Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
frei. Frei von allen Sorgen. Ich spürte die für Koks übliche Euphorie. Der ganze Kummer und Ballast war weg. Klar, in wenigen Stunden wäre er wieder da. Aber das war mir jetzt einfach scheißegal!
Ich verließ die Damentoilette und ging für schätzungsweise ein oder zwei Stunden auf die Tanzfläche. Ich musste mich einfach bewegen.
Diesen Zeitraum verbrachte ich damit, meine Hüften kreisen zu lassen und mich im Takt der Musik vollkommen zu verausgaben. Ich tanzte mit anderen Frauen und mit Männern. Mit Frauen, die wie Männer aussahen, und Männern, die wie Frauen aussahen. Ich glaube, ich tanzte sogar mal mit Hiro. Superhero. Ich lachte schon wieder über meine Gedanken und entschloss mich, den Rest Koks gleich auch noch wegzuziehen. Der Rausch ließ langsam nach und ich wollte nur ungern mit Drogen in der Hosentasche zu Sebastian nach Hause gehen. Wenn er etwas finden würde, wäre ein hysterischer Anfall vorprogrammiert. Er würde ausrasten, mir den Hals umdrehen und womöglich nie mehr ein Wort mit mir reden.
Ich wiederholte mein Ritual mit Handy und Geldschein auf dem Damenklo und fand mich wenige Minuten später mit einem Glas Wasser an der Bar wieder. Ich hatte zwar keinen Durst, aber den würde ich so auch nicht bekommen. Eine der Auswirkungen von Kokain. Daher trank ich lediglich aus Vernunft. Ich lachte über mich selbst. Vernunft war in dem Zusammenhang natürlich auch genau das richtige Wort. Weil es so vernünftig war, Drogen zu nehmen.
»Auf Wasser umgestiegen?« Hiroki und Sebastian standen plötzlich neben mir und wirkten beide euphorisch und verschwitzt. Ich nickte und lächelte die beiden an. Sebastian freute sich und umarmte mich. Der hatte wohl auch schon den einen oder anderen Cocktail zu viel intus. Dadurch wurde er immer so sentimental und kuschelbedürftig. Cute.
»Habe ich dir schon gesagt, wie froh ich bin, dass du wieder da bist?«, nuschelte er mir ins Ohr.
»Ich bin auch froh, wieder bei dir zu sein«, sagte ich und meinte es auch so. Ich liebte Sebastian einfach. Er umarmte mich noch fester und drohte, mich zu ersticken.
Über seinen Rücken hinweg sah ich Hiro stehen, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. Er kam einen Schritt auf uns zu, beugte sich leicht vor und sah mir mit gerunzelter Stirn tief in die Augen. Dann richtete er sich mit einem wissenden Gesichtsausdruck wieder auf, tippte sich auf die Nasenspitze und gab mir so zu verstehen, dass er mich besser durchschaute als sein zukünftiger Gatte.
Verkaterte Tortensicht
»Aufstehen, du Saufnase!«
Ich schreckte auf, fiel aus dem Bett und landete mit dem Hintern voran unsanft auf dem Boden.
»Alter, Nora, wie hast du denn geschlafen?« Sebastian zeigte mir dem Finger auf mich und lachte mich aus.
»Hä?« Ich verstand gerade gar nichts. Sebastian? Hier? Wo war ich? Ach ja ...
»Hast du schräg im Bett gelegen?«
»Was weiß ich«, gab ich müde und genervt zurück und hielt mir meinen schmerzenden Schädel.
»Aspirin liegen schon bereit. Genau wie Kaffee und Croissants. Du musst dich nur aufraffen und zu uns in die Küche kommen.«
Ich stöhnte laut und weinerlich. Aufstehen? Laufen? Essen? Noch was vielleicht? Das war echt zu viel verlangt!
»Ich will nicht.«
»Du musst! Wir haben heute noch einiges vor, also werd jetzt gefälligst schnell fit!«
Daraufhin schlug er die Tür hinter sich zu und brüllte irgendetwas in Hirokis Richtung. Der lag wahrscheinlich auch noch im Bett und fragte sich, womit er das wohl verdient hatte. Tja, selbst schuld. Immerhin würde er Sebastian heiraten und sich das somit freiwillig für den Rest seines Lebens antun.
Boar, war ich verkatert. Das passierte sonst beim Koksen nie. Musste wohl am Alkohol liegen. Oder an der Kombination. Scheiße. Ich erhob mich schwerfällig und mit wackligen Knien und griff nach der Wasserflasche neben meinem Bett. Ich trank sie aus und blieb noch ein paar Minuten sitzen, bevor ich mir sicher sein konnte, dass mein Kreislauf weitere Bewegungen zuließ.
