Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
vor zu heiraten. Ich kannte seinen Freund und baldigen Ehemann noch nicht mal. Ich hatte zwar einige wenige Male in den letzten Jahren mit Sebastian telefoniert, aber viel war dabei auch nicht rumgekommen. Er hatte mir von seiner ersten Begegnung mit Hiroki erzählt und davon, wie er mit ihm zusammengekommen war. Aber gesehen hatte ich ihn noch nie. Immerhin war ich ja vor vier Jahren in eine andere Stadt gezogen, um zu studieren.
Und zu fliehen.
Nun hatte ich einen mittelmäßigen Bachelor in Grafikdesign in der Tasche und wusste nicht so recht, was ich mit mir, meinem Abschluss und meiner Zeit anfangen sollte.
Ich war planlos.
Antriebslos.
Lustlos.
Dann konnte ich genauso gut auch wieder zurück. Hier hielt mich ja auch nichts.
Ich weiß nicht genau, wann es begonnen hat.
Ich hatte mich nie aktiv dafür entschieden. Es war mehr ein schleichender Prozess, der unaufhaltsam mein Leben immer mehr veränderte. Nach der Trennung und meinem Umzug brach ich nach und nach alle Kontakte zu meiner Heimatstadt ab. Meldete mich erst sporadisch und dann irgendwann gar nicht mehr. So lange, bis auch ich nichts mehr von Bekannten, Schulkameraden und Nachbarn hörte. Ich kapselte mich von allem ab. Aber ich schloss auch keine neuen Freundschaften. Ich ging weder auf Dates noch traf ich mich mit Kommilitonen. Ich schloss mit meinem früheren Leben ab, jedoch ohne ein neues zu beginnen.
Ich saß fest. Irgendwo zwischen alt und neu. Kein altes Leben, kein neues. Ich lebte gar nicht, ich überlebte. Und das war kräftezehrend genug.
Die einzige Ausnahme war Sebastian, der sich wie verzweifelt an mich klammerte. Auf bestimmende und fast schon aufdringliche Art und Weise rief er regelmäßig bei mir an und zwang mich nun mehr oder weniger dazu, wieder zurückzukommen. Er würde mir niemals verzeihen, wenn ich seiner Hochzeit fernbleiben würde. Na ja, es war ja nicht so, als hätte ich irgendwelche alternative Pläne gehabt.
Dort würde ich erst mal wieder irgendwo jobben. Als Grafikdesignerin würde ich schon etwas finden. Und wenn ich Geburtstagskarten designen musste. Zwei Bewerbungen hatte ich bereits abgeschickt. Die eine für ein bezahltes halbjähriges Praktikum bei einer bekannten, internationalen Werbeagentur, die andere für eine Assistenzstelle beim hiesigen Stadtmarketing. Da machte ich mir, um ehrlich zu sein, wenig Hoffnung. Aber irgendwas würde schon klappen.
Das Gute war, dass ich erst mal bei Sebastian wohnen durfte. Ich sparte also Geld für die Miete, das ich eh nicht hatte. Sobald ich dann welches verdiente, würde ich mich auf Wohnungssuche begeben und Sebastian und seinen Partner nicht weiter belästigen.
Ich stieg nach drei Stunden Fahrt aus dem Zug aus und schaute mich um. Es war eisig kalt. Ich wickelte meinen dicken roten Wollschal um meine Schultern, schnappte mir meine beiden Koffer und begab mich in Richtung Haupteingang. Schon von weitem erkannte ich Sebastian, der in einem dunkelblauen Trenchcoat in der großen Eingangshalle stand und immer wieder abwechselnd unruhig auf die Uhr und sich in der Menschenmenge nach mir umschaute. Er sah elegant und echt hübsch aus. Da hatte sich in den letzten vier Jahren einiges getan, denn er war zugegebenermaßen wirklich heiß! Dann wendete er seinen Blick nach rechts und streckte die Hand nach jemandem aus. Der junge Mann neben ihm nahm die ausgestreckte Hand und behielt sie in seiner. Sebastian hielt Händchen. Dieser Anblick ließ mich grinsen. Das war eine Premiere für mich. Sebastian hatte, als ich noch hier wohnte, nie eine feste Beziehung gehabt. Er schwärmte zwar ab und an von irgendwelchen Kerlen, aber ich hatte ihn niemals mit jemandem zusammen gesehen. Der Anblick war erfrischend und irgendwie knuffig.
