehört hätte, was diese beiden Männer über sie sagten, so hätte wohl ihre Eitelkeit befriedigt sein können, aber nicht ihr Stolz; sie schienen nur Farben, Linien, Proportionen zu sehen; sie sprachen über sie, wie sie es über ein Porträt von Velasquez oder eine Statue von Canova gethan haben würden.
Nachdem sie über die Piazza del Popolo geschritten, gingen sie nach der Passeggiata di Ripetta in das Atelier eines Spaniers, der in einer Ausstellung einen ersten Preis davongetragen hatte und diesem Ereignis zu Ehren seinen Freunden ein kleines Festmahl gab.
Zweites Kapitel.
Die aufgehende Sonne sandte einen schüchternen, bleichen Strahl durch das Fenster des Ateliers. Dieser gerade bläuliche Lichtstreifen suchte sich dort natürlich die glänzendsten Gegenstände aus: einen breiten Goldrahmen, einen silbernen Kürass, einen Helm in einer Ecke — und liess alles übrige im Dunkeln. Nach und nach wurde der Strahl wärmer und rosiger, und in jenem geheimnisvollen, zarten Lichte süllte sich das grosse Zimmer mit Bildern von weissgekleideten Frauen und von Männern in den dunklen Kostümen des sechzehnten Jahrhunderts; alle Wände waren mit mächtigen Kartons bedeckt, die nur die Skizzen zu einem einzigen grossen Gemälde waren.
Aber bald verschwand der rosige Hauch, es wurde heller und heller, in stolzer Pracht strömte die Sonne in das Gemach, umfloss alles mit ihrem Glanz und zeigte nun erst das Atelier in seiner ganzen künstlerischen Eleganz und Unordnung.
Hie und da standen einige altertümliche Stühle umher, in einer Ecke eine kostbare, dunkle, im besten Rokokostil geschnitzte Kommode mit mehreren japanischen Dolchen und allerlei sonstigen Spielereien, darüber hing ein schöner venezianischer Spiegel; gegenüber stand ein schwarzer Tisch aus Zwergbaumholz mit Büchern, Zeichnungen, Mappen, Zeitungen, Photographieen und verschiedenen andern Gegenständen beladen, unter denen ein grosses silbernes Tintenfass, Diana auf der Jagd darstellend, von der Hand eines alten Meisters ciseliert, besonders ins Auge fiel. Ein faltenreicher grüner Samtoorhang hing vor der Thür, neben der ein türkisches Sofa stand, und auf diesem lag, in eine Ciociarodecke gehüllt, ein junger Mann und schlief.
Es war Cormorto — bleich und schweratmend, mit dem Aussehen eines Mannes, der eine durchschwärmte Nacht hinter sich hat.
Ein lautes Klingeln weckte ihn. Er fuhr auf und rief: „Wer ist da?“ Dann ging er, die Thür zu öffnen.
Ein hübsches Mädchen trat ein, trippelte anmutig näher und lachte über sein verschlafenes Aussehen.
„O! Sie waren gestern abend bei den Spaniern. Erzählen Sie mir! Ist’s wahr, dass das Modell Maria auch da war?“
„Ach, bitte, nicht so laut! Sprechen Sie leiser, ich habe furchtbares Kopfweh!“ unterbrach sie Cormorto verstimmt.
Das lustige Mädchen stimmte nun um so lauter ein neapolitanisches Lied an:
„Ich hab’ einen Schatz, ’nen verdammten Kumpan,
Den blickt das Leben gar freundlich an:
Von morgens bis abends sieht man ihn wandern,
Stets durstig von einer Kneipe zur andern.“e)
„Halt!“ sagte er wütend.
„Was? Sind Sie wirklich böse? Dann lassen Sie uns an die Arbeit gehen; Sie wissen ja, wenn ich nicht arbeite, kann ich meinen Mund nicht halten.“
Mutwillig schritt sie zum Tisch, nahm eine Cigarette und begann zu rauchen wie ein Soldat, oder — wie eine Dame von heutzutage.
Er ging in ein anstossendes Zimmer, um seinen Kopf in frisches Wasser zu tauchen, während sie ihr Kleid mit einem von weisser Seide vertauschte.
Sie war ein reizendes junges Geschöpf, etwa siebzehn Jahre alt, frisch und stark, mit einem ewigen jugendlichen Lächeln auf ihren roten Lippen und in ihren dunklen Augen.
