Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
dem Finger darauf gezeigt und mit einem »Das ziehst du an und keine Widerworte!« das Zimmer verlassen. Ich hatte nicht lange genug eine Mutter gehabt, um es beurteilen zu können, aber ich war mir ziemlich sicher, dass selbst die größte Glucke nicht nerviger sein konnte als er.
»DAS?«, schrie ich ihm durch die geschlossene Tür hinterher, bekam aber keine Antwort mehr. Was sollte das denn? Warum musste ich mich denn so aufbrezeln? Ich wusste nicht mal, dass ich einen so kurzen Rock besaß. Wie konnte Sebastian diesen dann gezielt aus meinem Schrank holen?
Einige Minuten später kam er ohne zu klopfen wieder ins Zimmer gestürmt. Ich schaffte es gerade noch, das T-Shirt über meinen Kopf zu ziehen und meine Brüste zu bedecken. Gehetzt schaute ich ihn an.
»Keine Panik, bin doch nur ich.«
»Nur weil du schwul bist, heißt das nicht, dass ich nackt vor dir rumturne!«
»Ich schau dir schon nichts ab. Setz dich!«
Ich setzte mich wie befohlen auf das Bett. Sebastian zog einen Hocker vor mich, ließ sich darauf nieder und breitete diverse Schminkutensilien auf meinem kleinen Nachttisch aus.
»Sag bloß, du wirst mich ...«
»Ja, Ruhe und Augen zu!«
»Aber woher hast du ... ?«
»Augen zu!«
Ich gehorchte. Es war ja nicht so, als hätte ich eine Wahl. Er pinselte, bürstete, zog und zupfte. Keine Ahnung, was er genau tat. Aber nach einigen Minuten klatsche er in die Hände und reichte mir die Wimperntusche.
»Die machst du mal lieber selbst drauf. Das kannst du doch, oder?« Ich streckte ihm die Zunge raus und ging ohne ein weiteres Wort ins Bad. Dort betrachtete ich mich im Spiegel und seufzte. Okay, Sebastian hatte es definitiv drauf. Er war anscheinend einen Ticken mehr Frau als ich. Deprimierend.
Nachdem nun auch meine Wimpern bearbeitet und gefühlt einen halben Meter lang waren, passten sie perfekt zu den leicht geröteten Wangen, den schimmernden Lippen und den Smokey-Eyes samt langem Lidstrich. Ich sah ziemlich geil aus. Ich verließ das Badezimmer und erntete einen anerkennenden Blick von Hiroki.
»Du Luder«, sagte er nur knapp und erntete von Sebastian einen Klaps auf den Hinterkopf.
Wir betraten den Club, nachdem ein Türsteher meine Tasche mehr als gründlich durchsucht hatte. Hiros Blick entging mir dabei nicht. Ich schaute ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Mensch, ich hatte nichts dabei. Was dachte er denn von mir?
Der Raum war ziemlich düster. Sebastian lenkte uns gezielt zu einer Sitzecke und schob mich nach hinten auf die Bank. Ich hasste so etwas. Wenn ich aufs Klo müsste, würden wegen mir alle aufstehen müssen. Viel lieber saß ich am Rand. Immer fluchtbereit. Aber ich wurde ja nicht gefragt, sondern nur mitgezerrt.
Hiro bestellte sich einen Kaffee, Sebastian eine Apfelschorle und ich eine Cola. Der Abend versprach, der langweiligste aller Zeiten zu werden. Das war schlimmer als jeder Kindergeburtstag. Wenn es wenigstens Torte geben würde. Ich bat die Bedienung um einen Strohhalm, um wenigstens das Schlürfen der Coke etwas unterhaltsamer zu gestalten.
Dabei schaute ich mich im Raum um und betrachtete die Menschen, die sich hier so rumtrieben. Das Publikum war sehr gemischt. Zwischen 18 und 60 Jahren war so ziemlich alles vertreten. Alle wirkten lässig und ich war, um ehrlich zu sein, etwas overdressed. Aber das war mir nun auch egal. Immerhin wäre ich in meiner Jogginghose ziemlich negativ aufgefallen. Also lieber so.
Eigentlich wirkte die Location ziemlich cool, musste ich zugeben. Wenn die Band jetzt nicht allzu schlecht war, käme eventuell doch noch gute Stimmung auf. Auch ohne Alkohol. Es war ja nicht so, dass ich den Alkohol brauchte, um Spaß zu haben. Er erleichterte nur vieles und half mir, einen Augenblick zu vergessen.
Plötzlich spürte ich, wie sich Sebastian neben mir anspannte. Er griff nach meiner Hand. Ich erinnerte mich daran, dass er das früher schon oft getan hatte. Aber nun verstand ich nicht, was das sollte, und schaute ihn genervt an.
