Pinsel und Meißel. Teodoro Serrao
nein, bleiben Sie bei uns. Er ist so komisch!“ fügte das junge Mädchen hinzu, indem sie für ihre Freundin Platz machte.
„Ich möchte gern bei Ihnen bleiben, aber Sie sehen, ich muss alle die andern begrüssen, und ausserdem,“ fügte sie mit einem bezaubernden Lächeln hinzu, „hat sie mich ja fortgeschickt. Nun, wovon sprachen Sie eben? Darf ich danach fragen, ohne unbescheiden zu sein?“
„Ueber ein ganz neues Thema, über die Liebe,“ antwortete Origlio.
„Wirklich? Bedenkt, Kinder, was ein Mann von grosser Erfahrung über diesen Punkt sagt: ‚Ueber Liebe reden, heisst Liebe fühlen.‘“
Alle drei lachten über diese Bemerkung, und die Amerikanerin versteckte sich wieder hinter den weissen Federn ihres Fächers.
Cormorto lehnte an der Balkonthür, als Angelika an ihm vorüberkam.
„Es war sehr freundlich von Ihnen, zu kommen, Signor Cormorto.“
„Ich danke Ihnen! Ich sehnte mich danach, zu kommen und Sie spielen zu hören. Oft habe ich in meinem Atelier gehorcht, wenn Sie des Morgens spielten; aber Sie halten die Fenster stets geschlossen, und so konnte ich immer nur vereinzelte Töne erhaschen. Sie haben mich Tantalusqualen leiden lassen; es ging mir genau wie den armen Seelen bei Dante, die immer Wasser vor den Lippen haben, und doch ewig dürsten müssen. Was haben Sie denn vorgestern gespielt? Ich habe nie etwas Aehnliches gehört.“
„Ach, es ist ein kleines Stück, das ich ‚Schmetterlingsliebe‘ nenne.“
„Werden Sie es heute abend spielen?“
„Ich weiss wirklich nie vorher, was ich spielen werde, aber wenn es Ihnen gefällt, will ich es spielen.“
Einige Damen traten ein, sie verneigte sich anmutig und ging ihnen entgegen.
Cormorto folgte ihr mit den Augen, und als sie in dem gedrängt vollen Nebenzimmer verschwand, blieb er, in stummer Betrachtung versunken, stehen, als hätte er ihre vollendete Gestalt noch immer vor Augen.
Da wurde er plötzlich durch einen Franzosen, der ihn anredete, aus seinen Träumen aufgeschreckt. Es war ein grosser, schlanker Mann mit lang herabhängendem Haar, ein Maler von einigem Talent, der glaubte, er habe eine Mission zu erfüllen in dieser Welt, und zwar die, die Kunst zu modernisieren: er dachte und sprach nichts andres. Sobald er Cormorto anredete, warf er sein Haar aus der Stirn und sagte: „Sind Sie nicht auch der Ansicht, dass es endlich an der Zeit ist, mit der Historienmalerei ein Ende zu machen? Alle Akademieen sind voll historischer Bilder.“
„Ja, es ist wirklich Zeit, damit aufzuhören,“ antwortete Cormorto, der schon alles auswendig wusste, was sein Freund sagen wollte.
Aber der Franzose war nicht im geringsten entmutigt durch die trockene Antwort und fuhr fort: „Ich bin wirklich der Ansicht, dass die Geschichte nicht das eigentliche Feld für die Malerei ist; die Darstellung einer geschichtlichen Begebenheit ist ein Monument, und diese Art Arbeit gehört den Bildhauern, nicht uns. Wir müssen ein Gefühl, einen Menschen, ein Ding darstellen, aber nicht eine Thatsache. Und modern müssen wir werden, da wir nun eben keine ‚Alten‘ sind. Nicht wahr?“
„Doch, genau so. Sie liefern ja den schlagenden Beweis für Ihre Behauptung,“ antwortete Cormorto, ungeduldig werdend.
„Die alten Meister malten Ihre Gestalten stets in der Tracht ihrer Zeit, und wir sollten es ebenso machen. Ich bestreite auch, dass unsre Tracht nicht malerisch sei; blicken Sie nur in jenes Zimmer, sehen Sie, welche Harmonie zwischen dem schönen Schwarz sämtlicher Herren und jenen hellen, mannigfaltigen, anmutigen Farbentönen der Damentoiletten, was für hübsche kleine Nacktheiten, welch reizende Einzelheiten ...“
Er wurde ganz hingerissen von seinem Gegenstand und sprach so laut, dass er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Cormorto war schon entschlossen, ihn zum Schweigen zu bringen oder ihm zu entwischen, als glücklicherweise ein Präludium auf dem Piano ihm zu Hilfe kam. Er sagte: „Wir wollen später weiter darüber sprechen; jetzt muss ich ins andre Zimmer gehen, um die Musik zu hören.“ Und er verliess seinen Freund, der gleich nach einem andern geduldigen Zuhörer suchte, in dessen Busen er seine Gedanken und Gefühle niederlegen könnte.