Als sie angekleidet war, fing sie, die Cigarette in ihrem rosigen Munde, wieder zu singen an.
Sie war eines jener Mädchen, die aus den rauhen Gebirgsdörfern in der Nähe Roms herunterkommen, um Modell zu stehen. Sie tragen die Fröhlichkeit der Jugend, die heitern Farben ihrer roten, blauen oder gelben Kleider und das rauhe, aber natürliche Benehmen der Contadini in die Ateliers der Maler und Bildhauer.
Wenn sie nicht in den Ateliers beschäftigt sind, versammeln sie sich auf den Stufen vor Santa Trinità dei Monti oder vor der Kirche in Via Sistina und plaudern und scherzen dort mit den jungen Männern ihrer Profession; oder sie tanzen auch, das weisse Tuch auf dem Kopfe, zum Klang der Tamburella und bilden charakteristische, reichfarbige Gruppen in ihren althergebrachten Trachten.
Unglücklicherweise bleiben die meisten dieser Mädchen nicht unberührt von der Verderbnis der grösseren Städte, und dann geben sie sich in den Ateliers mit dem gezierten Wesen von Landmädchen, die sich als Städterinnen aufspielen wollen; schliesslich missfällt ihnen dann auch noch ihr rauhes, doch schönes Ciociarokostüm, und sie ruhen dann nicht, bis sie kleine Hüte, gewöhnliche Kleider und moderne Schuhe mit hohen Absätzen haben, welch letztere an Stelle der klassischen Ciocie treten, die mit Bändern um die Knöchel befestigt werden.
Die Männer kehren gewöhnlich in ihre Dörfer zurück, sobald sie Geld genug erspart haben, um ein kleines Stückchen Grund und Boden zu kaufen, oder bleiben in Rom, falls sie es nicht so weit bringen, und gehen ihrem Gewerbe nach, bis die Zeit kommt, wo sie noch als alte Männer, die die Träume ihrer Jugend hinter sich gelassen haben, Modell stehen.
Manche von den Frauen sind sehr begabt. Einzelne haben Künstler sogar geheiratet und sind gute Hausfrauen mit einem gewissen äusseren Schliff geworden. Alle aber bewahren jene misstrauische Schlauheit, die den Kindern der Berge eigen ist.
Sobald Cormorto zurückkehrte, hörte das Mädchen auf zu singen, warf ihre Cigarette weg und nahm in der Nähe des grossen Fensters ihre Stellung an, so dass ihre ganze Gestalt voll beleuchtet war.
Er setzte sich vor die Staffelei, reinigte schweigend seine Palette und setzte frische Farben auf; aber auf einmal, als er kaum zu malen angefangen, warf er alles beiseite und sagte zu dem Modell: „Ich mag heute nicht arbeiten.“
Sie schien durchaus nicht verwundert hierüber und nahm ruhig ihre noch glimmende Cigarette wieder auf.
„So will ich gehen. Ich werde mich zu Ihrem Freunde Origlio verfügen; er muss mir sagen, ob Maria gestern abend auch dabei war.“
„Ja, es ist besser, Sie gehen. Nehmen Sie Ihre dritthalb Franken für diese Sitzung.“
„Wenn Sie nicht arbeiten wollen, nehme ich auch das Geld nicht.“
„Nun, so gehen Sie eben so,“ sagte Cormorto ungeduldig.
Als er in sein Kabinett ging, damit sie sich wieder umkleiden konnte, rief sie ihm nach: „Was für ein Grobian Sie heute sind, Signorino!“
Aber er schien nicht zu hören, was sie sagte.
Nach wenigen Augenblicken war Cormorto allein. Der Gesang des Modells erstarb allmählich in der Ferne, als sie die Treppe hinabstieg.
Er schlug ein Buch auf, dann wieder ein andres, bis er schliesslich eine Schachtel mit Pastellfarben und ein Stück rauhes Papier zur Hand nahm und anfing, einen Frauenkopf zu skizzieren. Und er arbeitete und arbeitete, fieberhaft schnell die Farben mit seinem Daumen knetend, als ob er das Gesicht, das er malte, hätte im Relief modellieren wollen.
Er schien das Enteilen der Stunden nicht zu bemerken; er ruhte nur, wenn er von Zeit zu Zeit, einen neugierigen Blick in den