»Was?«
»Pssst!« Jetzt sollte ich auch noch meinen Mund halten? Was zur Hölle fiel ihm eigentlich ein? Ich war verdammt noch mal hier, weil er es wollte, und nicht um ...
»Da seid ihr ja.«
Jan.
Mir fiel die Kinnlade runter und vollkommen unbewusst drückte ich Sebastians Hand so fest, dass er kurz zischend Luft zwischen den Zähnen einzog. Doch dann drückte er, ohne mit der Wimper zu zucken oder sich zu beschweren, zurück. Ich bekam kaum Luft und hoffte inständig, dass ich auch nur ein klitzekleines bisschen souveräner aussah, als ich mich fühlte. Auch Jan starrte mich mit großen Augen schockiert an. Anscheinend war auch er nicht vorgewarnt worden.
Tolle Freunde!
»Nora?« Jans Stimme war laut, überrascht und doch so vertraut. Nach all den Jahren hörte ich ihn zum ersten Mal. Alle Augen waren auf mich gerichtet.
»Ja, hey.« Meine Stimme zitterte. Souveränität? Fehlanzeige!
»Du bist wieder da?«
»Sieht ganz danach aus.« Oh yeah, schlagkräftig und etwas arrogant. Das war schon besser. So konnte es weitergehen. Ich musste nur mein Herz irgendwie beruhigen. Es würde mir nämlich gleich aus der Brust springen und wie eine eklige, matschige Kröte vor mir auf dem Tisch landen. So viel Action war das vertrocknete Ding nicht mehr gewohnt!
»Schon lange nicht mehr gesehen«, drang nun auch die Stimme hinter Jan zu mir durch. Fernanda. Das Miststück. Ich kannte die Frau ja wirklich kaum, aber alleine ein Blick auf diesen herablassenden Gesichtsausdruck machte mich aggressiv. Zum Glück hielt mich Sebastian fest. Ich hatte nämlich gehörig Lust, die Schlampe an ihrem gesträhnten Haar aus dem Club zu zerren und ihre geschminkte Visage draußen so lange in eine Pfütze zu drücken, bis ...
»Nicht lange genug, wie mir scheint«, gab ich kühl zurück, nahm meine Cola und trank einen Schluck. Ich dankte Gott, allen Heiligen, den Engeln, Buddha, Allah, dem Spaghettimonster, der Zahnfee und wer da noch so anbetungswürdig im Raum herumschwebte dafür, dass die Band endlich anfing zu spielen. Ich hörte ein Schlagzeug und schon stimmten Gitarre, Bass und Gesang mit ein. Erst jetzt bemerkte ich auch, dass Sebastian immer noch meine Hand hielt und mich vorsichtig von der Seite musterte. Mein Blick war auf die Bühne gerichtet, ansonsten beachtete ich nichts und niemanden. Ich wollte die beiden nicht sehen. Meinen Ex mit dieser rassigen Traumfrau. Der Anblick von eben würde mich bis in meine Träume verfolgen, sollte ich überhaupt jemals wieder schlafen können. Ich bezweifelte es.
Nach einigen Minuten, als mein Puls nicht mehr lebensbedrohlich raste, drehte ich mich zu Sebastian um.
»Das hattest du geplant, richtig?«, zischte ich ihm ins Ohr.
»Irgendwann musste es dazu kommen, und ich wollte, dass du dann top gestylt bist.« Ich schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an und schüttelte leicht den Kopf.
»Du kleiner Irrer, was hast du vor? Für welches kranke Spiel werde ich hier gerade als Spielfigur missbraucht?«
»Ich hasse diese Schnepfe, okay?«, zischte Sebastian von der Seite und biss dann die Zähne zornig zusammen. »Jan, dieser Idiot, soll verdammt noch mal sehen, was er verpasst.«
Ich schnaubte und lauschte weiter der Musik. Leider vollkommen unkonzentriert. Alle meine Antennen waren auf die Person drei Plätze weiter links gerichtet.
Jan.
Ich hibbelte nervös mit dem Bein und fühlte mich in meiner Haut so dermaßen unwohl, dass ich am liebsten abgehauen wäre. Wahrscheinlich war auch das eines der Gründe, warum Sebastian schon seit einer halben Stunde meine Hand hielt und gar nicht daran dachte, damit aufzuhören.
Einige Songs und drei Cokes später musste ich pinkeln. Es ließ sich nicht weiter aufschieben.
»Sebastian, meine Blase platzt gleich.«
»Leute, alle mal aufstehen, Nora muss sich die Nase pudern.«
Ja sicher.