Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
war ihm egal. Er streckte mir das Bild entgegen. Ich erkannte den Rahmen eines Facebook-Profils. Mein Gesicht war deutlich zu erkennen. Es war mein Gesicht. Leugnen war sinnlos. »Lüg mich verdammt noch mal nicht an!«
Mir liefen Tränen die Wange hinunter und ein leises Schluchzen entrann meiner Kehle.
»Du heulst? Du? Mir ist zum Heulen zumute, verdammt! Also hör auf. Du hast es kaputt gemacht. Du!« Die letzten Worte brüllte er mir so laut ins Gesicht, dass ich mir erschrocken die Hände auf die Ohren presste.
Ich war fassungslos. Ich musste unter Schock stehen. Das war doch alles nicht wahr. Das konnte doch alles einfach nicht wahr sein.
Nein.
»Jan, ich ... bitte, lass es mich erklären.«
»Da gibt es nichts zu erklären!« Dann knallte die Tür und ich war alleine.
Ich war alleine.
Vorbei
Nachdem ich aus meiner Schockstarre erwacht war, schwankte ich wie in Trance zurück in mein Schlafzimmer und setzte mich auf mein Bett. Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur reglos auf meiner Matratze kauerte und auf meine Bettdecke starrte. Ich fuhr gedankenverloren das Blumenmuster mit meinem Zeigefinger nach und zwang mich dazu, weiter zu atmen, während mir die Tränen unaufhörlich die Wangen hinunterliefen. Irgendwann lehnte ich mich zurück und vergrub das Gesicht in meinem Kissen. Es roch nach Jan. Und Sex. Das half nicht wirklich. Ich musste definitiv unter Schock stehen. Ich hatte einen unglaublich schnellen Herzschlag und spürte die Panik, die langsam, aber stetig in mir hochstieg. Ich bekam immer schlechter Luft. Oh Gott. Was war da nur geschehen? Das konnte nicht wahr sein. Das war ein Alptraum.
Ein Alptraum!
Jan hatte weder auf meine SMS noch auf meine Anrufe reagiert. Nichts. Kein Lebenszeichen. Ich war ein Nervenbündel. Vollkommen fertig. Abgebrannt. Am Ende mit meinem Latein.
Verzweifelt.
Ich hatte nicht lange darüber nachgedacht. Die Sonne war kaum aufgegangen, da hatte ich Jacke und Schuhe angezogen und meine Wohnung hinter mir gelassen. Ich konnte mich kaum an den Weg erinnern. Doch nun stand ich hier. Vor der Haustür von Jans Familie. Ich musste ihn sehen. Ich musste alles richtigstellen. Es war doch nichts! Das, was auf den Bildern gezeigt wurde, war eine vollkommen falsche Realität. Es war anders und das musste ich ihm erklären. Und zwar schnell. Bevor es zu spät war.
Bitte mach, dass es noch nicht zu spät war.
Ich klingelte.
Nichts.
Ich klingelte wieder.
Ich wartete und klingelte ein drittes Mal.
Dann hörte ich leise Schritte. Die Tür öffnete sich langsam und zaghaft.
Bianca lugte hinaus und machte plötzlich große Augen. In dem Moment wusste ich, dass sie im Bilde war. Sie wusste Bescheid. Jan musste es ihr gesagt haben. Und trotzdem kam sie mir einen Schritt entgegen und nahm mich in den Arm.
»Was machst du denn für Sachen?« Bianca hörte sich traurig und erschöpft an. Sie schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. Mir kamen sofort die Tränen. Ich konnte es nicht unterdrücken. War das ein Abschied? Es fühlte sich danach an. Verdammt.
»Ist Jan da?« Meine Stimme war leise und bebte. Bianca zögerte und musterte den Boden vor ihren Füßen.
»Ja. Aber ich denke nicht, dass er dich momentan sprechen will. Ihm geht es nicht gut. Er ist ziemlich fertig.« Es war kein Vorwurf in ihrer Stimme. Irgendwie machte das die Sache noch schlimmer.
Dann bemerkte ich eine Bewegung hinter ihr. Im Eingangsbereich direkt neben der Garderobe erblickte ich sie. Fernanda. Seine Arbeitskollegin. Warum? Was zum Teufel machte sie hier? Mit verschränkten Armen stand sie im Zwielicht und musterte mich mit vorwurfsvollem Blick.
Mir wurde schlecht. Es war fast so, als ob all meine Alpträume auf einmal wahr wurden. War ich bereits ausgetauscht worden?