Dann suchte ich mir einige Klamotten zusammen, zog mich an und verließ mein Zimmer. Zum Glück war das Bad frei. Ich betrat es und betrachtete mich im Spiegel.
Fuck.
Ich war blass und meine Haare fielen mir strähnig ins Gesicht. Ich sah aus wie Christiane F. in ihren schlimmsten Zeiten. So konnte ich heute garantiert nicht das Haus verlassen. Nicht mal dieses Badezimmer. Ich sprang unter die Dusche, putzte meine Zähne und versuchte, irgendetwas mit meinen Haaren anzustellen. Am Ende beließ ich es bei einem einfachen Pferdeschwanz. Sogar an etwas Make-Up probierte ich mich mehr schlecht als recht. Dann verließ ich den Raum und ging in die Küche, wo Hiroki und Sebastian schon auf mich warteten.
»Kaffeeeee?«, flötete mir Sebastian entgegen und schwang die Kanne hin und her. Dafür, dass es gerade einmal zehn Uhr morgens war, war er einfach viel zu gut gelaunt. Wenn ich mir Hiroki so anschaute, der mit seinem kompletten Gesicht in der Kaffeetasse verschwunden war, stand ich mit dieser Meinung wohl nicht alleine da.
»Ertränk dich nicht«, flüsterte ich Hiro zu und setzte mich neben ihn auf einen freien Stuhl.
»Ich hab‘s versucht, aber die Tasse ist nicht tief genug.«
Sebastian stellte mir ebenfalls einen Kaffee und ein Glas Wasser auf den Tisch und schob mir auffordernd zwei Aspirin zu.
»Werd fit, das ist ein Befehl!«
Ich nickte. Widerworte wurden wie so oft nicht geduldet.
»Was hast du denn mit mir vor?«, fragte ich irgendwann, nachdem der Kaffee und die Kopfschmerztabletten ihre wohltuende Wirkung entfaltet hatten.
»Wir gehen gleich Hochzeitstorten probieren. Ja, du auch, Schatz.« Hiro seufzte und startete dann einen neuen Versuch, sich in seinem Kaffee zu ertränken oder ein Portal in eine andere Dimension zu finden. Dem musste wohl schon eine längere Diskussion vorangegangen sein, bevor ich aufgetaucht war.
Zwei Stunden später betrat ein gut gelaunter und euphorischer Sebastian mit zwei lebenden Leichen eine Konditorei.
»Wir haben einen Termin«, sagte Sebastian zu einer lächelnden Dame, die uns in einem Raum führte, in dem wir vom Chefkonditor bereits persönlich erwartet wurden.
»Hallo, Sebastian Wagner, wir hatten telefoniert.« Sebastian reichte dem Konditor die Hand. »Das ist mein Zukünftiger, Hiroki Kuhn. Und meine Trauzeugin, Nora Krüger.«
Der Konditor, der sich schlichtweg als Jürgen vorstellte, schüttelte allen die Hand und schaute fragend in die Runde.
»Sollen wir anfangen? Kann ich Ihnen vielleicht zuerst einen Kaffee anbieten?«
»Wir erwarten noch jemanden. Zum Kaffee sagen wir nicht nein, aber wir beginnen erst, wenn der letzte Gast eingetroffen ist.«
Der letzte Gast?
Schon wieder flackerte Panik in mir auf. Nicht er. Nicht jetzt, wo ich verkatert und gänzlich unvorbereitet war. Außerdem sah ich scheiße aus. Er sollte mich so nicht sehen. Nicht so dermaßen am Ende.
»Hallo Leute, hier bin ich.«
Eine weibliche Stimme, die mir mehr als bekannt vorkam, hallte durch den Raum. Ich hörte Schritte, die sich uns näherten, und traute mich nicht, mich umzudrehen. Ich zitterte und hatte das starke Bedürfnis zu fliehen. Einfach ganz schnell wegzulaufen.
Ich dachte, ich könnte es. Es war so viel Zeit vergangen ... So verdammt viel Zeit, aber es änderte nichts. Das alles war zu viel für mich.
»Nora?«
Ich drehte meinen Kopf zögerlich nach links und sah direkt in die schockgeweiteten Augen von Bianca. Ich hatte sie vier Jahre lang nicht gesehen. Beim letzten Mal hatte sich Fernanda zwischen uns geschoben. Fernanda, die nun mit Jan zusammen war.
»Oh Gott, Nora!« Bianca fiel mir in die Arme und begann zu schluchzen. Ich stand stocksteif da und schaute Sebastian entsetzt an. Weinte