Pinsel und Meißel. Teodoro Serrao

Pinsel und Meißel - Teodoro Serrao


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wieder, wenn ihm etwas daran gefiel.

      Plötzlich verkündete die Kanone von Sant’ Angelo ganz Rom, gass es Mittag sei.

      „Schon!“ rief er aus und sah nach seiner Uhr.

      Dann klingelte es ein zweites Mal.

      Ein alter Mann trat ein; ein armer Maler, dem Cormorto mit jenem Zartgefühl zu helfen pflegte, das den Stolz eines andern schont, und das niemand tiefer empfindet, als der Künstler gegen seinen Kunstgenossen.

      Da er ein grosses Einkommen hatte, konnte Cormorto das thun, obgleich er sich sehr selten bemühte, seine eigenen Gemälde zu verkaufen.

      Der ältliche Besucher war ärmlich gekleidet, aber seine Kleider sassen gut, und in seiner äussern Erscheinung, wie auch in seinem ganzen Benehmen lag jenes unbeschreibliche Etwas, das auch den schlechtesten Beobachter sofort gewahren lässt, dass er sich einem Gentleman gegenüber befindet.

      „Herein, herein, Alter,“ sagte der junge Maler und streckte ihm die Hand entgegen. „Sehen Sie her! Gefällt es Ihnen? Sagen Sie mir offen, was Sie davon halten.“

      Der Eintretende betrachtete das Pastell mit dem Auge eines Kenners erst in der Nähe, dann aus einer kleinen Entfernung und antwortete: „Sehr gut, mein lieber Junge. Ich sehe, Sie machen wunderbare Fortschritte. Wer ist sie?“

      „O, nur ein Studienkopf ... aus der Phantasie oder nach dem Gedächtnis!“

      „Sonderbar. Die Auffassung und die Zeichnung sind so gut, dass ich dachte, Sie hätten es nach dem Leben gemacht. Aber thun Sie das nie wieder, verfallen Sie nicht in die Gewohnheit, mit Ihrer Phantasie zu arbeiten. Sie würden auf diese Weise jeden richtigen Begriff von Farbe verlieren.“

      Cormorto hörte dem alten Maler aufmerksam zu, der einst ein tüchtiger Kolorist gewesen war, jetzt aber — nachdem er sein ganzes Vermögen bei einer misslungenen Spekulation verloren — im Kampf ums Dasein schwer zu ringen hatte, einesteils, weil heutzutage im Verhältnis zu der grossen Masse der Bilder, die gemalt werden, so wenig gekauft wird, andrerseits wegen seines festen Entschlusses, die kleinen, gangbaren Geschmacklosigkeiten nicht zu malen, welche die Händler von den Künstlern fordern.

      Der alte Mann wollte lieber alles ertragen, alles entbehren, als von seinen künstlerischen Ueberzeugungen lassen und seine Pinsel dadurch herabzuwürdigen, dass er sie zwang, lediglich nach Brot zu gehen. Er pflegte zu sagen, ein Mann könne kein schwereres Verbrechen begehen, als das, seine Achtung vor der Kunst zu verlieren. Er hegte für die Kunst eine Verehrung, wie ein alter Ritter sie für die Dame seines Herzens gefühlt haben mag.

      „Woher es nur kommen mag, dass ein Pastell eine zugleich so kräftige und so zarte Wirkung hervorbringen kann, wie kaum je ein Oelgemälde?“ sagte Cormorto.

      „Ein Pastellbild ist phantastischer, deshalb gefällt es Ihnen besser. Mir ist es gleich, mit welchem Material ich arbeite; ich schätze ein gutes Pastell ebensosehr als ein gutes Aquarell oder ein gutes Oelbild, weil man in jeder Art jeden Grad von Kraft erreichen kann, wenn nur diese Kraft in uns selbst liegt. Nehmen Sie Fortunys Aquarelle; sind sie nicht ebenso wirkungsvoll als Oelgemälde? Und doch gibt es Leute, die für ein Oelgemälde eine Summe zahlen, die sie nie für ein gutes Aquarell oder ein Pastell ausgeben würden. Ich möchte wohl wissen, warum!“

      „Ja, Sie haben ganz recht. Und wenn jene versuchen wollten, sich zu verteidigen, könnten sie nicht einmal sagen, dass Pastell- und Wasserfarben zu rasch verderben.“

      „Natürlich könnten sie das nicht behaupten. Haben wir nicht noch Kohlenzeichnungen von Michelangelo? Und verändern sich Oelgemälde etwa nicht im Lauf der Zeit? Alles ist dazu bestimmt, einmal zu Grunde zu gehen.“

      „Darüber sind wir einig, lieber Freund. Doch fast hätte ich etwas vergessen,“ fügte Cormorto hinzu, indem er leicht errötete und sein Gesicht abwandte, „heute morgen war ein Herr hier, der eine kleine Landschaft wünschte. Da ich nicht gern Landschaften male, sagte ich ihm, ich wolle Sie bitten, eine für ihn zu malen. Er hat fünfhundert Lire dafür zurückgelassen. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben natürlich das Recht, zu malen, was und wie Sie wollen.“

      „Ja, ich will,“ antwortete der andre mit zitternder Stimme und feuchten Augen.