Bianca bemerkte meinen Blick und wandte sich auch kurz der Person hinter ihr zu. Sie seufzte erschöpft und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Eine Geste, die mich schmerzlich an Jan erinnerte.
Jan.
Wo war er nur?
Plötzlich stand Fernanda neben Bianca in der Tür, nahm sie am Arm und schob sie sanft in die Wohnung zurück. Es wirkte so vertraut. Warum nur wirkten die beiden so verflucht vertraut miteinander?
Irgendwas lief hier gehörig verkehrt!
»Das Wasser ist heiß, mach uns doch schon mal einen Tee.« Bianca nickte und richtete ihren Blick dann doch noch mal auf mich.
»Nora, gib ihm Zeit. Er ist verletzt, aber er liebt dich, vergiss das nicht. Bitte vergiss das nicht!« Ich nickte mit bebendem Kinn und tränennassem Gesicht. Unfähig, etwas dazu zu sagen. Dann wandte sich Bianca ab und bewegte sich Richtung Küche. War auch Jan dort? Hörte er mich? Hatte er dem Gespräch gelauscht?
Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich nun vor dieser unsäglichen Fernanda. Ich schaute kurz zu ihr auf. Fernanda versuchte nicht, ihr süffisantes Grinsen zu verbergen. Dann winkte sie mit ihren manikürten roten Fingernägeln und schloss dabei langsam die Tür.
»Tja, das war‘s dann wohl für dich.« Ihre Stimme war wie Eis. Kalt, spitz und schneidend.
Die Tür fiel ins Schloss und ich starrte auf dunkles Holz. Das Flurlicht erlosch und ich war alleine.
Wieder alleine.
In diesem Moment wurden mir zwei Dinge auf schmerzliche Art und Weise bewusst.
1. Mein Leben würde nie wieder so sein, wie es bislang war. Die kuscheligen Zeiten, an die ich mich gerade begonnen hatte zu gewöhnen, waren unwiderruflich vorbei.
2. Ich hatte mir das ganz alleine zuzuschreiben. Ich war schuld. Ich hatte es verkackt.
Zurück
Ich klappte den Koffer zu und versuchte, begleitet von viel Gestöhne und einigen Flüchen, den Reißverschluss zu schließen. Es ging. Irgendwie. Auch wenn ich jetzt Angst haben musste, dass der Koffer wie ein Würstchen in kochendem Wasser direkt am Bahnsteig aufplatzen würde. Dann würde ich eben meine Disney-Unterwäsche auf den Gleisen zusammensuchen müssen.
Das wäre genau der richtige Start in meinen neuen Lebensabschnitt.
So passend!
Erschöpft und genervt ließ ich mich auf meinem Bett nieder und schaute mich um. Alles war zusammengepackt. Viel war es ja nicht gewesen. Richtig heimelig hatte ich es mir hier nie gemacht. Keine Bilder an den Wänden, keine Dekoartikel. Nicht mal Gardinen. Lediglich ein Plakat, das ich selbst im zweiten Semester entworfen hatte, hing über meinem Schreibtisch. Ein Werbeplakat für eine Limonade. Darauf zu sehen war eine Strandlandschaft, blaues Meer und einige Jugendliche mit Getränken in der Hand. Das Poster war für meinen Geschmack viel zu bunt und grell, aber so war die Vorgabe und ich hatte meine erste Eins und einiges an Lob dafür erhalten.
Zwei Koffer und ein paar Kisten mit Büchern standen bereit und warteten wie ich auf den Aufbruch. Na ja, die Kisten würden mir dann irgendwann die Tage folgen. Eine Kommilitonin würde sie mir hinterherschicken. Sie hatte das Zimmer neben mir bewohnt und war einer der wenigen Menschen hier gewesen, mit denen ich mich relativ gut verstanden hatte.
Als ich merkte, dass die Zeit eng wurde, das Semester bald vorbei war und ich ausziehen musste, hatte sie mir angeboten, mir zu helfen. Ich mochte es nicht, Hilfe ohne Gegenleistung anzunehmen. Aber ich hatte leider keine andere Wahl gehabt. Nun wurde vorerst alles bei ihr zwischengelagert. Dafür durfte sie einige meiner Studienbücher behalten. So ganz umsonst half sie mir dann also doch nicht.
Die Zeit hier im Studentenwohnheim war dann wohl zu Ende. Ich ging tatsächlich zurück. Es war ja nicht so, als ob mir eine Wahl gelassen wurde. Das Studium war endgültig