»Nora!« Er hatte mich entdeckt und rannte mir entgegen. An seiner euphorischen Art hatte sich anscheinend nichts geändert. Er umarmte mich und wirbelte mich kurzerhand einmal um sich herum. Immer noch der gleiche Wildfang wie früher. Mir entwich ein Jauchzer. Ein Geräusch, das mich erschreckte, da ich es schon viel zu lange nicht mehr von mir gegeben hatte. Ich kicherte wie ein kleines Kind. Das schaffte wirklich nur Sebastian. Seine Freude war ansteckend. Er setzte mich wieder auf dem Boden ab und drückte mich noch mals fest an sich. War er gewachsen? Er wirkte irgendwie größer.
Männlicher.
»Mensch, Süße, hast du abgenommen!«
»Hi Sebastian, ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment.« Er drückte mich noch fester an sich und wollte mich gar nicht mehr loslassen. Plötzlich erschien der andere Kerl, schaute ihm neugierig über die Schulter und räusperte sich kurz, um auf sich aufmerksam zu machen. Sebastian löste sich widerwillig von mir.
»Nora.« Er atmete einmal durch, stellte sich direkt neben ihn und legte besitzergreifend seinen Arm um seine Taille. »Das ist Hiroki, mein Verlobter.«
Das Wort Verlobter zauberte Sebastian ein breites Lächeln ins Gesicht. Er zeigte stolz auf den Mann neben ihm und ich musste zugeben: nicht schlecht gewählt. Ein großer schlanker Kerl mit breiten Schultern, verstrubbelten, rabenschwarzen Haar und wunderschönen Mandelaugen. Man sah ihm seine asiatische Herkunft an.
»Hallo Nora.« Wir schüttelten uns die Hand und nickten uns zu. Hiroki hatte einen sehr starken Händedruck und ein entzückendes Lächeln. Herzlich und doch auch etwas verschmitzt.
»Hi, Hiroki. Schöner Name, woher kommt der?«
»Der stammt aus Japan. Genau wie meine Mutter.«
»Schön.« War es wirklich. Und interessant. Ich war gespannt, was Hiroki für ein Typ war. Immerhin ging es hier um Sebastian, der mir sehr am Herzen lag. Er hatte nur das Beste verdient. Mein erster Eindruck war gut. Sein Verlobter wirkte sympathisch, freundlich und mindestens genauso besitzergreifend wie sein Partner. Das zeigte mir sein Arm, den er nun selbstbewusst um Sebastians Schulter gelegt hatte.
»So«, Sebastian klatschte in die Hände. »Du hast bestimmt Hunger, also lass uns doch in dem Café gegenüber ein paar Sandwiches essen. Ich zahle.«
Genau in dem Moment begann mein Magen zu knurren und ich erschrak.
»Okay, mein Magen hat gerade für mich geantwortet.« Wir lachten und ich strich mir über den Bauch. Ohne noch weitere Zeit zu verschwenden, schnappten sich Hiroki und Sebastian je einen Koffer von mir und so liefen wir los.
Nachdem ich mir den Mund mit der Serviette abgewischt hatte und meine Coke leergetrunken war, schaute ich auf und bemerkte, dass Sebastian mich beobachtete.
»Mmmh?«, brummte ich fragend und starrte zurück.
»Du hast wahnsinnig abgenommen. Ich meine, du warst nie dick, aber jetzt ...«
»Sie hat eine Figur wie ein Model«, gab Hiroki hinzu und nickte bekräftigend.
Ich rollte mit den Augen. Ich hatte wenig Lust darauf, mir das jetzt von jedem anhören zu dürfen. Ja, es stimmte, ich hatte früher ein paar Kilo mehr gewogen. Na und?
»Übertreibt mal nicht.«
»Und deine Haare ... Die sind so lang. Seit ich dich kenne, hattest du immer einen Bobschnitt. Das war so süß an dir. Aber auch das steht dir, wirklich.«
»Danke.«
Schweigen. Ich nahm mein Glas in die Hand und bemerkte auf halbem Wege zu meinem Mund, dass es leer war.
»Wir haben dir was Wichtiges zu sagen«, sagte Sebastian und räusperte sich laut. Er klang sehr ernst, nahm Hirokis Hand und schaute mich angespannt an.
»Du bist schwanger?«
Beide starrten mich erst geschockt an und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Ich zog nur die Augenbrauen hoch. Dieses synchrone Reagieren war irgendwie gruselig.
Oder war das Liebe?
»Nein, Nora, es geht um unsere Hochzeit oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Mann, wie ich diesen Begriff hasse! Also wie du weißt heiraten wir an Weihnachten. Um genau zu sein am 23. Dezember, weil die verdammten Beamten am 24. nicht mehr arbeiten ...« Er fluchte noch etwas vor sich hin und ließ sich von Hiroki wieder beruhigen, der ihm immer wieder über den Rücken streichelte. Es war sein sehnlichster Wunsch gewesen, an Weihnachten zu heiraten.