      Dann und wann brachte Cormorto eine solche kleine Unwahrheit vor, und der alte Mann hörte sie an. Der erstere konnte dann nicht umhin, zu erröten, und der letztere konnte nicht umhin, gerührt zu sein von dieser liebevoll verschleierten Grossmut.

      Alle diese kleinen Gemälde des alten Künstlers wurden nachher von Cormorto als Geschenke an seine verschiedenen Freunde geschickt.

      „Wie geht es Ihrem Nachbar?“ fragte der junge Mann plötzlich, da er das verlegene Schweigen abzukürzen wünschte, das auf die letzten Worte gefolgt war.

      „Es geht ihm viel besser.“

      „Haben Sie heute nacht wieder bei ihm gewacht?“

      „Ja, aber der Doktor sagte heute morgen, dass es jetzt viel besser mit ihm stehe und er bald im stand sein werde, heimzureisen.“

      „Sie sind so gut, mein alter Freund.“

      „Warum sagen Sie das? Wenn es schlecht ist, einen armen Nachbar, der krank ist und niemand in der ganzen Stadt hat, der sich um ihn kümmert, in der Not zu verlassen, so ist das einfache Ihm-beistehen nur die Unterlassung einer schlechten Handlung.“

      „O, wie Sie die Logik Ihrer Bescheidenheit opfern! Bei Ihnen war es nicht Unterlassung einer selbstsüchtigen Handlung, sondern Sie thaten etwas positiv Gutes!“

      Der alte Maler sagte nicht, dass er soeben seine Uhr verkauft hatte, um für seinen Nachbar Medizin zu kaufen.

      Bald nahm Cormorto Hut und Handschuhe und ging mit seinem Freunde aus, um in einem kleinen Hause vor der Porta del Popolo zu frühstücken, wo viele Künstler zu verkehren pflegten.

      Es war eine Osteria mit kleinem Garten, wo die gewöhnlichen Leute ihre Mahlzeiten nahmen und die vorüberkommenden Fuhrleute anhielten, um ihren Freunden, den Butteri, Bescheid zu thun. Die Fuhrleute, die die öde, trostlose römische Campagna durchfahren, haben sehr malerische Kostüme: ein heller Ton in dieser traurigen Gegend, die ohne Baum, ohne Haus, sich weit dahindehnt wie die See; für ihr arbeitsames Dasein entschädigen sie sich dadurch, dass sie an jeder Osteria anhalten, an der sie vorüberkommen, um ein Glas Wein zu trinken und ihre Pferde ein wenig rasten zu lassen. Es ist sehr interessant, frühmorgens diese langen Reihen von Wagen zu sehen, wie sie aus verschiedenen Richtungen nach Rom kommen; die Pferde in ihren weissen Fliegennetzen, mit grossen Quasten von roter Wolle geschmückt, ziehen langsam einher, während Hunderte von kleinen Glocken silberhell erklingen, die an der Plane befestigt sind, worunter die Fuhrleute schlafen oder singen.

      Die Butteri, die spitzen schwarzen Hüte tief in die Stirn gedrückt, die weiten runden Mäntel in malerischem Faltenwurf über das Pferd herabhängen lassend, reiten, mit langen, eisenbeschlagenen Stöcken bewaffnet, daher und treiben Kühe, Ochsen oder Büffel zum Verkauf.

      Diese Leute, die beständig im Sattel und unter dem Vieh leben, sind rauh und ungesellig; aber wenn sie mit den Fuhrleuten zusammentreffen, so kneipen sie mit diesen und halten gute Freundschaft mit ihnen, falls es ihnen nicht gerade einfällt, einander mit ihren Messern zu traktieren.

      In einer dieser Weinschenken, die als „Glückspender“ eine Schleiereule und ein Paar Ochsenhörner über dem Eingang aufwies und durch zwei kleine Fahnen, eine rote und eine weisse, zu wissen that, dass hier sowohl weisser als roter Wein zu haben sei, hielt der Eigentümer ein grosses Zimmer zur Verfügung der Künstler, die ihre Ateliers vor dem Thor hatten, und er nannte diesen Raum die „Künstlerstube“.

      In Rom kann man ruhig an jeden Ort gehen, der von den niederen Volksklassen besucht wird, weil diese gegen jedermann respektvoll, ja oft nur allzu liebenswürdig sind, indem sie einen auffordern, aus ihrem eigenen Glase Bescheid zu thun, und man das Glas wenigstens mit den Lippen berühren muss, wenn man sie nicht beleidigen will. Künstler besonders sind überall und von jedermann gern gesehen.

      Im Oktober geht es in diesen Osterien


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