Cormorto fand einen Platz in einer Ecke und blickte nach Angelika hinüber, die am Piano sass. Bei den ersten Klängen der Musik entstand ein andächtiges Schweigen. Das Musikstück begann mit einem vollen, majestätischen Andante, das wie eine Hymne klang; dann kam eine Melodie, in der man ein murmelndes Wasser in einem schönen Garten zu hören meinte; hierauf wechselte der Rhythmus und es folgte eine leichte, hüpfende Weise, schimmernd, launisch, wie das Schwirren eines Schmetterlings. Noch einmal verwandelte sich das Thema in ein reizendes Scherzo, ein andres, schimmerndes, launisches Motiv; dann vereinigten sich die beiden in vollendeter Harmonie und erhoben sich endlich zu einer hohen, feierlichen Hymne, die in einem klagenden Moll verklang: der Tod, der die Liebe der Schmetterlinge krönte.
Während ihres Spiels erhob sie ein- oder zweimal den Blick und begegnete einem dunkeln Augenpaar, das aus einer Ecke des Saales zu ihr hinübersah. Sie errötete unter diesem durchdringenden Blick, und dann ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie errötet war, dass sie ihre Aufmerksamkeit von dem Stücke abschweifen liess. Ihre Wangen brannten, als Cormorto kam, ihr die Hand zu reichen, wie es alle um sie her thaten.
„Danke,“ sagte er, „endlich habe ich dieses Stück gehört, dem zu lauschen ich mich so gesehnt habe.“
„Aber ich habe heute nicht gut gespielt und möchte, dass Sie es ein zweites Mal hörten, ehe Sie darüber urteilen. Ich war ein wenig erregt; denn wissen Sie, es gibt Leute, die einen so durchdringend ansehen, als ob sie die geheimsten Gedanken ergründen wollten, und das bringt mich immer in Verlegenheit.“
„Und doch könnte es eine gute Entschuldigung geben in einem solchen Fall.“
„Was meinen Sie damit?“
„Nun, denken Sie sich einmal, es wolle jemand ein Porträt nach dem Gedächtnis malen.“
„Haben Sie diese Absicht?“
„Ah, Ihre Bemerkung war also auf mich gemünzt?“
Sie lachten beide. Ihm war, als sei er ganz allein mit ihr. Zwei Menschen sind in der That niemals so allein, als inmitten einer grossen Gesellschaft.
„Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit?“
„Das will ich gerne thun, aber ich möchte das Porträt sehen.“
„Sie sollen es sehen. Wollen Sie mir gestatten, ein sicheres Mittel vorzuschlagen, mein unbescheidenes Anstarren zu verhindern?“
„Ich darf nichts Unüberlegtes thun. Was für ein Mittel wäre das?“
„Nun, dass Sie mir eine oder zwei Sitzungen gewähren. Wir wohnen so nahe bei einander, dass es nicht allzu unbequem für Sie wäre.“
Da unterbrach ein grosser blonder Mann ihre Unterhaltung. Cormorto wünschte ihn in diesem Augenblick dorthin, wo der Pfeffer wächst.
Er unterhielt sich mit Angelika in einer Sprache, die Cormorto nicht verstand; so kehrte er an seinen Platz zurück und beobachtete sie von dort aus. Er bemerkte, dass der Fremde ein sehr schöner Mann mit den glatten Manieren eines „Grand-Seigneurs“ war, und obgleich er nicht umhin konnte, ihn zu bewundern, missfiel er ihm doch. Er sah auch, dass Angelika zwar sehr höflich, aber kühl und zurückhaltend gegen den vornehm aussehenden Fremden war, und ohne zu wissen warum, gefiel Cormorto ihr Benehmen gegen ihn.
Origlio und seine Freundin hatten gleich darauf ihren Platz gewechselt und befanden sich jetzt unter den Pflanzen und Blumen in der Galerie.
Cormorto, der an der Thür vorüberkam, sah, dass die hübsche Amerikanerin ihr süssestes Lächeln lächelte, und dass Origlio mit leiser Stimme und dem Ausdruck lebhafter Bewegung in seinen ehrlichen grossen Augen zu ihr sprach.
Da unterbrach eine ältere Dame ihr Gespräch mit der Bemerkung, es sei spät und der Wagen warte, worauf die junge Dame seufzte, sich erhob, und dem